Der neue Mann an der EZB-Spitze Wer ist Mario Draghi?
24.06.2011, 10:30 Uhr
Als Chef der italienischen Notenbank in Brüssel: EZB-Kandidat Mario Draghi.
(Foto: REUTERS)
Auf der Suche nach einem Nachfolger für Jean-Claude Trichet können sich die Staats- und Regierungschefs Europas nach einigem Gerangel auf Mario Draghi einigen. Kann der Ex-Goldman-Banker aus Italien den Euro vor allen Gefahren schützen?
Der Ernennung des Italieners Mario Draghi zum neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) steht fest. Die EU-Staats- und Regierungschefs haben Draghi kurz vor Abschluss ihres Gipfels in Brüssel zum Nachfolger des scheidenden EZB-Chefs Jean-Claude Trichet ernannt. Draghi soll das Amt im November 2011 für acht Jahre übernehmen. Die Ernennung war zuvor auf Freitag verschoben worden. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hatte diesen Punkt zunächst für Donnerstag vorgesehen.
Hinter den Kulissen gab es zuletzt noch Ärger über die Besetzung des sechs Personen großen Direktoriums der EZB. Mit dem Einzug Draghis wäre Frankreich nicht mehr darin vertreten, wenn das italienische Direktoriumsmitglied Lorenzo Bini Smaghi nicht doch noch "freiwillig" seinen Posten geräumt hätte. Bini Smaghi hatte das bis zuletzt abgelehnt. Frankreich hatte Draghi unter der Bedingung zugestimmt, dass Bini Smaghi Platz macht, wollte aber Draghis Ernennung trotzdem nicht blockieren. Während des EU-Gipfels hatten Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi bis zuletzt um eine Lösung gerungen. Bini Smaghi gab sein Amt schließlich auf.
Damit ist der Weg für Mario Dragi endgültig frei: Wer ist dieser Mann, der an der EZB-Spitze ablösen soll und damit künftig als oberster Währungshüter der Eurozone über die Geschicke der Währungsunion entscheidet? Bei Mario Draghi kommt nach Ansicht von Beobachtern alles zusammen. Der "Super-Mario" genannte Finanzexperte leitet seit 2006 Italiens Notenbank. Zuvor hat er sich internationale Sporen verdient, gilt als ehrgeizig, ist allgemein anerkannt - und er hat durchgehalten, bis nur noch er selbst im Rennen war.
Nachdem sich sein deutscher Widersacher Axel Weber durch den überraschenden Rücktritt als Bundesbank-Chef selbst disqualifiziert hatte, sammelt Draghi weiter Unterstützungssignale für den EZB-Chefposten ein. Zuerst kam das offizielle Placet für den Wechsel durch die italienische Regierung. Danach erhielt Draghi gewichtige Belobigungen aus dem europäischen Ausland, darunter auch von Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Bundeskanzlerin .
Die Nachfolge des im Herbst nach acht Jahren an der EZB-scheidenden Jean-Claude Trichet soll auf dem EU-Gipfel in Brüssel endgültig beschlossen werden. Für den 63-jährigen passionierten Bergsteiger und zweifachen Vater Draghi wäre sie der Höhepunkt in der beachtlichen Karriere des Bank- und Finanzexperten.
Konkurrenz für Berlusconi?
Der Name Draghi fiel in Italien vor Monaten auch in der Politik: Weil Berlusconi stark angeschlagen ist, von Sexaffären eingeholt und ohne Mehrheit im Parlament, kam neben anderen auch Draghi als möglicher Nachfolger ins Gespräch. Immerhin könnte einen finanzpolitisch versierten Mann im Regierungspalast Chigi recht gut gebrauchen.
Seit Februar 2006 steht der 1947 geborene Draghi vor allem für die Image-Rettung der zuvor von einem Skandal erschütterten Notenbank. Vorgänger hatte wegen einer Affäre um Insidergeschäfte und Marktmanipulation den Hut nehmen müssen. Der weltoffene Draghi galt als bestens geeignet, den beschädigten Ruf des "Geldstandorts Italien" mit Sitz in der Via Nazionale aufzupolieren.
Rückhalt in Rom
Italien steht hinter ihm, auch wenn Draghi einige Spannungen mit Wirtschaftsminister nachgesagt wurden. Mehr als 100 Parlamentarier von Regierung und Opposition wollen Draghi gerne als EZB-Chef sehen, wie sie öffentlich erklärten. Schließlich fehlt es dem Stiefelstaat in Zeiten der grotesken Krisen um den Regierungschef an Reputation auf der europäischen Ebene. Und Draghi ist ein Mann, der Position gegen Protektionismus und politische Einflussnahme bezieht - wichtig für die EZB, deren Präsidenten sich bislang nicht scheuten, der Politik öffentlich Contra zu geben.
Studiert hat er erst an der römischen Sapienza-Universität. Den Doktor in Wirtschaftswissenschaften machte er dann 1976 an dem renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT). Dabei wurde er kritisch begleitet von den Nobelpreisträgern Franco Modigliani und Robert Solow. Von 1984 bis 1990 war er Exekutivdirektor der Weltbank.
Als Vizepräsident von Goldman Sachs in London erwarb er sich den Spitznamen " ". Um einen Interessenkonflikt zu vermeiden, verkaufte er seine Goldman-Sachs-Anteile, als er im Februar 2006 das Chefamt der italienischen Zentralbank, der ehrwürdigen "Banca d'Italia" am Tiber übernahm.
International bekannt
Sein Heimatland hatte Draghi immer im Auge behalten - trotz seines internationalen Engagements, das ihm auch bei der Europäischen Investitionsbank und bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) Ansehen einbrachte.
Draghi hatte als Generaldirektor des Schatzministeriums bis zum Jahr 2001 wesentlich die Finanzgesetzgebung des G8-Mitglieds Italien geprägt.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa