Hormonfrei und sicher Ist die "Pille für den Mann" das Verhütungsmittel der Zukunft?
22.02.2024, 12:21 Uhr Artikel anhören
Bei der Verhütung trägt oft die Frau die Verantwortung.
(Foto: picture alliance / Zoonar)
Die Antibabypille revolutioniert in den 1960er-Jahren den Sex. Doch ein Pendant für den Mann gibt es trotz zahlreicher Entwicklungsansätze bis heute nicht. Das könnte sich jedoch bald ändern. Die Forschung setzt dabei auf hormonfreie Wirkstoffe.
Wenn es um Verhütung geht, haben Männer bislang nur wenige Möglichkeiten. Vorrangig können sie zwischen Kondomen oder einer Vasektomie wählen. Letzteres ist ein meist irreversibler chirurgischer Eingriff, bei dem die Samenleiter durchtrennt werden. Eine "Pille für den Mann" gibt es trotz zahlreicher Entwicklungsansätze bis heute nicht - entweder wegen einer unzureichenden Wirkung oder drastischer Nebenwirkungen. Ein US-Forschungsteam geht nun einen anderen Weg.
Das Team um Suk-Hyun Hong vom Salk Institute for Biological Studies in Kalifornien testet eine hormonfreie Tablette für den Mann. Für die Untersuchung, dessen Ergebnisse in der Fachzeitschrift "Proceedings of the National Academy of Sciences" (PNAS) erschienen sind, wollten die Forschenden herausfinden, wie sich das Medikament aus der Klasse der sogenannten Histon-Deacetylase-Inhibitoren (MS-275) auf die Samenproduktion bei Mäusen auswirkt. MS-275 blockiert einen speziellen Rezeptor, der zur Reifung von Spermien-Stammzellen beiträgt.
Einnahme nur einmal die Woche
Das Ergebnis: Der Wirkstoff stoppte nach Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler effektiv die Spermienproduktion bei den Versuchstieren. Sie bekamen keinen Nachwuchs. Gleichzeitig war ihre Libido nicht beeinträchtigt und es traten keine Nebenwirkungen auf. Etwa 60 Tage nach dem Absetzen des Wirkstoffs setzte bei den Mäusen die normale Spermienproduktion wieder ein und sie waren wieder zeugungsfähig.
Im Gegensatz zu früheren Mitteln wie einer Spritze oder einem Gel, die sich nicht durchsetzen konnten, könne MS-275 in Tablettenform eingenommen werden, heißt es in der Studie. Zudem ist der Wirkstoff kein Hormon und greift daher nicht in den Stoffwechsel des Körpers ein.
Darüber hinaus ist die Wirkung zeitlich begrenzt und damit umkehrbar, ohne die Stammzellen dauerhaft zu schädigen. Und ein weiterer Vorteil: "Angesichts der langen Halbwertszeit von MS-275 beim Menschen ist sogar die Einnahme einer Verhütungspille einmal pro Woche statt täglich möglich", schreiben die Studienautorinnen und -autoren.
"Die neue Pille ist anders"
Ein vergleichbarer Ansatz wird derzeit bereits in einer klinischen Phase-I-Studie in den USA untersucht. Bei dem als "YCT-529" bekannten Medikament handelt es sich um einen hormonfreien Retinsäure-Rezeptor-Alpha-Hemmer (RAR-Alpha), der einen speziellen Rezeptor für Vitamin A in den Hoden blockiert und so die Spermienproduktion verhindert. Bei Tests an männlichen Mäusen im Rahmen präklinischer Studien zeigte das Verhütungsmittel nach Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Wirksamkeit von 99 Prozent. Auch hier habe es keine Nebenwirkungen gegeben und die Mäuse seien vier bis sechs Wochen nach Absetzen der Pille wieder zeugungsfähig gewesen.
Die Ergebnisse der Studie sind nach der Beurteilung von Fachleuten vielversprechend. "Die neue Pille ist anders als die bisherigen Ideen", urteilt Michael Zitzmann. Der Männermediziner vom Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie in Münster ist ein ausgewiesener Experte. Er hat in den 2010er-Jahren eine Studie zum Thema im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (WHO) geführt. Dabei ging es aber nicht um eine Tablette, wie es der Oberbegriff "Pille für den Mann" nahelegt, sondern um eine Hormonspritze.
Diese schlug bei den meisten Probanden gut an, aber letztlich klagten zu viele Männer über starke Nebenwirkungen. Die Studie wurde abgebrochen. "Es kam zu Stimmungsschwankungen bei 10 bis 15 Prozent der Teilnehmer bis hin zu Depressionen sowie Gewichtsbildung und Akne", sagt Zitzmann. Auch die Libido war demnach betroffen, was teilweise zu Paar-Problemen geführt habe.
Es kann noch Jahre dauern
"Die Welt ist bereit für ein männliches Verhütungsmittel, und die Verabreichung eines hormonfreien Mittels ist das Richtige, wenn man bedenkt, was wir über die Nebenwirkungen wissen, unter denen Frauen seit Jahrzehnten durch die Pille leiden", sagt die Chemikerin Gunda Georg. Bis eine hormonfreie Pille auf den Markt kommt, kann es allerdings noch Jahre dauern. Außerdem müsste ein größerer Hersteller Interesse haben.
Finanziell könnte es sich durchaus lohnen, haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bereits vor rund acht Jahren in der Fachzeitschrift "Current Obstetrics and Gynecology Reports" festgestellt. Angesichts eines geschätzten Markts von zehn Millionen Männern in den USA und 50 Millionen weiteren Männern weltweit errechneten sie damals einen Marktwert einer neuen Verhütungsmethode von 40 bis 200 Milliarden US-Dollar, umgerechnet bis zu 185 Milliarden Euro.
Quelle: ntv.de, mit Material von dpa