Gewaltiges Naturereignis Forscher klären Herkunft von mysteriösem Dauer-Beben
13.09.2024, 18:35 Uhr Artikel anhören
Der Dickson-Fjord in Grönland: Wie auf der rechten Aufnahme zu sehen, ist dort ein ganzer Berggipfel abgerutscht.
(Foto: Søren Rysgaard (links), Danish Army (rechts) / Collage: Elias Kobel, KIT)
Messstationen weltweit erfassen im vergangenen Jahr ein rätselhaftes seismisches Signal: Anders als Erdbeben schwingt es sehr gleichmäßig und das über Tage hinweg. Dutzende Forscherteams begeben sich gemeinsam auf Spurensuche - und stoßen auf ein gewaltiges Naturereignis.
Mitte September 2023 begann weltweit die Erde zu vibrieren. Und das Beben hörte zunächst nicht auf. Von seismischen Stationen weltweit wurde das Signal erfasst. Es sah vollkommen anders aus als das von gewöhnlichen Erdbebenaufzeichnungen. Schließlich taten sich Wissenschaftler zusammen, um herauszufinden, was das ungewöhnliche Dauer-Beben verursachte - das am Ende neun Tage anhalten sollte.
Mit auf die Spurensuche begaben sich auch Forschende des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT). "Das Signal war eine Schwingung mit einer einzigen dominierenden Frequenz, wie ein monotones Brummen, das sehr langsam abklingt", berichtet Thomas Forbriger laut einer Mitteilung des KIT. Gemeinsam mit fast 70 Forscherkollegen aus 15 Ländern ging er dem Phänomen auf den Grund.
Das Rätsel des Dauer-Bebens ist nun gelöst: Verursacht wurde es von einem massiven Erdrutsch am 16. September 2023 im Dickson-Fjord in Grönland. Ein ganzer Berggipfel, der sich zuvor 1200 Meter über den Fjord erhob, war abgerutscht. "Das Volumen des herabstürzenden Materials war enorm, mehr als 25 Millionen Kubikmeter. Das ist genug, um 10.000 olympische Schwimmbecken zu füllen", erklärt Kristian Svennevig vom Geologischen Dienst von Dänemark und Grönland, der die Untersuchungen koordiniert hat.
200 Meter hoher Mega-Tsunami
Die herabstürzende Masse verdrängte eine große Wassermenge im Fjord: Es entstand eine Wasserfontäne von 200 Metern Höhe und eine Welle von bis zu 110 Metern Höhe, die sich über 10 Kilometer des Fjords erstreckte. Allerdings sank der riesige Tsunami nach Berechnungen der Forscher innerhalb weniger Minuten auf sieben Meter ab. Doch das Wasser schwappte - ähnlich wie in einer Badewanne - noch für Tage mit einer Periode von etwa 90 Sekunden in dem engen Fjord hin und her. Das entsprach auch der Schwingungsperiode der beobachteten seismischen Wellen. Das Ergebnis ihrer Forschung veröffentlichten die Wissenschaftler nun im Fachmagazin "Science".
"Dass er zu einer solchen Schwingung fähig ist, scheint eine besondere Eigenschaft des Dickson-Fjords zu sein", sagte Rudolf Widmer-Schnidrig von der Universität Stuttgart, der ebenfalls an der Studie beteiligt war. In der wissenschaftlichen Literatur gebe es bisher praktisch keine Berichte über Schwappschwingungen dieser Frequenz, die derart langsam abklingen. "Unsere Beobachtung ist auch in dieser Hinsicht einzigartig", so Widmer-Schnidrig.
Forschungsbasis von Welle zerstört
Die seismischen Wellen des Hin- und Herschwappens liefen um die Erde und waren bis in die Antarktis in fast 20.000 Kilometern Entfernung beobachtbar. Der Studie zufolge war der Tsunami einer der höchsten in der jüngeren Geschichte. Außerhalb des Fjords beschädigten immerhin noch vier Meter hohe Wasserwellen eine Forschungsbasis auf der 70 Kilometer entfernten Insel Ella.
Als Grund für den massiven Erdrutsch, der den Megatsunami am Ende auslöste, vermuten die Forschenden den Klimawandel. Auf Satellitenbildern konnten sie sehen, dass sich der Gletscher am Fuß des Berges in den letzten Jahrzehnten stark ausgedünnt hat. Der Erdrutsch und der Tsunami seien zudem die Ersten, die in Nordost-Grönland beobachtet wurden. Bereits im August war eine Studie von Forschern des Deutschen Geoforschungszentrums (GFZ) erschienen, welche die Entstehung des Tsunamis beschrieben hatte.
Quelle: ntv.de