Großem Rätsel auf der Spur Antimaterie soll Dunkle Materie endlich verraten
12.12.2022, 17:18 Uhr
Die künstlerische Illustration zeigt die Antihelium-Annihilation im ALICE-Detektor am CERN und im Universum.
(Foto: Cluster/S. Kwauka)
Die rätselhafte Dunkle Materie kann bislang nicht direkt nachgewiesen werden. Daher ist auch nicht geklärt, ob sie tatsächlich in der vermuteten Form existiert. Messungen am Kernforschungszentrum CERN zeigen jedoch einen Weg, der Dunklen Materie indirekt auf die Spur zu kommen.
Der Strom von Antimaterie-Teilchen aus den Tiefen der Galaxis zur Erde kann Informationen über die bislang rätselhafte Dunkle Materie liefern. Um diesen Teilchenstrom besser interpretieren zu können, hat ein Forschungsteam am Kernforschungszentrum CERN nahe Genf Messungen an Antimaterie vorgenommen. Mithilfe dieser Experimente simulierten die Physikerinnen und Physiker dann die Durchlässigkeit der Galaxis für Antihelium-3-Kerne. Aus der Zahl und Energie solcher Kerne ließen sich indirekt Rückschlüsse auf die Dunkle Materie ziehen, schreibt das Team in der Fachzeitschrift "Nature Physics".
Die Forschungsergebnisse sollen bei der Interpretation konkreter Messungen helfen: An der internationalen Raumstation ISS misst der zweite Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS-02) die Zusammensetzung kosmischer Strahlung. Zusätzlich soll das GAPS-Ballonexperiment über der Arktis ab 2025 die kosmische Strahlung auf Antihelium-3-Kerne untersuchen.
Die Dunkle Materie ist bislang nur eine vermutete Materieform, direkt nachgewiesen wurde sie noch nicht. Die Physik kann mittels Dunkler Materie etwa die Bewegung von Galaxien und von Sternen innerhalb von Galaxien erklären. Der bislang rätselhaften Materieform wollen die Forscherinnen und Forscher mithilfe von Antimaterie auf die Spur kommen.
Dunkle Materie als Quelle
Antimaterie hat sehr ähnliche Eigenschaften wie Materie, nur dass die Teilchen eine andere elektrische Ladung haben. Während ein Proton als Bestandteil von Atomkernen eine positive Ladung trägt, ist das Antiproton negativ geladen. Wenn Materie- und Antimaterie-Teilchen aufeinandertreffen, zerstrahlen sie meistens zu Gammastrahlen - also hochenergetischer elektromagnetischer Strahlung - und verschwinden.
Allgemein wird davon ausgegangen, dass Antimaterie - wie etwa Antihelium-3-Kerne - entsteht, wenn entweder zwei Teilchen Dunkler Materie miteinander kollidieren oder aber wenn kosmische Strahlung mit hoher Energie auf Materie trifft. Die Forschenden der Alice-Kollaboration am CERN erzeugten nun Antihelium-3-Kerne, indem sie im Teilchenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) Protonen - den Hauptbestandteil von kosmischer Strahlung - und Bleiatome mit sehr hoher Geschwindigkeit aufeinanderprallen ließen. Dabei ermittelten sie die Wahrscheinlichkeit, mit der die entstandenen Antihelium-3-Kerne in Wechselwirkungen mit Materie oder Strahlung traten.
Auf dieser Datenbasis simulierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann den Flug von Antihelium-3-Kernen durch die Galaxis. Für Antihelium-3-Kerne, die aus der Kollision von Teilchen Dunkler Materie resultieren, kamen sie auf eine Durchlässigkeit von etwa 50 Prozent: Von den Zehntausende Lichtjahre entfernten Entstehungsgebieten kommt also rund die Hälfte dieser in Richtung Erde fliegenden Antihelium-3-Kerne in Erdnähe an.
Ursprungsregion ermitteln
Für die energiereicheren Antihelium-3-Kerne, die aus der Wechselwirkung zwischen kosmischer Strahlung und Materie entstehen, fand das Forschungsteam eine Durchlässigkeit von 25 bis 90 Prozent, je nach Energiegehalt der Kerne. Aus diesen Berechnungen könnte man bei irdischen Messungen künftig die beiden Quellen - Dunkle Materie oder kosmische Strahlung, die auf bekannte Materie trifft - von Antihelium-3-Kernen auseinanderhalten und zu möglichen Ursprungsregionen zurückverfolgen.
"Unsere Ergebnisse zeigen erstmals auf Basis einer direkten Absorptionsmessung, dass Antihelium-3-Kerne, die aus dem Zentrum unserer Galaxis kommen, erdnahe Orte erreichen können", wird Alice-Physikkoordinator Andrea Dainese in einer CERN-Mitteilung zitiert. Dabei ist zu bedenken, dass der interstellare Raum, also das All zwischen den Sternensystemen, nur eine sehr geringe Materiedichte aufweist, nämlich etwa ein Atom pro Kubikzentimeter. Zum Vergleich: Ein Diamant hat eine Dichte von 180.000 Milliarden Milliarden (1,8 mal 10 hoch 23) Atomen pro Kubikzentimeter.
Quelle: ntv.de, Stefan Parsch, dpa