Wirtschaft

Der ganz große Krisengipfel Was in Cannes passieren kann

Zum Gipfel an die Cote d'Azur: eine Idee von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.

Zum Gipfel an die Cote d'Azur: eine Idee von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.

(Foto: AP)

Stumpf blicken müde Zeitgenossen dem anstehenden G20-Treffen entgegen. Nach drei Jahren Dauerkrise und unzähligen Euro-Gipfeln ist das Interesse erlahmt. Doch Achtung: In Cannes steht nichts weniger zur Debatte als die Rettung der überschuldeten Industriestaaten. Denn ohne China und Indien wird das nicht gelingen.

"Da wird doch wieder nichts entschieden", maulen Beobachter mit Blick auf das anstehende Gipfeltreffen in Cannes. Seit Jahren jage ein Großereignis das nächste, heißt es. Und was sei dabei schon herausgekommen? Ist das nicht nur Polit-Show auf allerhöchster Ebene?

"Globales Wachstum jenseits der Krise", tönte es im vergangenen Jahr vom G20-Gipfel in Seoul. Viel Wachstum hat die Welt seitdem nicht gesehen. Ein halbes Jahr zuvor, in Toronto wollten sich die Großen und Mächtigen noch auf verbindliche Defizitziele bis 2013 verpflichten, und den Beginn des Schuldenabbaus ab 2016. In Pittsburgh 2009 war sogar davon die Rede, man müsse den "Klimawandel endlich ernst nehmen". Was daraus wurde, ist bekannt.

Hier soll sich die Magie der Macht entfalten: der Tagungssaal in Cannes.

Hier soll sich die Magie der Macht entfalten: der Tagungssaal in Cannes.

(Foto: REUTERS)

Auf Nachsicht oder Geduld können die Staats- und Regierungschefs der 20 einflussreichsten Wirtschaftsnationen nicht mehr hoffen: Die Öffentlichkeit ist der vielen Krisensitzungen überdrüssig. In vielen Staaten brodelt es, die Unzufriedenheit ist beinahe mit Händen zu greifen. Doch selbst die aktivsten G20-Kritiker wirken mittlerweile etwas gipfelmüde: Mächtige Protestwellen wie noch zu den G8-Gipfeln in Genua oder Heiligdamm sind nicht in Sicht. Stattdessen kampieren Globalisierungsgegner Zelt an Zelt mit den Unterstützern der "Occupy"-Bewegung friedlich, aber frierend in Steinwurfweite der globalen Finanzzentren.

Wird es also ein ruhiger Gipfel in Cannes? Wenn die Vorbereitungen der französischen Sicherheitskräfte als Maßstab gelten, dann mit Sicherheit nicht. Seit Tagen befindet sich die Mittelmeerküste rund um den Tagungsort im Ausnahmezustand. In Frankreich gilt höchste Sicherheitsstufe, es gibt das volle Programm: Taucher tasten den Hafenboden ab, Polizisten sichern die Straßen, Hunde schnüffeln nach Sprengstoffspuren, Gulli-Experten verschweißen Kanaldeckel, Hubschrauber kreisen in der Luft.

Brisantes Material mit politischer und sozialer Sprengkraft findet sich bislang allerdings nur auf der Gipfel-Agenda: Dort stehen eine ganze Reihe von Punkten, die geeignet sind, das Leben und die Chancen von Milliarden von Menschen unmittelbar zu beeinflussen. Um was geht es in Cannes? Experten achten vor allem auf Entscheidungen zu folgenden Themen:

Krise der Weltwirtschaft: "Der inhaltliche Schwerpunkt ist ohne Zweifel die weltwirtschaftliche Entwicklung", hieß es im Vorfeld des Gipfels. Nicht nur der Internationale Währungsfonds ( ) und die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ( ) fordern konkrete Ansätze, wie Industriestaaten und Schwellenländer die Unsicherheit in der Weltwirtschaft endlich wirksam bekämpfen können. Eng damit verbunden sind die Schuldenkrise und die Frage nach der ...

"Es ist kein Kinofilm": Beim Gipfel geht es um Chancen, Jobs und Menschenleben.

"Es ist kein Kinofilm": Beim Gipfel geht es um Chancen, Jobs und Menschenleben.

(Foto: Reuters)

Zukunft des Euro: Gerade noch rechtzeitig vor dem großen Finale der französischen 20-Präsidentschaft in Cannes . Sie wollten dort die Beschlüsse des Euro-Gipfels für ein umfassendes Rettungspaket für Griechenland und andere Schulden-Problemfälle im Währungsraum präsentieren, das wieder Ruhe in die Märkte bringen soll. Doch nach der Ankündigung der griechischen Regierung, das Volk über das Hilfskonzept abstimmen zu lassen, erscheint das illusorisch. Europa dürfte in Cannes nun doch noch zum Großthema werden. Bereits am Mittwoch, einen Tag vor Beginn des Gipfels, werden Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy den griechischen Premier Giorgos Papandreou ins Gebet nehmen. In gewisser Weise ist der jedoch das geringste Problem: Nur wenn die Vertreter der Schwellenländer ihre volle Unterstützung zusagen, haben die Europäer eine Chance, die Turbulenzen einer unter Umständen drohenden harten Staatspleite zu überstehen. Um hier zu einem gemeinsamen Ansatz zu kommen, müssen sich die Staaten aber auch auf verbindliche Lösungen einigen für die ...

Globalen Ungleichgewichte: Die Weltwirtschaft steht mit viel zu viel Gewicht auf viel zu dünnen Beinen. Die ungleiche Verteilung von Import- und Exportüberschüssen haben in jahrelanger Fehlentwicklung gewaltige Geld- und Schuldenberge aufgetürmt. Die wachsenden Ungleichgewichte gelten seit langem als globales Mega-Krisenrisiko. Zwei Ansatzpunkte will die G20 in Cannes beschließen: Der Aktionsplan "für ein starkes, nachhaltiges und ausgewogenes Wachstum" soll endlich "Zähne" bekommen. Im Klartext: Für Länder und Ländergruppen wie die Eurozone sollen verbindliche Grenzwerte festgezurrt werden. Läuft die Entwicklung in einem Staat aus dem Ruder, soll es konkrete Empfehlungen für Strukturreformen geben. Und Punkt 2: Eine Reform des Weltwährungssystems soll Stabilität in die Devisenströme tragen. Das soll die Nervosität dämpfen und exorbitante Kursschwankungen verhindern. Das ist auch Ziel der ...

Wochenlange Urlaubssperre: Französische Spezialeinsatzkräfte stehen demonstrativ bereit.

Wochenlange Urlaubssperre: Französische Spezialeinsatzkräfte stehen demonstrativ bereit.

(Foto: REUTERS)

Reform der Weltwährungen, ein erklärtes Lieblingsprojekt des französischen Gastgebers. Der Gipfel dürfte dabei wohl einem Grobkonzept aus deutscher Feder folgen. Es beschreibt den Weg zu einem auf mehreren Welt-Währungen beruhenden System. Die Devisen der der wichtigsten Schwellenländer, wie China oder Brasilien, sollen eine stärkere Rolle spielen. Am System der flexiblen Wechselkurse will man grundsätzlich festhalten. Mit großen Worten hatte Sarkozy die Neuordnung des Weltwährungssystems als Schwerpunkt der französischen G20-Präsidentschaft ausgegeben. Der Startschuss für das Ende des US-Dollars als Welt-Leitwährung schien bereits gefallen. Inzwischen ist sehr viel nüchterner von einem "evolutionären" Prozess die Rede. Um Stabilität und Sicherheit geht es auch bei der Regulierung von ...

Mega-Banken und Schattenfonds, einem Langzeitprojekt, das nach der Lehman-Krise dringender Bearbeitung bedarf. Zwei hoch gefährliche Sprengsätze liegen nach wie vor weitgehend unreguliert am Finanzmarkt: die grenzüberschreitend tätigen, riesigen Finanzkonzerne (Sifis), deren Wanken das gesamte Finanzsystem zum Einsturz bringen kann, und die sogenannten Schattenbanken wie Hedgefonds, Geldmarktfonds und andere Finanzakteure. Das soll sich in Cannes nun ändern. Ihnen sollen - zunächst geht es nur um 29 Banken, nicht um Versicherungen und Fonds - höhere Kapitalpuffer abverlangt werden, damit bei neuen Problemen nicht schon wieder der Steuerzahler einspringen muss. Und es geht um Instrumente, diese Riesen notfalls bei einer Pleite einigermaßen geordnet abwickeln zu können, ohne dass das gesamte Finanzsystem wackelt. Ein echter Durchbruch wäre es auch, wenn die Briten und Amerikaner den Europäern auf einer ganz anderen Baustelle vorankämen. Weit oben auf der Liste der G20 steht die Einführung einer ...

Finanztransaktionssteuer: Die umstrittenen Steuer auf Geschäfte am Finanzmarkt kann ihre volle Wirkung erst entfalten, wenn sie weltweit gilt. Von der französischen G20-Präsidentschaft wird sie unter der Überschrift "Entwicklung" behandelt. Vor allem Deutschland und Frankreich sprechen sich für eine solche Abgabe aus. Da Briten und Amerikaner kaum zustimmen dürften, ist dieser Gipfel für Deutschland und Frankreich nur ein Zwischenschritt, denn notfalls wollen sie die Steuer zumindest in der Eurozone umsetzen. Mehr Kooperationsbereitschaft besteht wohl bei der Preisexplosion im Handel mit ...

Ein schlichtes Motto: "Neue Welt, neue Ideen".

Ein schlichtes Motto: "Neue Welt, neue Ideen".

(Foto: REUTERS)

Nahrungsmitteln: Der rein spekulative Handel mit Rohstoffen hat massiv zugenommen, da inzwischen auch Nahrungsmittel, wie etwa Weizen, auf der Wunschliste von Finanzinvestoren auftauchen. Das Volumen von Finanzgeschäften auf der Basis solcher Rohstoffe übersteigt inzwischen deren physischen Warenwerte um ein Mehrfaches. Hinter dieser Frage verbirgt sich politischer und sozialer Sprengstoff. Der Gipfel in Cannes soll zumindest ein Signal setzen für mehr Aufsicht und mehr Informationspflichten. Rein spekulativen Finanzgeschäften mit lebensnotwendigen Rohstoffen sollen Grenzen gesetzt werden. Verschärft vorgehen wollen die G20-Staaten auch im Kampf gegen die ....

Korruption: Ihre Bekämpfung hat Sarkozy ebenfalls zu einem Schwerpunktthema erhoben. Weit mehr als eine Billion Dollar sollen laut Weltbank weltweit Jahr für Jahr in dunklen Kanälen versickern. Ein hartes Vorgehen dürfte sich durchaus lohnen. In Cannes soll es darum gehen, neue internationale Standards zu vereinbaren und diese auch durchzusetzen. Damit soll das Ausmaß von Korruption, Geldwäsche und Steuerhinterziehung zumindest begrenzt werden.

Für Bootsbesitzer besonders praktisch: Das Tagungszentrum befindet sich direkt am Jachthafen.

Für Bootsbesitzer besonders praktisch: Das Tagungszentrum befindet sich direkt am Jachthafen.

(Foto: REUTERS)

Die Liste der Staats- und Regierungschefs ist also ziemlich umfangreich. Manche Einzelfragen mögen abstrakt klingen, sind aber in jedem Fall direkt und unmittelbar mit dem Geldbeutel jedes einzelnen Bürgers verknüpft. Schließlich geht es bei Fragen der Finanzmarktregulierung um den Schutz von Steuergeldern und der Absicherung von erspartem Vermögen. Die Schwankungen im Währungshandel können sich umgehend auf Jobchancen und Arbeitsplätze auswirken, wie zuletzt die beiden Beispiele Schweiz und Japan gezeigt haben. Und beim Thema Rohstoffhandel bedarf es keiner weiteren Erklärungen: In schwach entwickelten Staaten hängen von erschwinglichen Preisen für Grundnahrungsmittel Menschenleben ab.

Das Gefälle kippt

Die Mächtigen dieser Welt treffen sich erst seit 1999 in vergrößerter Runde. In den vergangenen Jahren wurde dabei immer deutlicher, dass ohne Abstimmung mit gewichtigen Wirtschaftsmächten wie China Beschlüsse zur Weltwirtschaft vollkommen ins Leere laufen. Inzwischen haben die G20 der Runde der führenden Industrieländer und Russlands (G8) in Wirtschafts- und Finanzfragen den Rang abgelaufen. Wie stark sich die Zeiten geändert haben, das wird in diesen Tagen offensichtlich: In Cannes wird es aller Voraussicht nach sogar um Finanzhilfen der Schwellenländer für kränkelnde und überschuldete Industriestaaten gehen.

Nur eine Übung: Die französische Polizei ist auf fast alles vorbereitet.

Nur eine Übung: Die französische Polizei ist auf fast alles vorbereitet.

(Foto: REUTERS)

Die G20 ist ein informelles Forum und keine internationale Organisation, weshalb von Kritikern regelmäßig angeprangert wird, dass die Gruppe nicht dazu legitimiert sei, Beschlüsse für praktisch die gesamte Welt zu treffen. Mitglieder der G20 sind die Gruppe der sieben führenden Industrieländer (G7) bestehend aus den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Kanada und Japan; dazu kommen Russland und Staaten wie Australien, die Türkei, Saudi-Arabien und Südafrika. Vertreten sind außerdem die asiatischen Länder China, Indien, Indonesien und Südkorea sowie die lateinamerikanischen Staaten Argentinien, Brasilien und Mexiko. Das zwanzigste Mitglied der G20 ist kein Staat, sondern eine Staatengruppe: die Europäische Union.

Quelle: ntv.de, mit dpa/rts

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