Kipppunkt überraschtGehirn schaltet schon vor dem Einschlafen ab

Schlaf ist ein grundlegender Bestandteil des Lebens, der noch immer viele Rätsel bereithält. Eines davon will ein Forschungsteam nun geknackt haben. Demnach ist Einschlafen kein sanftes Wegschlummern.
Einschlafen ist kein allmählicher Prozess, sondern passiert im Gehirn in zwei Stufen. Das hat ein Forschungsteam des Imperial College London und der University of Surrey in Großbritannien herausgefunden. Einen Wendepunkt, den die Forschenden in Gehirnscans beobachtet haben, gibt es bereits Minuten vor dem Einschlafen, schreibt das Team um den Demenzforscher Nir Grossman in einer Mitteilung.
Für die Untersuchung wurden Elektroenzephalogramme (EEG) von mehr als 1000 Menschen analysiert, die zum Schlafen die speziellen Elektroden am Kopf trugen. Damit wurden die Gehirnaktivitäten während der Nacht aufgezeichnet.
Bei der Auswertung dieser Daten stellte das Team fest, dass der Übergang vom Wachsein zum Schlaf abrupt und an einem klar definierten Wendepunkt passiert - ganz unabhängig von der vorherigen Liegedauer der Probanden. Die festgestellte Dynamik wird als "Bifurkation" bezeichnet. Sie ist vergleichbar mit dem allmählichen Biegen eines Stocks, bis dieser bricht. Sie untermauere zudem das subjektive Empfinden beim Einschlafen, betonen die Forscher. Die plötzliche Veränderung der elektrischen Aktivität im Gehirn ist überraschend und tritt etwa 4,5 Minuten vor dem Einschlafen ein.
Kipppunkt im Gehirn wird vorhersagbar
Auf Grundlage dieser Erkenntnisse wurden weitere Forschungen gemacht. Mit einer neuen, speziellen Methode wurden 47 Merkmale der Gehirnaktivität in einen mehrdimensionalen Raum umgewandelt. So konnte nachvollzogen werden, wie sich jede einzelne Person der Untersuchung vom Zubettgehen bis zum Einschlafen in den verschiedenen Bereichen bewegte. Es zeigte sich auch, dass eine einzige Messung ausreichte, um den Zeitpunkt des Einschlafens für weitere Nächte mit 95-prozentiger Genauigkeit und einer Abweichung von 49 Sekunden vorherzusagen.
"Wir entdeckten, dass das Einschlafen ein zweistufiger Prozess ist, kein allmählicher, (...) der einen klaren Kipppunkt aufweist, der in Echtzeit vorhergesagt werden kann", wird Studienleiter Grossmann in der Mitteilung zitiert. Mit diesem neuen Ansatz kann erstmals der Zeitpunkt des Einschlafens exakt und objektiv bestimmt werden. Die Ergebnisse der Studie hätten das Potenzial, die klinische Definition des Schlafbeginns grundlegend zu verändern, so Grossmann weiter.
Die Studienergebnisse, die in "Nature Science" veröffentlicht wurden, könnten in Zukunft genutzt werden, um neue Wege zur Diagnose und Behandlung von Schlafstörungen zu entwickeln. Sie könnten zudem als Indikator für die Gehirngesundheit im Kontext von Alterung und neurodegenerativen Erkrankungen dienen und sogar zur Verbesserung der Überwachung der Anästhesie bei chirurgischen Eingriffen zum Einsatz kommen.