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Astronom zur Macht der Sterne "Astrologie ist die perfekte Einstiegsdroge"

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"Die Grenze zwischen Rationalität und Unsinn, zwischen Wissenschaft und Pseudo- oder sogar Antiwissenschaft verwischt immer mehr", sagt Freistetter.

"Die Grenze zwischen Rationalität und Unsinn, zwischen Wissenschaft und Pseudo- oder sogar Antiwissenschaft verwischt immer mehr", sagt Freistetter.

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Ob als App auf dem Handy oder auf den letzten Seiten eines Magazins: Das Geschäft mit Horoskopen boomt. 53 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, dass die Sterne unsere Persönlichkeit beeinflussen. Warum das so ist und weshalb es Ebbe und Flut zwar im Meer, aber nicht im Bierglas gibt, erklärt Astronom Florian Freistetter im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Herr Freistetter, welches Sternzeichen haben Sie?

Florian Freistetter: Laut Astrologie bin ich ein Löwe.

Passt der Löwe zu Ihnen?

Florian Freistetter ist Astronom, Autor und Podcaster.

Florian Freistetter ist Astronom, Autor und Podcaster.

(Foto: Franzi Schädel, CC-BY-SA 4.0)

Ich bin nicht sicher, wofür der Löwe bekannt ist, aber ich gehe stark davon aus, dass er zu mir passt. Denn die Astrologie hat eine sehr beeindruckende Sprache entwickelt, mit der sie Dinge so vage beschreiben kann, dass sie auf den ersten Blick konkret klingen, aber trotzdem so allgemein sind, dass sich eigentlich jeder und jede darin wiederfindet. Wenn mir also jemand aus der Astrologie die Eigenschaften des Löwen erklären würde, würde ich vermutlich sagen: Ja, das passt - weil es immer passt.

Laut Umfragen glaubt mehr als die Hälfte der Menschen in Deutschland an einen Zusammenhang zwischen Sternen und Persönlichkeit. Warum ist das Interesse so hoch?

Man hat die Astrologie vor Tausenden von Jahren entwickelt, um eine Erklärung für das, was im Himmel vor sich geht, zu finden. Der Himmel war das Reich der Götter und alles, was da oben geschah, musste zwangsläufig auch etwas mit uns auf der Erde zu tun haben. Nach dem damaligen Wissensstand war die Astrologie daher ein durchaus legitimer Ansatz, um die Welt ein bisschen besser verstehen zu können.

Und heute?

Heute ist es das nicht mehr, aber die Attraktion ist geblieben. Denn die Welt ist ein komplizierter und oftmals stressiger Ort, an dem man sich schnell alleingelassen fühlen kann. Die Astrologie ist eines von vielen Denkgebäuden, die so etwas Ähnliches wie eine Lösung anbietet. So erweckt sie zunächst den Anschein, dass die Welt nicht einfach nur aus zufälligem Chaos besteht, sondern dass sich dahinter mehr verbirgt. Im Anschluss bietet sie eine Lösung, indem sie vorgibt, das, was dahintersteckt, auch erklären zu können. Auch wenn es eine Scheinlösung ist, kann diese helfen, Struktur in diese komplizierte Welt zu bringen.

Wenn etwas nicht gut läuft, wird unter Astro-Fans gern der Merkur beschuldigt. Dann heißt es, "klar, mercury in retrograde"! Das heißt, der Merkur ändert von der Erde aus gesehen seinen Kurs und sorgt für Chaos auf der Erde. Ist Astrologie auch ein Mittel, Verantwortung abzugeben?

Auf jeden Fall. Wenn ich Stress in meinem Beruf oder meiner Beziehung habe, muss ich mich für gewöhnlich selbst um eine Lösung kümmern. Womöglich muss ich Verantwortung für eigene Fehler übernehmen - und das ist unangenehm. Aber wenn mir die Astrologie dann erklärt, dass es in meiner Partnerschaft nicht läuft, weil ich Löwe bin und meine Partnerin Jungfrau, dann kann ich einen Teil der Verantwortung einfach auf die Sterne schieben. Den astrologischen Kräften ausgeliefert zu sein, kann also sehr attraktiv sein.

Der Mond beeinflusst die Gezeiten. Liegt da nicht der Gedanke nahe, dass die Planeten auch in uns Menschen irgendwas bewegen?

Dieses Argument klingt im ersten Moment plausibel. Denn Ebbe und Flut können wir mit dem bloßen Auge sehen. Andererseits hat wohl noch niemand Ebbe und Flut in seinem Bierglas oder der Badewanne beobachtet. Die Gezeitenkraft ist eine winzige Kraft, die sich erst summieren muss und daher nur auf gigantischen Wasseransammlungen merkbare Auswirkungen hat. Die Gezeitenkraft, die der Mond auf den Menschen hat, ist geradezu absurd gering.

Wie steht's um die anderen Planeten?

Natürlich kann man berechnen, wie stark mich der Mars oder Jupiter anziehen. Wie das funktioniert, wissen wir seit Newton. Und wir wissen auch, dass nicht nur von Planeten eine Anziehungskraft ausgeht, sondern von allem, was eine Masse hat. Das Problem der Astrologie ist dabei, dass sie nicht unterscheidet, wie unterschiedlich stark diese Kräfte wirken. Wenn in einem Krankenhaus ein Kind zur Welt kommt, übt auch die Ärztin, die vielleicht 20 Zentimeter von der Mutter entfernt steht, eine Anziehungskraft auf das Kind aus. Diese ist in dem Moment ungefähr so groß wie die Anziehungskraft vom Planeten Jupiter. Eine Person, die etwa vier Meter entfernt im Nachbarzimmer auf der Toilette sitzt, übt eine genauso große Kraft auf das Kind aus wie der Planet Mars. Und wer 500 bis 600 Meter entfernt vor dem Krankenhaus auf den Bus wartet, hat den gleichen Einfluss auf das Neugeborene wie der Pluto.

Das klingt absurd.

Ist es auch. Die Astrologie unterscheidet nicht nach realen Objekten. Im Horoskop ist der astrologische Effekt vom Pluto genauso groß wie der vom Mond oder Jupiter. Es ist vollkommen egal, ob die Objekte unterschiedlich groß oder unterschiedlich weit entfernt sind. Man sollte also mal darüber nachdenken, ob man ins Geburtshoroskop nicht auch die Position des Krankenhauspersonals einzeichnet - die haben einen viel größeren Einfluss.

Gibt es weitere Ungenauigkeiten?

Allerdings. Der astrologische Kalender ist zum Beispiel gar nicht aktuell. Kaum jemand hat das Sternzeichen, das er oder sie zu haben glaubt. Ein Horoskop sollte früher eine etwas abstraktere Darstellung des Himmels sein. Darin sollte man das Geburtshaus erkennen, also den Stand der Planeten zum Zeitpunkt der Geburt. Alle Sternbilder haben dabei einen eigenen Abschnitt. Ist nun jemand wie ich Ende Juli geboren, dann hat er das Sternzeichen Löwe, weil aus astrologischer Sicht die Sonne zum Zeitpunkt der Geburt im Sternzeichen Löwe stand. Doch die Dinge im Universum verändern sich. So ist die Achse, um die sich die Erde dreht, keinesfalls starr, sondern verschiebt sich im Laufe der Zeit. Mittlerweile stimmt das heutige Sternenbild nicht mehr mit dem von vor Tausenden Jahren überein. Der astrologische Himmel ist somit ein Fantasiehimmel, der überhaupt nichts mit dem realen Himmel zu tun hat.

Was unterscheidet die Astronomie von der Astrologie?

Ganz einfach gesagt: Das eine ist eine Naturwissenschaft und das andere ist kompletter Unsinn. Die Astronomie bedient sich wissenschaftlicher Methoden, um mehr über das Universum herauszufinden. Die Astrologie behauptet auch, mehr über den Zusammenhang zwischen Natur und Mensch herausfinden zu wollen - allerdings gänzlich ohne wissenschaftliche Ansätze. Astrologie ist also ein Glaubenssystem. Man kann daran glauben, wenn man will. Über den Glauben hinaus gibt es jedoch keine objektive Grundlage für das, was die Astrologie behauptet. Behauptet wird ohnehin relativ wenig, weil meistens alles sehr vage bleibt. Sobald es jedoch konkreter wird, lässt sich das wissenschaftlich sehr leicht widerlegen.

Ärgert es Sie, wenn diese beiden Bereiche wertmäßig auf eine Ebene gehoben werden?

Es kommt immer darauf an, in welchem Kontext das stattfindet. Wenn mich Menschen aus Versehen als Astrologen bezeichnen, kann ich darüber leicht hinwegsehen. Solche Versprecher kommen häufig vor. Etwas unangenehmer wird es, wenn Astrologie und Astronomie tatsächlich auf die gleiche Stufe gehoben werden. Wenn also die Aussagen aus der Astrologie denen aus der Astronomie gegenübergestellt werden, um etwa eine ernsthafte Diskussion anzustoßen. Wann immer so getan wird, als wären das zwei gleichwertige Ansätze, um die Welt zu betrachten, wird es kritisch.

Ähnlich wie bei dem Vergleich von Homöopathie und Schulmedizin?

Genau. Gerade im medialen Bereich werden Wissenschaft und Pseudowissenschaft immer wieder vermischt. Das ist, als würde man sagen: Heute Nacht hat es stark gewittert und auf der einen Seite steht eine Meteorologin, die das Ganze mit Abläufen in der Atmosphäre und den Wolken erklärt und gegenüber steht ein Kerl, der behauptet, Zeus hätte ein paar Blitze geschleudert. Das kommt einem sofort absurd vor, ist aber im Wesentlichen genau der gleiche Unsinn, wie wenn man Homöopathie und Medizin oder Astrologie und Astronomie miteinander vergleicht.

Können solche Vergleiche gefährlich werden?

Gefahr besteht insbesondere, wenn das Ganze ausartet. Wenn Menschen ihre Horoskope lesen und sich ein wenig amüsieren, ist das harmlos. Anders sieht es aus, wenn ich mich um einen Job bewerbe und die Person, die über meine Einstellung entscheidet, astrologische Motive mit einbezieht. Dann kostet einen das falsche Sternzeichen schon mal die Anstellung. Es sind Fälle bekannt, in denen sich Firmen auf so etwas verlassen. Ähnliches sehen wir bei Banken, die für finanzielle Entscheidungen Börsenastrologen zurate ziehen. Selbst der ehemalige US-Präsident Ronald Reagan soll bei großen Entscheidungen die Sicht einer Sterndeuterin berücksichtigt haben. Die Astrologie ist somit die perfekte Einstiegsdroge in die Irrationalität. Nach einer Weile neigt man womöglich dazu, auch andere Aussagen der Wissenschaft abzulehnen. Wenn in einer Gesellschaft immer weniger Menschen rational denken, kann das fatale Folgen haben.

Zum Beispiel?

Die Grenze zwischen Rationalität und Unsinn, zwischen Wissenschaft und Pseudo- oder sogar Antiwissenschaft verwischt immer mehr. In den vergangenen Jahren haben wir erlebt, dass es auch außerhalb rein akademischer Interessen problematisch ist, wenn die Wissenschaft in der Gesellschaft falsch dargestellt wird. Das haben wir während der Corona-Pandemie erlebt und sehen es auch in Bezug auf die Klimakrise. Wir haben einen immer größer werdenden Teil der Gesellschaft, der nicht einfach nur keine Ahnung von Wissenschaft hat, sondern diese auch aktiv ablehnt oder missversteht. Deshalb ist es auch Bezug auf die Astrologie wichtig, sie als das zu erkennen, was sie ist: nämlich keine Wissenschaft, die etwas Relevantes über die Realität aussagen kann.

Mit Florian Freistetter sprach Leah Nowak

Quelle: ntv.de

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