Wirtschaft

Wohn-Forscher zu Hausbau-Debatte "Zahl der Wohnungen in Deutschland reicht"

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Rund 15 Millionen Einfamilienhäuser gibt es schon in Deutschland.

(Foto: picture alliance/dpa)

Statt nur über den Neubau von Einfamilienhäusern zu diskutieren, sollte Deutschland eine grundsätzliche Frage stellen, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und Wohnforscher Daniel Fuhrhop von der Universität Oldenburg: Müssen wir überhaupt bauen? Er nennt Möglichkeiten, günstigen Wohnraum zu schaffen und das Klima zu schonen - ohne Neubau.

ntv.de: Deutschland diskutiert, ob der Bau neuer Einfamilienhäuser eingeschränkt oder gar ganz verboten werden sollte. Eine sinnvolle Debatte, so wie sie aktuell geführt wird?

Daniel Fuhrhop: Die Frage, die diskutiert wird, ist ja konkret, ob Kommunen in neuen Bebauungsplänen noch Einfamilienhäuser vorsehen sollen oder ob zumindest da, wo die Fläche knapp ist, mit anderen Haustypen mehr Wohnfläche geschaffen werden sollte. Das ist eine Frage nach dem "Wie" beim Bauen. Wir sollten aber zunächst eine grundsätzliche Frage stellen: nach dem "Ob" - ob Neubau tatsächlich benötigt wird. Wenn diese grundsätzliche Frage in einem Ort tatsächlich mit Ja beantwortet wird, wenn Neubau wirklich notwendig ist, dann sind andere Bauformen effizienter, klimaschonender und sozialer als Einfamilienhäuser. Allerdings müsste sich mehr ändern als nur die kommunalen Bebauungspläne. Es geht zum Beispiel auch um die Materialien. Extrem klimaschädlicher Beton zum Beispiel sollte vermieden werden.

Und wie würden Sie diese grundsätzliche Frage nach dem Neubaubedarf beantworten?

Ideal wäre, wir kämen mit den etwa 43 Millionen vorhandenen Wohnungen in Deutschland aus. Die Zahl und Fläche der Wohnungen reicht. Aber natürlich ändert sich der Bedarf der Menschen. Nach wie vor ziehen, wenn auch zuletzt etwas weniger, Menschen vom Land in die großen boomenden Städte. Die Bevölkerung altert, mehr Menschen leben allein. Dadurch steigt die Wohnfläche pro Person. Bauen um jeden Preis darf aber nicht die Antwort auf diesen veränderten Bedarf sein, schon deshalb nicht, weil die Bevölkerung langfristig zurückgehen wird. Auch der Wohnflächenbedarf pro Person wird nicht immer weiter steigen. Spätestens in 20 Jahren dürfte sich die aktuelle Situation umkehren, viele Wohnungen und Einfamilienhäuser werden frei werden.

So lange zu warten, ist für eine Familie, die jetzt angemessenen Wohnraum sucht, keine Perspektive!

Nein, niemand müsste so lange warten, wenn die Politik alle Möglichkeiten neben dem Neubau ausschöpfen würde. Es gibt ja schon rund 15 Millionen Einfamilienhäuser in Deutschland. Davon wechseln jedes Jahr viele ihren Besitzer und es könnten noch viel mehr sein. Denn in vielen Häusern und großen, familiengerechten Wohnungen leben ältere Menschen allein, die das nie so geplant oder gewollt hatten, oft weil die Kinder ausgezogen sind und der Partner verstorben ist. Viele von denen würden ihre Wohnsituation gerne ändern, zum Beispiel auf kleinerer Fläche seniorengerecht wohnen oder Teile ihres Hauses untervermieten. Aber dabei müsste der Staat ihnen helfen.

Wie könnte das geschehen?

Dafür gibt es viele Ansätze. Man könnte die Schaffung passender, seniorengerechter Wohnungen und Wohnformen in den Städten fördern, wo viele ältere Menschen gerne wohnen würden. Man müsste ihnen beim Umzug helfen. Dann würden Einfamilienhäuser am Stadtrand für Familien frei. Die Kommunen könnten auch helfen, Einliegerwohnungen in Einfamilienhäusern, die oft leer stehen, zu vermieten, oder entsprechende Umbauten fördern. Auch gemeinschaftliche Wohnformen, Mehrfamilienhäuser oder die Vermittlung von Mitbewohnern im Gegenzug für Hilfe im Haushalt und Garten sind Möglichkeiten. Für all das gibt es positive Beispiele, aber es wird nicht ernsthaft und professionell mit den nötigen Ressourcen umgesetzt.

Einliegerwohnungen nutzen, Wohnen gegen Hilfe - das klingt alles schön. Aber kann so der Bedarf an Hunderttausenden zusätzlichen Wohnungen in Deutschland gedeckt werden?

Davon bin ich überzeugt. Die Beispiele, die es gibt, zeigen, wie groß das Potenzial ist: Es gibt viele gerade ältere Menschen, die Wohnraum leer stehen lassen, weil sie schlechte Erfahrungen zum Beispiel mit Mietnomaden gemacht haben oder einfach überfordert sind. In Karlsruhe hat die Stadt solchen Hausbesitzern gezielt geholfen, bei der Vermietung und ihnen garantiert, bei Problemen zu helfen. So konnte die Stadt pro Jahr 60 vorher leer stehende, preisgünstige Wohnungen vermitteln. In ganz Deutschland könnten so 10.000 bis 20.000 Wohnungen zusätzlich bereitgestellt werden.

Über das Konzept Wohnen für Hilfe werden zum Beispiel in Belgien allein in Brüssel pro Jahr 300 Unterkünfte vermittelt. Auch das entspräche auf Deutschland hochgerechnet einem Potenzial von 10.000 oder mehr Wohnungen.

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Allerdings werden all diese Modelle nur in einzelnen Projekten unter dem Aspekt Soziales umgesetzt und nicht wohnungspolitisch betrachtet und entsprechend finanziert. Dagegen fließen in die Neubauförderung ohne Berücksichtigung klimapolitischer Ziele jedes Jahr Milliardensummen. Die Wohnungsbaupolitik muss auf allen Ebenen völlig neu ausrichtet werden.

Mit Daniel Fuhrhop sprach Max Borowski

Quelle: ntv.de

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