Wirtschaft

Exit-Szenarien für Europa Was passiert, wenn Athen austritt

Er glaubt fest an die Zustimmung: Giorgos Papandreou.

Er glaubt fest an die Zustimmung: Giorgos Papandreou.

(Foto: AP)

Bis vor Kurzem noch war es ein absolutes Tabu: Ein Austritt aus der Währungsgemeinschaft ist im europäischen Denken schlicht nicht vorgesehen. Papandreous Plan, ein Referendum anzuhalten, hätte jedoch mehr über den Haufen geworfen als nur das mühsam ausgehandelte Rettungspaket. Was passiert, wenn die Eurozone Griechenland verliert?

Wer sprachlose Experten sehen will, braucht in diesen Tagen nicht lange zu suchen. Es genügt, dem nächstbesten Volkswirt ins Gesicht zu schauen. Wenige Tage nach dem als Durchbruch gefeierten Euro-Gipfel überraschte Griechenlands Regierungschef Giorgos Papandreou die Welt mit einem gewagten Plan. Er wollte das über Monate diskutierte Rettungspaket samt Sparauflagen der Bevölkerung in einem Referendum zur Abstimmung vorlegen. Was innenpolitisch erschien, wäre außenpolitisch weitaus mehr als nur eine rein griechische Katastrophe. Das Referendum ist mittlerweile wieder vom Tisch. Der Schrecken sitzt jedoch tief.

Bessere Chancen ohne den Euro?

Bessere Chancen ohne den Euro?

(Foto: dpa)

Was wäre passiert, wenn die Griechen - nach reiflicher Überlegung oder spontan - mit "Nein" gestimmt hätten? Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Kanzlerin Merkel haben die Konsequenzen klar und deutlich beschrieben. "Die Griechen müssen schnell und ohne Doppeldeutigkeit erklären, ob sie - ja oder nein - ihren Platz in der Eurozone behalten wollen", hieß es im ersten Ärger aus Paris und Berlin. Im Klartext: Die Griechen hätten die Wahl zwischen Euro-Rettung mit allen Härten gehabt – oder einem Austritt aus der Eurozone.

Welche Konsequenzen hat der Austritt? Leicht ist diese Frage nicht zu beantworten. Dafür sind die Folgen eines Euro-Exits zu stark abhängig von den Standpunkten und Blickwinkeln der Betroffenen. Und betroffen sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger Griechenlands oder die Banken Europas. Betroffen sind auch – und das ist nur eine knappe Auswahl – die Steuerzahler in Deutschland und im übrigen Europa im Allgemeinen sowie die Bevölkerung in Euro-Ländern wie Irland, Belgien, Portugal, Spanien und Italien im Besonderen.

Eine einfache Erkenntnis vorweg: Am härtesten träfe ein "Nein" zum Rettungspaket die Griechen selbst. Die Währungsgemeinschaft müsste entweder nachverhandeln – was kaum passieren wird – oder notgedrungen alle Hilfszahlungen einstellen, die Bürgschaften zurückziehen und die Unterstützung ihres derzeit schwächsten Mitglieds aufgeben. Die Gemeinschaft ließe Athen fallen. Damit wäre Griechenland pleite, es käme zu dem gefürchteten unkontrollierten Staatsbankrott. Der griechische Staat wäre sofort und mit allen praktischen Konsequenzen zahlungsunfähig.

Die Gewalt in den Straßen Athens droht zu eskalieren: Schon jetzt müssen Staatsdiener im Einsatz um ihr Leben fürchten.

Die Gewalt in den Straßen Athens droht zu eskalieren: Schon jetzt müssen Staatsdiener im Einsatz um ihr Leben fürchten.

(Foto: REUTERS)

Das heißt: keine Rente mehr für Rentner, keine Gehälter für Staatsbedienstete, keine Sozialleistungen mehr für Schwache und Hilfsbedürftige. Das griechische Bankensystem wäre am Ende. Die Verwaltung bräche zusammen. Mitten in einer ausgewachsenen Wirtschaftsmisere müsste Athen wohl eine Art Drachme einführen und komplett bei null anfangen – und das ohne Hilfe von außen, ohne Vertrauen am Kapitalmarkt, ohne irgendwelche Reserven. Von einem Plan, wie das Land wieder in Schwung gebracht werden kann, ganz zu schweigen. Griechenland würde sich aus einer schwierigen Situation mit Euro-Sparauflagen kopfüber in eine Phase voller Chaos und möglicherweise dramatischer Unwägbarkeiten stürzen. Hält das Land das aus? Kann der kleine Mann auf der Straße das wirklich wollen?

Genau hier liegt das Problem des an sich ehrenwerten Plans, das Volk per Referendum in die Lösung der Krise einzubeziehen. Denn wenn es stimmt, dass die Bevölkerung – wie  von Papandreou behauptet – über die "Weisheit und das Wissen" verfügt, die "richtigen Entscheidungen" zu treffen, die "den Verbleib des Landes in der Eurozone garantieren werden", dann hätten die Griechen ja eigentlich gar keine Wahl gehabt.

Die Franzosen sind schlimmer dran

Was aber brächte ein "Nein" zum Rettungspaket für die Betroffenen außerhalb Europas? Ein Austritt Griechenlands aus der Eurozone würde sofort den befürchteten Banken-Schock auslösen. Seit Monaten versuchen sich die großen Geldhäuser vorzubereiten, um mit einem offenbar harten Schlag eines im Rahmen einer kontrollierten Umschuldung Griechenlands zurechtzukommen. Schon das bringt einige Adressen zum Beispiel in Frankreich oder Österreich in extreme Schwierigkeiten. Im Fall einer ungeordneten Insolvenz müssten die Staaten umgehend neue Steuergelder zur Stützung der Banken aufbringen. Bräche auch nur ein einziges großes Haus zusammen, stünde die Welt aufgrund der globalen Verflechtungen vor einem neuen Lehman-Szenario.

Was heißt das für Länder wie ? Neue Stützungsaktionen im Bankensektor verschlängen weitere Milliarden an Steuergeldern, die im Staatshaushalt nicht nur fehlen, sondern auch den Schuldenstand weiter vergrößern würden. Schon jetzt hegen die Ratingagenturen Zweifel an der Top-Note "AAA" für Europas zweitgrößte Volkswirtschaft. Kommt es zur Herabstufung, muss Paris bald noch mehr Milliarden in den Schuldendienst stecken. Und Frankreich wäre dabei noch eines der kleineren Probleme.

Im Rahmen der europäischen Hilfsaktionen kauft die (EZB) seit Monaten Staatsanleihen geschwächter Euro-Staaten auf. Das Vorgehen ist schwer umstritten und gilt Kritikern als hochriskant. Insgesamt sitzen die Währungshüter - abseits von ihrem eigentlichen Auftrag - mittlerweile auf Papieren im Wert von rund 173 Mrd. Euro. Kommt es zur ungeordneten Insolvenz in Griechenland, dann stehen wohl bald auch Abschreibungen in der EZB-Bilanz an. Anders als im Fall der privaten Banken bringt das zwar keine anderen Häuser ins Taumeln. Das abgeschriebene Geld aber wäre verloren, die Mitgliedsstaaten müssten wohl mit Steuergeldern oder neuen Krediten nachschießen. 

Kommt es zur Kettenreaktion?

Weitaus härter als den deutschen Steuerzahler dürfte ein Austritt Griechenlands die Menschen in treffen. Wie sollte der Kapitalmarkt auf eine Stabilisierung dieser schwer verschuldeten Länder vertrauen können, wenn Athen ungeordnet in den Totalausfall rutscht? Die Ansteckungsrisiken wären plötzlich sehr real. Die Refinanzierung über die üblichen Kanäle wäre auf jeden Fall erschwert. Der Plan, sich langsam und vorsichtig aus dem Tal der Tränen herauszuarbeiten, müsste einen schweren Rückschlag verkraften.

Hektik auf dem G20-Gipfel in Cannes: Die Mimik der Staats- und Regierungschefs spricht Bände.

Hektik auf dem G20-Gipfel in Cannes: Die Mimik der Staats- und Regierungschefs spricht Bände.

(Foto: dpa)

Und: Die Währungsgemeinschaft müsste ihre Rettungsfonds umgehend und in glaubwürdigen Ausmaßen aufstocken – unter anderem mit Geld aus dem deutschen Steuertopf –, um weitere Staaten aufzufangen. Um es vorsichtig auszudrücken: Das wird dem Wähler hierzulande nicht gefallen. Es ist kaum vorstellbar, dass sich für einen solchen Kurs nach einem Absturz Griechenlands selbst im Europa-freundlichsten Parlament noch Mehrheiten gewinnen ließen.

Das größte Problem aber wäre : Selbst mit einem kooperativen Griechenland lassen sich die tiefen Risse im Fundament der italienischen Staatsfinanzen längst nicht mehr verbergen. Schon jetzt muss die . Zusätzliche Zweifel an einem gangbaren Weg aus der Schuldenkrise kann das Land nicht gebrauchen

Europa schafft sich ab

Für die Weltwirtschaft wäre der Fall klar. Europa fiele als Wachstumsmotor bis auf Weiteres aus. Neue Konjunkturzweifel wären die Folge. Nach einem "Nein" zum Rettungspaket bleibt der griechischen Regierung - unter Papandreou oder seinen Nachfolgern – nichts anderes übrig, als aus der Eurozone auszutreten. Dann steht das wirtschaftliche schwache Land nackt und ungeschützt alleine da – und Europa vor den Trümmern des großen Traums von gemeinsamen Wohlstand und Sicherheit.

Ist die Lage wirklich so düster? Nein: Denn vielleicht hätten die Griechen in einem Referendum mit "Ja" gestimmt.

Quelle: ntv.de

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