Startup

Wie man vom Scheitern lernen kann Fuckup Nights bringen Optimismus zurück

Viele gescheiterte Unternehmensgründer sind stigmatisiert. Mit den Fuck Up Nights haben sie eine Plattform, über ihre Erfahrungen zu reden.

Viele gescheiterte Unternehmensgründer sind stigmatisiert. Mit den Fuck Up Nights haben sie eine Plattform, über ihre Erfahrungen zu reden.

Junge Unternehmer gründen in Deutschland täglich neue Firmen. Doch nicht alle von ihnen werden ein Erfolg. Wie gehen Unternehmensgründer mit einem Fehlschlag um? Die Fuck Up Nights in Berlin haben darauf eine simple Antwort: Es soll darüber geredet werden. Bei der Veranstaltungsreihe stehen jeweils drei Sprecher auf der Bühne. Jeder hat 15 Minuten Zeit, um dem Publikum vorzustellen, was bei ihm schiefgegangen ist. Im Interview mit n-tv.de erzählt Veranstalter Ralf Kemmer, wer bei seinen Events im Publikum sitzt, warum das berufliche Scheitern in Deutschland verpönt ist und was geschehen muss, damit sich das ändert.

n-tv.de: Was für Leute stellen sich bei den "Fuckup Nights Berlin" auf die Bühne?

Ralf Kemmer: Auf unserer Bühne stehen selbstständige Unternehmer. Machertypen, die eine Vision hatten und sich getraut haben, diese auch zu verwirklichen. Bei den Fuck Up Nights erzählen Gründer vom Scheitern, wie sie damit umgegangen sind und was sie persönlich daraus für sich mitgenommen haben. Bei jeder Veranstaltung ist immer mindestens ein gescheitertes Start-up dabei. Neben Jungunternehmern berichten aber auch Gründer aus dem klassischen Einzelhandel über ihre Erfahrungen. Beispielsweise über gescheiterte Cafés oder Bäckereien.

Und wer sitzt im Publikum?

Unsere Vorträge hört sich das führende Management aus verschiedenen Unternehmen genauso an wie der klassische Unternehmensgründer. Aber es kommen auch Studenten mit ihren Managementkursen aus der Universität. Also allgemein viele, die in den Bereichen Unternehmen und Start-ups unterwegs sind. Die wenigsten von ihnen sind bereits einmal mit einem Unternehmen gescheitert. Vielmehr kommen Interessierte, die wissen wollen, wie man ein Business gründet und was dabei alles schiefgehen kann.

Eine ähnliche Veranstaltung sind die "Anonymen Insolvenzer". Was machen die "Fuckup Nights Berlin"anders?

Es gibt sicherlich gute Gründe, warum Menschen lieber hinter geschlossenen Türen über ihr Scheitern sprechen möchten. Aber wir haben eine andere Klientel. Bei uns treten Menschen auf, die damit offen umgehen wollen. Das ist einfach eine Charakterfrage. Wie man mit Scheitern umgeht, ist jedem selbst überlassen. Ich glaube, beide Wege haben ihre Berechtigung. Wenn man seine Erfahrungen offen darstellen will, dann kommt man zu uns. Aber unsere Teilnehmer sind alles keine professionellen Sprecher. Das heißt, wir müssen im Vorfeld Interviews führen, um zu erfahren, welche Geschichte dahintersteckt. Die, die auf die Bühne gehen, wissen sehr wohl, dass man stigmatisiert ist. Deswegen müssen wir manchmal auch einfach Händchen halten, damit sich unsere Teilnehmer trauen zu sprechen. Das macht die Veranstaltung aber auch aus. Wir haben bis jetzt immer ein sehr ermutigendes Publikum gehabt, das in keiner Weise hämisch oder respektlos ist. Wir legen den Fokus auf Bildung und Lernen. Mit einem gewissen Grad an Unterhaltung sollen unsere Gäste ein tieferes Finding vermittelt bekommen. Aber eben auf eine angenehme Art.

Sie haben die Stigmatisierung bereits angesprochen. Wieso gibt es in Amerika eine positivere Einstellung dem Scheitern gegenüber?

Der Vergleich mit Amerika ist immer etwas schwierig. Wenn man sich die USA anschaut, sind die natürlich anders aufgestellt. In Deutschland wird viel bereits durch das bestehende System erschwert. Bei uns wird beispielsweise viel mehr überprüft. Das ist in anderen Ländern nicht der Fall. Zusätzlich haben wir ein anderes Bankensystem. Wenn man einmal gescheitert ist, ist es in Deutschland schwierig, danach wieder an Geld zu kommen. Wir haben auch weniger Privatinvestoren als in Amerika. Das heißt, wenn eine private Investition getätigt worden ist und im Sande verläuft, gibt es in Amerika häufiger die Chance, dennoch erneut Geld in ein Projekt zu investieren. Das macht eine Bank nicht. Zudem ist unser ganzes Steuersystem problematisch. In Deutschland gibt es nach einer siebenjährigen Privatinsolvenz keine Möglichkeit mehr, einen Kredit aufzunehmen. Es gibt einfach jede Menge Hürden. Ich will aber nicht nur Amerika hochhalten. Es gibt durchaus auch andere Länder, in denen die Gesellschaft offener mit dem Scheitern umgeht. In Mexiko zum Beispiel, wo die Fuck Up Nights ihren Ursprung haben. Aber selbst im europäischen Vergleich ist Deutschland strikter in seiner gesellschaftlichen Stigmatisierung als andere Länder.

Was muss geschehen, damit sich der gesellschaftliche Blick auf das berufliche Scheitern ändert?

Grundsätzlich fehlt es an Motivation. Unternehmer werden zu wenig in ihren Plänen unterstützt und gefördert. Das erkennt man bereits an unserem Bildungssystem. Es dürfen keine Fehler gemacht werden. In der Schule wird inzwischen probiert, daran etwas zu ändern, indem man neue Konzepte ausprobiert. Das könnte auf lange Sicht gesamtgesellschaftlich eine Veränderung bringen. Bis jetzt erinnert unser Bildungssystem aber immer noch mehr an eine preußische Militärschule, in der Drill und Fehlervermeidung an oberster Stelle stehen. Wir werden benotet nach Fehlern, die wir machen und nicht nach dem, was wir gewagt haben. Es ist dringend notwendig, dass die Anerkennung für Selbstständige wächst. Sie ziehen Unternehmen hoch und entwickeln neue Geschäftsideen. Zudem schaffen sie auch Arbeitsplätze. Sie sind Visionäre, auch wenn sie im ersten Anlauf gescheitert sind, treiben sie die Innovation in Deutschland voran.

Welche Geschichte ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Alle Geschichten sind einzigartig. Aber besonders herausragend war die von Bernd Pickert. Er ist 77 Jahre alt und seit 20 Jahren in einem Insolvenzverfahren. Er hatte in Berlin eine alte Glaserei und hat sich an einer Immobilie verhoben. Das Herausragende an ihm ist, was er vorher geleistet hat und wie offen er seine Geschichte bei uns in der Gesamtheit erzählt hat. Trotzdem strahlte er dabei total viel Kraft aus - ohne jegliches Bedauern.

Was nehmen die Besucher aus den "Fuckup Nights Berlin" mit?

Jeder zieht seine ganz individuellen Erkenntnisse oder seine subjektiven Nutzen. Was aber bei allen daraus resultiert, ist, dass sie sich hinterher mehr trauen. Das Publikum verlässt eine Fuck Up Night gestärkt. Die Menschen auf der Bühne zeigen, dass man auch nach dem Scheitern noch etwas erreichen kann und handlungsfähig bleibt. Bei uns gehen die Wenigsten von der Bühne, ohne schon etwas Neues angeschoben zu haben. Unsere Sprecher sind keine gescheiterten Charaktere. Im Gegenteil.

Mit Ralf Kemmer sprach Juliane Kipper

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen