Schuldenkrise erreicht Arbeitsmarkt Personaler treten auf die Bremse
27.06.2012, 12:25 Uhr
Verzögerte Auswirkungen: Die Schuldenkrise macht sich am deutschen Arbeitsmarkt bemerkbar.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es ist soweit: Die wirtschaftlichen Probleme Europas schlagen auf den deutschen Arbeitsmarkt durch: Die Bundesagentur für Arbeit registriert im Juni einen deutlich gebremsten Personalbedarf. Parallel dazu messen Wirtschaftsforscher im Frühsommer ein abgekühltes Wachstum. Die deutsche Wirtschaft verliert offenbar an Fahrt.

Auf dem vorläufigen Höhepunkt des deutschen Jobwunders? Wirtschaftsminister Rösler, Arbeitsministerin von der Leyen und der Chef der Arbeitsagentur Weise werben um Fachkräfte (Archivbild).
(Foto: picture alliance / dpa)
Die deutschen Unternehmen suchen angesichts deutlicher Signale einer Konjunkturabkühlung so wenige Mitarbeiter wie seit fast einem Jahr nicht mehr. Der Stellenindex der Bundesagentur für Arbeit fiel im Juni um sechs auf 165 Punkte. Das ist der niedrigste Wert seit Juli 2011.
"Angesichts der Eintrübung der Konjunkturprognosen zeigen sich die Unternehmen offensichtlich vorsichtiger, was weitere Neueinstellungen angeht", teilte die Bundesagentur dazu mit.
Trotz des deutlichen Rückgangs bleibe die Nachfrage nach Arbeitskräften aber auf hohem Niveau. "Großen Bedarf hat weiterhin die Zeitarbeit, gut jede dritte Arbeitsstelle wird aus diesem Feld gemeldet", hieß es. "Auch im Groß- und Einzelhandel, in der Bauinstallation, in der Gastronomie oder im Gesundheits- und Sozialwesen werden zahlreiche neue Mitarbeitende gesucht." Viele Branchen vermelden gegenüber dem Vorjahr ein Plus, welches jedoch von Monat zu Monat kleiner wird.
Überdeutliche Anzeichen
Zuletzt mehrten sich die Hinweise auf einen Abschwung: Exporte, Produktion und Industrieaufträge gingen zurück, die von Anlegern und Analysten fielen so stark wie seit 1998 nicht mehr, während der nach zwei Rückgängen in Folge auf dem niedrigsten Wert seit März 2010 liegt. Grund für die sich abzeichnende Schwäche ist nach Einschätzung der Experten vor allem die Schuldenkrise. Viele Euro-Länder müssten trotz Rezessionsgefahren weiter sparen. Staatliche Ausgaben gingen zurück. Zugleich schwächt sich auch die Weltkonjunktur weiter ab.
Die deutsche Wirtschaft hat aus Sicht des DIW im zweiten Quartal deutlich an Fahrt verloren. Das Bruttoinlandsprodukt habe nur um knapp 0,2 Prozent zugenommen, teilte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) mit. .
Auch für das Sommerhalbjahr sei Skepsis angesagt: "Die Krise im Euroraum dürfte die Exporte merklich dämpfen und zu einer wieder zunehmenden Zurückhaltung bei der inländischen Nachfrage beitragen", erklärte DIW-Konjunkturchef Ferdinand Fichtner. Kurzfristig könne sich auch die Lage auf dem Arbeitsmarkt wieder etwas verschlechtern.
Deutschland droht Stagnation
Langfristig bleiben die Aussichten für die deutsche Konjunktur nach Einschätzung des DIW jedoch gut. Eine "expansivere Geld- und Finanzpolitik in den Schwellenländern" treibe das Wachstum im Euroraum an. Steigende Einkommen würden auch bei den Konsumausgaben der Haushalte für ein kräftiges Plus sorgen. Zudem begünstigten gesunkene Energiepreisen in Deutschland die private Nachfrage.
Auch das private Forschungsinstitut Kiel Economics warnte vor einem abrupten Ende von Aufschwung und Jobwunder. Ab dem vierten Quartal könnte Deutschland sogar in eine etwa ein Jahr lang andauernde Stagnationsphase abrutschen, zitierte das "Handelsblatt" aus einer Prognose des Instituts. Die deutsche Konjunktur werde sich der Schwäche der Eurozone nicht mehr lange entziehen können.
Im Euroland Italien hat sich die Stimmung in den Chefetagen der italienischen Unternehmenslandschaft unterdessen trotz der verschärften Schuldenkrise überraschend aufgehellt.
Der Index für das Geschäftsklima stieg im Juni auf 86,8 Zähler von revidiert 84,2 Punkten, wie das nationale Statistikamt Istat mitteilte. Analysten hatten eine weitere Eintrübung erwartet. Noch im Mai war das Klima so schlecht wie seit rund drei Jahren nicht mehr. Für Auftrieb sorgte nun insbesondere ein aufgehellter Ausblick bei der Produktion. Anders als in Italien hatte sich in Deutschland das vom Ifo-Institut ermittelte Geschäftklima im Juni den zweiten Monat in Folge eingetrübt.
Frische Zahlen zum EU-Gipfel
Die Schuldenkrise und der harte Sparkurs der Regierung haben Italiens Wirtschaft zurück in die Rezession getrieben. Im ersten Quartal schrumpfte die drittgrößte Wirtschaft der Eurozone um 0,8 Prozent. Italien zählt zu den zehn wichtigsten Handelspartnern Deutschlands.
Im Hinblick auf die Auswirkungen am deutschen Arbeitsmarkt steht noch in dieser Woche Aufklärung an: Die Bundesagentur gibt am kommenden Donnerstag die Arbeitslosenzahlen für Juni bekannt. Erwartet wird ein Rückgang auf 2,8 Millionen, nach 2,855 Millionen im Mai. Während die Arbeitslosenzahlen mit etwa sechs Monaten Verzögerung auf Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen reagieren, gilt die Bereitschaft der Unternehmen, neue Mitarbeiter einzustellen, als frühes Signal für Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa/rts