Euro-Gipfel verschafft nur Zeit Gefahr der Ansteckung bleibt
28.10.2011, 11:14 Uhr
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Mitnichten. Die Euro-Beschlüsse verschaffen aber die nötige Zeit für weitere Veränderungen.
Schuldenschnitt, große Beteiligung der Banken und Hebelung der EFSF: Die Märkte feiern die Gipfel-Beschlüsse mit einem Kursfeuerwerk. Aber die Ökonomen bleiben skeptisch. Die Situation in Euroland bleibt brenzlig. Kommt es hart auf hart, soll niemand sagen, es hätte uns kalt erwischt.
Die Hoffnungen auf einen Befreiungsschlag aus Brüssel wurden auf den ersten Blick erfüllt. Die unmittelbaren Reaktionen der Finanzmärkte scheinen dies zumindest erst einmal zu bestätigen. Die Frage ist nur, wie lange dieses Vertrauen, das sich Europa so schwer zurückerkauft hat, auch vorhält. Ob die Maßnahmen ausreichen, um die europäische Schuldenkrise in den Griff zu bekommen, sehen Ökonomen durchaus kritisch. Denn in der Eurozone brennt es nach wie vor an allen Ecken. Schuldenschnitt hin oder her, Griechenland ist noch längst nicht über den Berg und Italien ist gefährlich in den Brennpunkt der Krise gerutscht. Beides verheißt für die Zukunft nichts Gutes. Auch Deutschland ist letztlich vor einem Überspringen der Krise nicht gefeit.
Das Problem sei, dass es in der Schuldenkrise nicht um Zahlen gehe, sondern um Vertrauen, äußert Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, gegenüber n-tv.de. "Ist das Vertrauen einmal angeknackst, kann man fast machen, was man will." Da könne sich auch Italien strecken, wie es wolle. Zumindest für den Moment scheinen die Finanzmärkte der Krisenintervention der Eurostaaten aber einiges zuzutrauen.
Schuldenschnitt als Lösung?
Auch die Regierung in Athen ist zufrieden. Der vereinbarte Schuldenschnitt würde Griechenland Zeit zur Umsetzung wichtiger Reformen verschaffen, sagte Ministerpräsident Giorgos Papandreou. Ob der Schuldenschnitt aber wirklich dazu beiträgt, die Ansteckungsgefahren in der Währungsunion zu vermindern, darf zumindest in Frage gestellt werden. Schmieding ist davon nicht überzeugt. In seinen Augen verschlimmert er die Sache noch. Anleger, die in einer Ecke Europas 50 Prozent verloren haben, würden sich jetzt kaum in einer anderen Ecke Europas, die mittlerweile auch Vertrauensprobleme hat, engagieren, gibt Schmieding zu bedenken.

Ministerpräsident Papandreou begrüßt den Neustart für Griechenland.
(Foto: REUTERS)
Eine Finanzkrise ist und bleibt eine Frage des Vertrauens. Mit dem tatsächlichen Ernst einer Lage hat sie bisweilen wenig zu tun. "Die Euro-Staaten haben nicht Wort gehalten und das Vertrauen der Anleger gebrochen." Schmieding ist überzeugt, dass der gefürchtete Domino-Effekt durch die Entscheidung im Juli, Privatgläubiger mit einem freiwilligen Abschlag von 21 Prozent mit ins Boot zu holen - entgegen allen vorherigen Zusicherungen -, bereits ausgelöst wurde. Unmittelbar danach, Anfang August, setzten an den Finanzmärkten die Turbulenzen ein. Trotzdem beschlossen die Euro-Staaten die Latte noch höher zu hängen. Nun sind es 50 Prozent Abschlag auf griechische Staatsanleihen und an den Börsen wird ein Kursfeuerwerk abgebrannt.
"Die Krankheit hat uns voll erfasst"
Die positive Stimmung an den Börsen kann nicht über den Ernst der Lage hinwegtäuschen. Selbst auf Deutschland sei der Funke der Krise bereits übergesprungen, sagt Schmieding. Die Frühindikatoren zeigten klar, dass die deutsche Wirtschaft bereits auf dem Weg in die Rezession sei, sagte er. "Die Krankheit hat uns voll erfasst." Zwar würden die deutschen Staatsschulden selbst nicht in Zweifel gezogen, aber die Wirtschaft leide unter den Turbulenzen, "die wir selbst ausgelöst haben durch diese Dummheit, Griechenland umschulden zu wollen, ohne Italien ausreichend zu schützen". Die Hebelung des Rettungsschirms EFSF kommt vor diesem Hintergrund eher einer Schadensbegrenzung gleich.
Vor allem die deutsche Politik hat nach Schmiedings Ansicht Griechenland viel zu viel Aufmerksamkeit geschenkt. Ökonomen warnen schon lange, dass die Finanzkrise größer sei als Griechenland. Auch die Märkte haben das erkannt. Sie sehen Griechenland längst schon als Präzedenzfall für Italien. Das Land wurde erst jüngst wegen der Risiken im Euroraum herabgestuft, der Ausblick der großen Ratingagenturen lautet auf negativ. Italien könnte also schon in den kommenden Monaten weiter heruntergestuft werden. Die Politik brauchte leider etwas länger, um diese Gefahr zu erkennen.
Italien entscheidet über Weh und Ach
Schmieding hält die EFSF für einen "guten Versuch". Er sei eine unerlässliche Maßnahme im Kampf gegen den Flächenbrand. "Wir müssen dafür sorgen, dass Italien notfalls liquide gehalten werden kann, während sich Italien reformiert." Mit dem Fall Italiens würde die Finanzkrise sich sonst wahrscheinlich wie ein Lauffeuer über Europa ausbreiten. Ein Staatsbankrott Italiens könnte den sofortigen Bankrott des französischen Bankensystems zur Folge haben und damit den Bankrott der französischen Wirtschaft.

Italien zieht mit. Berlusconi beeindruckte auf dem Euro-Gipfel mit einem 14-seitigen Wundersparplan.
(Foto: REUTERS)
"Dann, glaube ich, hätten wir eine Situation innerhalb Europas, wo es zwischen Deutschland und Frankreich richtig krachen könnte. Dann wäre tatsächlich die Existenz des Euro in Gefahr", warnt Schmieding. Die Folge wäre nicht mehr nur eine Konjunkturkrise oder eine Rezession, sondern eine Depression wie 1929. Ein italienischer Staatsbankrott wäre wahrscheinlich auch das Ende der Europäischen Zentralbank (EZB).
Die Finanzkrise bleibt trotz des nunmehr deutlich großzügigeren Rettungsschirms virulent. Ökonomen geben das Experiment Euro aber nicht verloren. Noch sind nicht alle Register gezogen. Außerdem haben die Finanzmärkte über Italien noch nicht den Stab gebrochen, und Frankreich und Deutschland stehen auch noch. Und Deutschland befinde sich auch erst "am Ende der Kette", sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt von Assegagon Asset Management. im Gespräch mit n-tv.de. Ernst werde es, wenn Frankreich von den Ratingagenturen heruntergestuft wird. Dann rücke als nächstes auch Deutschland ins Visier.
Ein Schuldenschnitt ist keiner
Die Eurostaaten sollten auf der Hut bleiben, darin sind sich die Ökonomen einig. Aber was können sie noch tun, um dem Dominoeffekt zu verhindern? Griechenlands Schuldenschnitt ist nicht der große Wurf in der Finanzkrise. Viele Ökonomen rechnen bereits damit, dass die Schere noch einmal angesetzt werden muss. Griechenland wird auf die nächsten zehn Jahre hinaus am finanziellen Tropf der Europartner hängen. Das Land wird ein größerer Klotz am Bein sein, als viele vermutet haben.
Auch der Rettungsschirm EFSF leistet zwar einen wichtigen Beitrag, gefährdete Länder vor den Finanzmärkten abzuschirmen. Trotzdem darf die Politik den Fonds nach Ansicht von Hüfner aber nicht ins Unendliche wachsen lassen. Auch das wäre das falsche Signal an die Finanzmärkte. Asse, die die Währungsunion im Kampf gegen die Finanzkrise neben der EFSF noch aus dem Ärmel ziehen könnten, sind leider Mangelware.
"Die EZB reagiert kurz bevor der Euro platzt"
Viele Beobachter erwarten jetzt, nachdem endlich ein Ruck durch die europäische Politik gegangen ist, klare Signale von der europäischen Notenbank. Die EZB musste - ebenso wie die Politik - für ihre Entscheidungen in der Krise bereits viel Kritik einstecken. Sie ist die Institution, die die Finanzmärkte in der Tat jederzeit damit beeindrucken könnte, unbegrenzt Finanzmittel "ins Schaufenster zu stellen", so Schmieding. Bisher tut sie es aber nicht. Noch folgt sie nicht dem Vorbild ihrer Schwestern in den USA oder Schweiz.
Die EZB wird sich mit ihren Entscheidungen in Zukunft nicht unbedingt leichter tun. Dass der Staffelstab bei der Zentralbank jetzt mit Mario Draghi an einen Italiener geht, ist in seinen Augen nicht unbedingt hilfreich. "Bei einem Eingreifen zugunsten Italiens, ist es kein Vorteil, wenn der Handelnde ein Italiener ist." Auch dieser Faktor könnte dazu führen, dass sie erst eingreife, wenn nicht anderes mehr hilft, "kurz bevor der Euro platzt".
Vorerst darf aber erst einmal aufgeatmet werden. Ob die Reaktionen an den Finanzmärkten der Situation nun angemessen sind oder nicht, darauf kommt es im Moment nicht unbedingt an. Die Politik hat sich zumindest Zeit verschafft. Jetzt muss man sich weiter bemühen. Die positiven Reaktionen an den Märkten sollten keinen Anlass geben, in den Bemühungen nachzulassen.
Quelle: ntv.de