Wirtschaft

Hoher Personalverschleiß bei der EZB Asmussen dementiert Gerüchte

"Es wird immer noch als ungewöhnlich empfunden, sich als Mann für seine Familie zu entscheiden": Jörg Asmussen gilt als renommierter Verhandlungstaktiker (hier im Bild mit Bundesbank-Chef Jens Weidmann, l.).

"Es wird immer noch als ungewöhnlich empfunden, sich als Mann für seine Familie zu entscheiden": Jörg Asmussen gilt als renommierter Verhandlungstaktiker (hier im Bild mit Bundesbank-Chef Jens Weidmann, l.).

(Foto: picture alliance / dpa)

An der Spitze der Europäischen Zentralbank verliert Deutschland eine seiner einflussreichsten Stimmen. Mit Jörg Asmussen zieht sich eine zentrale Figur aus dem Krisenmanagement der Eurozone zurück - aus rein familiären Gründen, wie er betont. Kann das stimmen?

"Mario Draghi und ich bleiben uns freundschaftlich verbunden": Künftig kümmert sich Asmussen (l.) um Themen wie den deutschen Mindestlohn.

"Mario Draghi und ich bleiben uns freundschaftlich verbunden": Künftig kümmert sich Asmussen (l.) um Themen wie den deutschen Mindestlohn.

(Foto: picture alliance / dpa)

Auch zwei Tage nach Bekanntgabe der spektakulärsten Personalie aus der laufenden Regierungsbildung in Deutschland sieht sich Jörg Asmussen mit anhaltenden Spekulationen konfrontiert. Angeheizt wird die Gerüchteküche durch seine bemerkenswerte Karriereentscheidung .

Asmussen beendet seine Amtszeit bei der Europäischen Zentralbank (EZB) nicht nur vorzeitig nach nur knapp zwei Jahren. Der 47-jährige gibt darüber hinaus auch einen überaus einflussreichen und gut dotierten Posten auf, um ihn für eine untergeordnete Rolle im Berliner Arbeitsministerium einzutauschen. Asmussen werde dort wohl nur gut die Hälfte verdienen, heißt es. Aller Voraussicht nach bekommt er unter seiner neuen Chefin Andrea Nahles auch deutlich weniger Macht, Einfluss und Entscheidungsspielraum.

Was treibt einen Mann wie Asmussen zu dieser Entscheidung? Selbst für langjährige EZB-Beobachter sei Asmussens Entschluss, seine Rolle als Europas Krisenpolitiker aufzugeben, "vollkommen überraschend" gekommen, berichten Beobachter aus dem Umfeld der Notenbank. Schließlich saß der Finanzfachmann aus Deutschland dort im wichtigsten Führungsgremium, dem sechsköpfigen EZB-Direktorium.

Aus dem Lebenslauf

Jörg Asmussen, geboren 1966 in Flensburg, verheiratet, zwei Kinder

Ausbildung

  • MBA, Uni Mailand (1992)
  • Diplom-Volkswirt, Uni Bonn (1994)

Laufbahn

  • 1994-1996: Projektleiter im Bereich Europäische Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik am ISG Köln
  • 1996-1998: IWF-Referent für internationale Wirtschafts- und Währungsentwicklung, Wirtschaftsgipfel im Bundesministerium der Finanzen
  • 1998-2003: BMF-Referent für europäische Finanz- und Währungspolitik, finanzielle Grundsatzfragen
  • 2003-2008: Leiter der Abteilung Finanzmarktpolitik im BMF
  • 2008-2011: Staatssekretär im BMF
  • Seit Januar 2012: Mitglied im EZB-Direktorium

Ämter

  • Deutscher Vertreter auf Staatssekretärsebene im G-7- und G-20-Finanzministerprozess (2008-2011)
  • Mitglied des Rates für Finanzstabilität (2008-2011)
  • Stellvertretender Gouverneur bei der Weltbank (2008-2011)
  • Bafin-Verwaltungsratsvorsitzender (2008-2011)
  • Vorsitzender im Lenkungsausschusses des FMSA (2008-2011)
  • Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Telekom AG (2008-2011)
  • "Sherpa" der Bundeskanzlerin beim G20-Treffen (2011)
  • Vorsitzender der G20-Arbeitsgruppe zum internationalen Währungssystem (2011)

(Quelle: ecb.europa.eu, Auswahl)

Asmussen galt als wichtigste Stimme einer stabilitätsorientierten Linie in bester Tradition der Deutschen Bundesbank - und damit als wichtigster Spieler im Team von Bundesbank-Chef Jens Weidmann. Im Kreis der obersten Währungshüter Europas fungierte Asmussen als eine Art informeller "Außenminister". Im Auftrag der EZB war er ständig unterwegs und in allen Krisengebieten der Eurozone präsent. Für EZB-Präsident Mario Draghi musste der begabte "Strippenzieher" dabei den Sorgenkindern der Währungsgemeinschaft allzu oft auch höchst unangenehmen Vorgaben überbringen.

Familie vor Karriere

In zähen Verhandlungen auf europäischer Ebene galt Asmussen stets als geeignete Fachkraft für schwere Aufgaben und als kompromissloser Verfechter harter Sparvorgaben. Dazu kommt: Noch im Herbst hatte Asmussen betont, bis Ende 2019 als Mitglied im EZB-Direktorium zur Verfügung stehen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt wurde Asmussen in Parteikreisen zeitweise sogar als möglicher Nachfolger von Wolfgang Schäuble und künftiger Bundesfinanzminister gehandelt.

Der Wechsel nach Berlin ist nun alles andere als ein Aufstieg - und bietet scheinbar idealen Nährboden für Gerüchte. Waren es die Franzosen, die den hellwachen und in harten Fakten denkenden Deutschen loswerden wollten? Hat der Experte für europäische Währungs- und Finanzpolitik den Bogen in Athen überspannt? Gab es etwa Streit zwischen Asmussen und dem zeitweise einsam kämpfenden Kollegen Weidmann? Oder versucht sich eine "italienische Fraktion" mit ihren liquiditätsorientierten Linien in Frankfurt durchzusetzen?

Vor dem Abschied aus der Frankfurter EZB-Zentrale muss Asmussen mittlerweile sogar ein angebliches Zerwürfnis mit EZB-Präsident Draghi dementieren. Weiterhin führt der scheidende EZB-Direktor für seinen Wechsel nach Berlin ausdrücklich und ausschließlich familiäre Gründe an.

"Der Dienstsitz Frankfurt und die häufigen Dienstreisen sind mit dem Familienwohnsitz Berlin und insbesondere meinen beiden sehr jungen Kindern auf Dauer nicht zu vereinbaren", sagte er im Interview mit der "Süddeutschen Zeitung". Seine Erklärung für die anhaltende Debatte um seine Person klingt ebenso einfach wie plausibel: Dass es Spekulationen über andere Motive gebe, liege daran, "dass es immer noch als ungewöhnlich empfunden wird, sich als Mann für seine Familie zu entscheiden".

Nummer 3 nach Stark und Weber

Skeptische Beobachter überzeugt der als ehrgeizig und durchsetzungsstark geltende Politik-Veteran damit nicht. Unter der künftigen Bundesarbeitsministerin Nahles wird Asmussen als beamteter Staatssekretär nicht nur nach Berlin zurück wechseln. Er übernimmt auch eine Position, auf der er bereits vor seinem Wechsel zur EZB im Finanzministerium gearbeitet hatte.

So einfach aus dem Weg räumen, kann Asmussen die aufkommenden Bedenken also nicht. Seine Entscheidung sorgte auch deshalb für Aufsehen, weil er nach Jürgen Stark und Axel Weber bereits der dritte deutsche Vertreter ist, der vorzeitig aus dem EZB-Rat ausscheidet. Ist der Druck auf die deutschen Positionen wirklich so groß, dass sich selbst hartgesottene Politik-Profis im Führungsgremium der Zentralbank aufreiben?

Asmussen betonte, die Bundesrepublik werde als stärkste Volkswirtschaft der Eurozone ihren Einfluss in der Europäischen Zentralbank auch künftig geltend machen können. Als Nachfolgerin Asmussens im EZB-Direktorium wird in Berliner Regierungskreisen Bundesbank-Vizepräsidentin Sabine Lautenschläger gehandelt. "Im Übrigen war und ist der EZB-Präsident zu jedem Zeitpunkt über mein Vorgehen informiert gewesen, ebenso die Spitzen der SPD und der Bundesregierung. Mario Draghi und ich bleiben uns freundschaftlich verbunden", sagte er.

Der 47-Jährige kennt seine künftige Dienstherrin Nahles nach eigenem Bekunden schon lange. Nahles habe ihn vergangenen Donnerstag angerufen und ihm persönlich das Angebot gemacht, Staatssekretär zu werden. "Ich habe dieses Angebot gerne angenommen", sagte Asmussen.

Quelle: ntv.de, mmo

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