Wirtschaft

Stiglitz kritisiert "Voodoo-Ökonomie" Märkte feiern Spanien-Hilfe

Wie ein warmer Regen: Für die spanischen Banken verspricht der Schritt zumindest ein Signal der Stabilität.

Wie ein warmer Regen: Für die spanischen Banken verspricht der Schritt zumindest ein Signal der Stabilität.

(Foto: REUTERS)

Das Hilfsersuchen aus Madrid löst weltweit Erleichterung aus: Die Kurse an den Börsen ziehen kräftig an, am Anleihenmarkt fallen die Risikoaufschläge, der Druck scheint zu entweichen. Doch aus den USA kommt scharfe Kritik: Wirtschaftsnobelpreisträger Stiglitz geiselt die Hilfen als unzureichend und oberflächlich.

Bis zu 100 Mrd. Euro an Notkrediten: Irgendjemand wird dafür bürgen müssen.

Bis zu 100 Mrd. Euro an Notkrediten: Irgendjemand wird dafür bürgen müssen.

(Foto: REUTERS)

Die europäischen Bankenaktien haben zu Wochenbeginn mit einem Kursfeuerwerk auf die geplanten Finanzhilfen für Spaniens Geldhäuser reagiert. In den ersten Stunden des Handels profitierten insbesondere die spanischen Institute davon, dass die Euro-Finanzminister dem Land bis zu 100 Mrd. Euro an Kredithilfen für den Bankensektor in Aussicht stellten. Aktien der BBVA und der Santander zogen zeitweise um rund fünf Prozent an.

Am deutschen Aktienmarkt ging es für Deutsche Bank und Commerzbank ebenfalls deutlich nach oben. Der Leitindex . Auch an den Börsen der Nicht-Euro-Mitglieder Großbritannien und Zürich gehörten Titel wie Lloyds Banking Group, Barclays und Credit Suisse zu den Favoriten der Anleger. Der Branchenindex Stoxx Europe 600 Banks führte mit plus 3,37 Prozent die europäische Branchenübersicht an.

Nach langem Widerstand hat sich die Regierung in Madrid nun doch für einen Antrag auf Finanzhilfen aus den Euro-Rettungsfonds zur Rekapitalisierung seiner Banken durchgerungen. Wirtschaftsminister kündigte entsprechende Schritte an, nannte jedoch noch keine genaue Summe. Die Euro-Finanzminister erklärten sich noch am Wochenende bereit, dem Land einen Kreditrahmen von bis zu 100 Mrd. Euro zur Verfügung zu stellen. Der Umfang ist größer als von vielen Investoren erwartet.

Das Hilfsersuchen stieß jedoch bei weitem nicht überall auf Begeisterung. Mit scharfen Worten kritisierte zum Beispiel der Wirtschafts-Nobelpreisträger das europäische Hilfsprogramm für Spaniens Banken. Stiglitz bezeichnete das Vorgehen der Europäer als "Voodoo-Ökonomie", und damit in etwa als symbolische Bekämpfung von Symptomen, ohne den Kern des Problems anzugehen.

Ein Blick von außen: Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz (Archivbild).

Ein Blick von außen: Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz (Archivbild).

(Foto: REUTERS)

"Das System ist: Die spanische Regierung rettet die spanischen Banken, und die spanischen Banken retten die spanische Regierung", erklärte Stiglitz in einem Interview, das kurz vor dem offiziellen spanischen Hilfsersuchen geführt worden war. Eine Rettung nach dem genannten System könne, so Stiglitz weiter, nicht funktionieren.

Stattdessen müsse Europa die Schaffung eines gemeinsamen Bankensystems und einer Fiskalunion vorantreiben. "Man muss sich dem zugrundeliegenden Problem stellen, und das ist: das Wachstum zu fördern", sagte der frühere Wirtschaftsberater des ehemaligen US-Präsidenten Bill Clinton.

"Komplett falsche Diagnose"

Stiglitz gilt seit jeher als scharfer Kritiker von Sparprogrammen. "Deutschland hält daran fest, dass die Stärkung durch Haushaltsdisziplin kommt, aber das ist ein komplett falsche Diagnose", warnte Stiglitz. Der Preis, den Deutschland für einen Zerfall des Euro zahlen müsse, sei höher als der Preis für die Rettung der Gemeinschaftswährung.

Stiglitz warnt davor, die Dynamik der Märkte zu unterschätzen. Die Krise sei akut und die einzige Chance sei ein Ja aus Deutschland zu einer . "Kommt es nicht dazu, wird das System ziemlich schnell auseinanderfallen", meinte der Wirtschaftsprofessor.
Eine Bankenunion mit einer gemeinsamen Einlagenversicherung und einem wäre seiner Ansicht nach vermutlich tatsächlich der erste Schritt zu einer Lösung der Krise.

An den Märkten sorgten die Ankündigungen aus Madrid und Brüssel zum Wochenstart hingegen für erheblichen Wirbel: In den vergangenen Wochen waren die Börsen von der Angst beherrscht, die Krise in der viertgrößten Volkswirtschaft der Eurozone könne sich noch stärker ausweiten und die Weltkonjunktur zusätzlich belasten. Diese Last schien zunächst von den Marktteilnehmern abzufallen.

Im Devisenhandel bejubelten Analysten den "spanischen Etappensieg": Der zog gegenüber dem Dollar zunächst kräftig an und erreichte zum Wochenstart mit Notierungen jenseits der 1,2660er-Linie den höchsten Stand seit dem 23 Mai. Für eine zusätzlich aufgehellte Stimmung sorgten hier zudem günstig ausgefallene Konjunkturdaten aus China.

Am Bond-Markt entweicht der Druck

Die Anleihemärkte Spaniens und Italiens reagierten mit starken Kursgewinnen auf die geplante Rettung der spanischen Banken. Am Vormittag legten die Kurse für Staatsanleihen vor allem in den kurzen Laufzeiten deutlich zu. Entsprechend gaben die Risikoaufschläge zu deutschen Anleihen spürbar nach. Sichere Anlagen, zu denen insbesondere deutsche Staatspapiere zählen, gerieten hingegen unter Druck. In den Wochen zuvor waren die Risikoaufschläge Spaniens auf immer neue Rekordstände gestiegen.

In der kurzen Laufzeit von zwei Jahren sank die Rendite - also die Kombination aus Nominalzins und Kurswert - für spanische Staatsanleihen erstmals seit über zwei Wochen unter die Marke von 4 Prozent. Im Tief lag sie bei 3,95 Prozent. Das waren mehr als 20 Basispunkte weniger als am Freitag. Ähnlich deutlich gab der Zins für italienische Papiere mit zweijähriger Restlaufzeit nach. Hier lag die Rendite bei etwa 3,7 Prozent. Auch Staatsanleihen von Portugal und Irland konnten von der Entwicklung profitieren.

Im richtungsweisenden Zehnjahresbereich nahm der Druck ebenfalls ab. Die Rendite für spanische Papiere sank um rund 20 Basispunkte auf 5,99 Prozent. Sie lag damit knapp unter der Marke von 6,0 Prozent, die an den Finanzmärkten als Signalschwelle gilt. Italienische Staatsanleihen rentierten zuletzt mit 5,6 Prozent. Das war ebenfalls deutlich weniger als zum Wochenausklang.

Am deutschen Anleihemarkt zeigte sich ein entgegengesetztes Bild. Hier legten die Renditen spürbar zu, die Anleihekurse gerieten entsprechend unter Druck. Der Effektivzins für zehnjährige Staatsanleihen stieg auf bis zu 1,42 Prozent. Dennoch bleibt das Renditeniveau in Deutschland so niedrig wie selten zuvor. Beispielsweise liegt die Rendite zweijähriger Staatstitel immer noch knapp über null Prozent. Ausschlaggebend hierfür ist die große Verunsicherung der Anleger, was zu einer Flucht in sichere Anlagen führt. Deutschland gilt als einer der letzten verlässlichen Schuldner im Währungsraum.

Ist die Krise eingedämmt?

Die Analysten der Commerzbank zweifelten allerdings, dass die Erleichterung von Dauer sein wird. "Schließlich hat Madrid nun erklärt, dass es derzeit nicht in der Lage ist, seinen Finanzbedarf vollständig über den Kapitalmarkt zu decken. Es ist aus unserer Sicht zweifelhaft, ob sich nach diesem Eingeständnis auf Dauer genug Investoren für spanische Staatsanleihen finden werden", warnten die Analysten.

Sie fürchten zudem, dass nun auch stärker in den Fokus rücken könnte. "Einmal mehr könnten die politisch Verantwortlichen in der Eurozone am Ende feststellen, dass sie den Markt nicht überzeugen konnten", schrieben die Commerzbank-Experten weiter.

"Fundamental gesehen ist der spanische Hilfsantrag ein wichtiger Schritt, da nun Geld vorhanden ist, um die Banken des Landes zu retten", fasste dagegen BNP-Paribas-Analyst Philippe Gijsels die Lage zusammen. "Dennoch heißt das nicht, dass die Märkte nun durchstarten können. Strukturelle Reformen und Wachstum sind weiterhin gefragt."

Noch sind viele Fragen offen

"Der Hilfsantrag eliminiert zumindest einen Unsicherheitsfaktor", stimmte die Renten-Experten der WestLB zu. Der spanische Antrag falle zudem "deutlich weniger kostspielig aus als ein ausgewachsenes Rettungspaket, das schnell die verbleibenden Mittel zur Erhaltung der 'Brandmauer' für die Finanzmärkte in Frage gestellt hätte. Dennoch dürfte sich die Erleichterung der Anleger im Vorfeld der griechischen Wahlen am kommenden Wochenende in Grenzen halten."

Ebenfalls kritisch äußerten sich Beobachter in Japan: "Die Unsicherheiten bleiben", sagte Takao Hattori, Analyst bei Mitsubishi UFJ. "Offen ist, auf welchem Weg die Gelder an die spanischen Banken gezahlt werden, wie das Ergebnis der Wahlen in Griechenland ist und wie sich die Situation in Peripherieländern wie Italien entwickelt."

Das Volumen des angekündigten Krediterahmens von bis zu 100 Mrd. Euro ließ Devisenanalyst Lutz Karpowitz unbeeindruckt. "Mit dieser Summe signalisieren sie (die Finanzminister) letztlich, dass geklotzt und nicht gekleckert werden soll", kommentierte der Commerzbank-Experte die Entscheidung.

Spanien gesteht Schwächen ein

"Wie lange die gute Stimmung am Devisenmarkt anhalten wird, hängt vor allem davon ab, was mit den spanischen Renditen passiert", ergänzte Karpowitz mit Blick auf die ersten Reaktionen am Kapitalmarkt. "Zwar könnten diese zunächst sinken, da die Finanzminister mit ihrem schnellen Handeln ein Zeichen der Solidarität innerhalb der Eurozone gesetzt haben." Allerdings sei nun auch klar, dass Spanien "seine Dinge nicht allein regeln kann".

Alle bisherigen Hilfsprogramme hätten in den Empfängerländern lediglich kurzfristig für Erleichterung gesorgt. "In Spanien könnte das nicht anders sein", meinte der Coba-Experte.

Quelle: ntv.de, mmo/AFP/DJ/dpa/rts

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