Warum zögert die Impfkommission? Fachverbände: Schwangere sollten geimpft werden
06.05.2021, 17:08 Uhr
Für die Grippeschutzimpfung gibt es von der STIKO eine Impfempfehlung für Schwangere. Für Covid-19 steht diese noch aus.
(Foto: imago images/photothek)
Bisher werden Schwangere in Deutschland nicht gegen Covid-19 geimpft. Der Grund: Die Empfehlung der Ständigen Impfkommission fehlt. Das verunsichert Schwangere und deren Ärzte. Mehrere Fachgesellschaften drehen nun den Spieß um.
Schwangere sollten auch in Deutschland bevorzugt gegen Covid-19 geimpft werden. Das wird in einem Positionspapier empfohlen, für das sich elf Fachverbände von Gynäkologen, Kinderärzten und Reproduktionsmedizinern zusammengeschlossen haben. Die Fachärzte begründen ihre Impfempfehlung mit dem in der Schwangerschaft erhöhten Risiko für schwere Verläufe von Covid-19. Zudem argumentieren sie mit den inzwischen vorliegenden Daten zur Sicherheit von mRNA-Impfstoffen. Die Impfempfehlung wird auch für stillende Frauen, alle engen Kontaktpersonen von Schwangeren und das betreuende medizinische Personal ausgesprochen.
Das Positionspapier ist eine eindeutige Stellungnahme zur bisher nicht ausgesprochenen Impfempfehlung für Schwangere der Ständigen Impfkommission (STIKO) des Robert-Koch-Instituts. In einem im April 2021 aktualisierten Faktenblatt kann man dazu lesen: "Da die Datenlage zur Anwendung der mRNA-Impfstoffe in der Schwangerschaft aktuell nicht ausreichend ist, empfiehlt die STIKO die Impfung in der Schwangerschaft derzeit nicht." Dieses Zögern der Kommission kann angesichts der Tatsache, dass Schwangere zur Risikogruppe für Covid-19 gehören, von den Fachärzten nicht nachvollzogen werden. Doch es kann Ausnahmen geben: "Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem daraus resultierenden hohen Risiko für eine schwere Covid-Erkrankung kann in Einzelfällen, nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher Aufklärung eine Impfung angeboten werden." Impfen ist demnach nur für wenige Ausnahmefälle angedacht. In der Versorgungsrealität hätten Schwangere in Deutschland dem Schreiben der Fachverbände zufolge jedoch keinen Zugang zu einer Immunisierung gegen Covid-19.
Andere Länder impfen Schwangere bevorzugt
Auch die Tatsache, dass in den USA, Großbritannien, Belgien, Israel und Österreich die Impfempfehlungen für Schwangere von den Gesundheitsbehörden der Länder bereits ausgesprochen und seit Wochen oder sogar Monaten umgesetzt werden, macht das Zögern der STIKO nicht nachvollziehbar. Zumal in den Ländern die Empfehlungen auf der Grundlage von vorhandenen Daten getroffen worden sind.
So begründet beispielsweise die Gesundheitsbehörde der USA die Impfempfehlung für Schwangere damit, dass im Fall einer Erkrankung diese dreimal häufiger auf Intensivstationen behandelt und beatmet werden müssen als Frauen, die nicht schwanger sind. Dementsprechend steige auch das Sterberisiko von schwangeren Covid-19-Patientinnen um 70 Prozent. Diese Angaben seien durch mehrere Studien gestützt worden und beziehen sich vor allem auf eine Untersuchung mit rund 400.000 Frauen im Alter zwischen 15 und 44 Jahren.
Zahlen des Cronos-Registers sind aufschlussreich
Auch für Deutschland gibt es nach mehr als einem Jahr der Corona-Pandemie durchaus aussagekräftige Zahlen dazu. Nach Angaben des deutschen Cronos-Registers, in dem im April 2021 bereits 1905 Sars-CoV-2-positive Schwangerschaften dokumentiert sind, wurde bei 1 von 25 Schwangeren eine intensivmedizinische Behandlung erforderlich, schreiben die Fachgesellschaften in ihrem Papier. Davon benötigte jede fünfte Patientin eine Atemunterstützung und 1 von 10 Erkrankten eine ECMO-Therapie.
Bezogen auf das Gesamtkollektiv der im Cronos-Register gespeicherten Fälle starb 1 von 2000 Frauen, was den international publizierten Daten von rund 50 auf 100.000 Frauen entspreche. Die Sterblichkeit von werdenden Müttern in Deutschland lag 2016 bei 2,9 auf 100.000 Frauen. Zudem bestehe ein bis zu 80 Prozent höheres Risiko einer Frühgeburt nach einer Infektion mit Sars-CoV-2.
Die Fachverbände argumentieren weiter, dass systematische Nachbeobachtungen in den USA von über 4700 geimpften schwangeren Frauen keinen einzigen Hinweis für vermehrte Komplikationen, wie etwa Frühgeburt, Fehlbildungen oder Wachstumseinschränkungen beim Säugling, geliefert hätten. Die Covid-19-Impfung von Schwangeren mit mRNA-basierten Impfstoffen führe zudem nicht zu einem erhöhten Sterblichkeitsrisiko oder zu einem Anstieg von Erkrankungen. Zudem könnten die mütterlichen Antikörper auch einen Infektionsschutz, eine sogenannte Leihimmunität, für das Neugeborene bewirken.
"Wir betreuen bundesweit etwa 800.000 Schwangere pro Jahr. Eine Covid-19-Impfung ist für diese Gruppe besonders wichtig, weil erkrankte Schwangere prozentual häufiger schwere Krankheitsverläufe als gleichaltrige nicht schwangere Frauen zeigen", erklärt der Präsident des Berufsverbandes der Frauenärzte, Christian Albring, dazu.
Alle warten auf die Impfempfehlung
Die Vertreter der elf Fachverbände sind sich laut dem Papier darüber einig, angesichts der vorhandenen Daten und der weitreichenden Nutzen-Risiko-Abwägung eine Covid-19-Impfempfehlung für Schwangere und stillende Frauen, bevorzugt mit einem mRNA-Vakzin, auszusprechen. Normalerweise wird eine Empfehlung dieser Art, wie beispielsweise auch bei der Grippeimpfung für Schwangere, in Deutschland ausschließlich durch die STIKO ausgesprochen. Sie definieren den medizinischen Standard. Denkbar ist, dass die Fachverbände mit ihrem Positionspapier die STIKO schnell zu einer solchen Empfehlung bringen wollen. Damit könnte ein Großteil der bestehenden Verunsicherungen bei Schwangeren, Stillenden und deren behandelnden Ärzte aus dem Weg geräumt werden.
Die Fachverbände gehen sogar einen Schritt weiter. Um Schwangere auch indirekt zu schützen, werde weiterhin die priorisierte Impfung von engen Kontaktpersonen von Schwangeren, insbesondere deren Partner oder Partnerinnen, sowie Hebammen und Ärzte oder Ärztinnen empfohlen. Stillende Frauen, die gegen Covid-19 geimpft würden, müssten dem Berufsverband zufolge, wie häufig befürchtet, keine Stillpause einlegen.
Quelle: ntv.de