Volkskrankheit Schlafstörungen Wie Schlaf wieder erholsam wird
13.05.2015, 19:52 Uhr
Besteht eine Schlafstörung bereits länger als drei Monate, gilt sie als chronisch. Mehr als 80 Prozent der Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen leiden schon länger als ein Jahr daran.
Millionen Bundesbürger sind betroffen: Sie schlafen schwer ein oder wachen mitten in der Nacht auf. Gilt das bereits als Schlafstörung? Was hilft? Somnologe Hans-Günter Weeß gibt Antworten, benennt den Feind des Schlafes und erklärt, warum zu viel Schlaf depressiv macht.
Rund fünf Millionen Bundesbürger sind betroffen: Sie schlafen schwer ein oder wachen mitten in der Nacht auf. Gilt das schon als behandlungsbedürftige Schlafstörung? Was hilft? Dr. Hans-Günter Weeß, Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin, gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen zu schlaflosen Nächten. Er erklärt, wann man zum Arzt muss, benennt den Feind des Schlafes und erklärt, warum zu viel Schlaf depressiv macht.
n-tv.de: Herr Dr. Weeß, wann spricht man von Schlafstörungen?
Hans-Günter Weeß: Meist meint man damit das Problem, nicht einschlafen- oder nicht durchschlafen zu können oder morgens zu früh aufzuwachen. Klinisch-wissenschaftlich unterscheidet man jedoch mehr als 50 Formen von Schlafstörungen: Dazu gehören krankhaftes Schnarchen mit Atemstillständen, unruhige Beine in der Nacht, Schlafwandeln, schwere Alpträume und, und, und... Aber Ein- und Durchschlafstörungen sind die häufigste Schlafstörung. Wir gehen davon aus, dass zwischen 5,7 und 6 Prozent der deutschen Bevölkerung daran leiden. Das wären dann etwa 4,5 bis 5 Millionen Bundesbürger. Damit sind die Ein- und Durchschlafstörungen eine Volkskrankheit.
Müssen Ein- und Durchschlafstörungen behandelt werden?

Dr. Hans-Günter Weeß ist Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Er leitet das Schlafzentrum am Pfalzklinikum.
(Foto: Weeß)
Ja, denn die Nichtbehandlung kann weitere Erkrankungen mit sich bringen. Außerdem kann es, wenn man nicht schläft, zu Leistungseinschränkungen im sozialen Umfeld kommen oder am Arbeitsplatz oder im Straßenverkehr. Wir wissen, dass Schlafgestörte häufiger Unfälle erleiden, dass sie mehr Arbeitsfehler machen, dass sie mehr Fehlzeiten am Arbeitsplatz haben und wir wissen, dass ein nicht erholsamer Schlaf auf Dauer, wenn er chronifiziert ist, zahlreiche körperliche Folgen haben kann. Das Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen und für Diabetes ist dadurch erhöht. Das Immunsystem kann geschwächt werden, das zeigen uns einige Studien. Und außerdem besteht ein erheblich höheres Risiko für psychische Störungen wie Depressionen oder Angsterkrankungen, wenn die Ein- und Durchschlafstörung nicht behandelt wird.
Wann muss man zum Arzt? Eine Woche Schlafstörungen, ist das noch normal?
Bei Schlafstörungen, die vier Wochen andauern und die zu Einschränkungen am Tage führen – das ist die Voraussetzung für die Behandlungsbedürftigkeit – sollte man zum Hausarzt gehen. Besteht die Schlafstörung bereits länger als drei Monate, gilt sie als chronisch. Tatsächlich ist es so, dass über 80 Prozent der Patienten mit Ein- und Durchschlafstörungen schon länger als ein Jahr daran leiden und über 25 Prozent schon länger als zehn Jahre.
Wie wird die Schlafstörung behandelt?
Zunächst muss man herausfinden, woher die Schlafstörung kommt. Da gibt es viele mögliche Ursachen: Es können andere körperliche Beschwerden oder Erkrankungen dahinterstecken oder auch psychische Probleme. Die Schlafstörung kann aber auch alleine auftreten, also nicht im Rahmen anderer Krankheiten. Wenn man die Ursache kennt, behandelt man diese Grunderkrankung. Kommt die Schlafstörung allein, gibt es zwei Möglichkeiten: Die erste ist die Behandlung mit Medikamenten. Die können rasch zu einem erholsameren Schlaf beitragen und das Leistungsvermögen wieder herstellen. Aber: Die Medikamente bessern den Schlaf nur für die Dauer der Einnahme, sie stellen keine ursächliche Therapie dar. Und man muss aufpassen, dass man die klassischen Schlafmittel nicht zu lange nimmt, denn sie führen zu Gewöhnung und Abhängigkeit.
Wie lange darf man auf Schlaftabletten setzen?
Nicht mehr als zwei, maximal vier Wochen. Es gibt sekundäre Schlafmittel, die nicht körperlich abhängig machen. Dazu gehören zum Beispiel Antidepressiva, die kann man längerfristig einnehmen. Aber grundsätzlich muss man sich immer vor Augen halten: Die Tabletten übernehmen die Funktion, den Patienten zu entspannen und sie machen ihn müde, aber das ist bei primären Schlafstörungen ein symptomorientiertes Vorgehen. Wenn der Patient die Schlafstörung loswerden will, geht das nur, indem er lernt, sich zu entpflichten und abzuschalten und eine geruhsame, entspannte, geborgene Schlafzimmer-Atmosphäre herzustellen.
Was ist die zweite Behandlungsmethode?
Die setzt hier an; das ist die klassische Verhaltenstherapie. Wir haben für die Patienten mit chronischen Schlafstörungen spezialisierte Therapiegruppen als Behandlung im Angebot. Die Patienten lernen damit verschiedene Techniken kennen, um selbst wieder einen erholsamen Schlaf zu erreichen. Sie lernen, zu entspannen. Viele Schlafstörungen entstehen, weil die Betreffenden zwar nachts im Bett körperlich anwesend sind, gedanklich und emotional aber irgendwo in der Weltgeschichte umherschwirren. Es besteht also eine starke Neigung zum Grübeln. Wenn man aber nicht abschalten und sich nicht entpflichten kann, dann führt das zu einer erhöhten Anspannung und Anspannung ist der Feind des Schlafes.
Die entsteht übrigens auch dann, wenn man sich im Bett stark mit dem Nicht-schlafen-können beschäftigt; wenn die Gedanken darum kreisen: Werde ich schlafen können, wann schlafe ich endlich und warum schlafe ich noch nicht? Die Beschäftigung mit der Schlaflosigkeit und der Wunsch, unbedingt einschlafen zu wollen, halten wach – denn sie zu führen zu Anspannung.
Wie viel Schlaf muss sein, damit man gesund bleibt?
Es muss so viel sein, dass man sich am nächsten Tag ausgeschlafen, fit, leistungsfähig und emotional ausgeglichen fühlt – das kann nach drei oder elf Stunden Schlaf sein, das ist individuell verschieden, da spielen die Gene eine Rolle. 75 Prozent der Deutschen schlafen zwischen sechs und acht Stunden.
Macht auch zu viel Schlaf müde?
Nicht müde, sondern ein bisschen depressiv. Wenn man lange schläft, hat man von einem bestimmten Schlafstadium, dem REM- oder Traumschlaf, sehr viel. Dieser Traumschlaf kann 70 Prozent der Bevölkerung lustlos und antriebslos machen. Das wird häufig als Müdigkeit erlebt, aber tatsächlich ist es nichts anderes als eine Mini-Depression. Nicht in die Gänge zu kommen, sich zu nichts aufraffen zu können, das sind Symptome einer kleinen Depression. Zu viel REM-Schlaf macht eben ein bisschen depressiv. Das ist der Grund, weshalb man depressiven Menschen in der Therapie den Schlaf entzieht. Nicht eigentlich, um ihnen den Schlaf wegzunehmen, sondern um den REM-Schlaf zu vermeiden. Das wirkt dann stimmungsaufhellend und es geht ihnen vorübergehend besser.
Was gehört zu der vorhin erwähnten ruhigen Schlafzimmer-Atmosphäre?
All die Dinge, die mit dem Alltag zusammenhängen, haben im Schlafzimmer nichts zu suchen. Dort sollte also kein Schreibtisch stehen, kein Computer, da sollten nicht die Steuerunterlagen deponiert sein, da es sollte dort auch keinen Fernseher geben. Es kann zwar ganz Deutschland vorm Fernseher am besten einschlafen, aber das ist dann meist ein unruhiger, wenig tiefer Schlaf. Das Schlafzimmer sollte ausreichend klimatisiert sein, es sollte nicht zu warm und nicht zu kalt sein und es sollte geräuscharm sein. Ein schnarchender Bettpartner kann tatsächlich zum Problem werden. Aber man sollte auch damit leben, dass es in unserer Umwelt Geräusche gibt. Das ist ein Stück weit normal.
Warum müssen wir überhaupt schlafen?
Schlaf ist an Lern- und Gedächtnisprozessen beteiligt, er fördert unser Immunsystem, er sorgt fürs emotionale Gleichgewicht; es gibt da eine ganze Reihe von Aufgaben, die der Schlaf hat. Wer über mehrere Tage hinweg nicht schläft, kann Wahrnehmungsstörungen bekommen, verwechselt beispielsweise Straßenlaternen mit Bäumen oder auch Menschen, steigert sich in Wahnvorstellungen hinein und so weiter. Aber schlafen Sie einfach mal eine Nacht nicht, dann wissen Sie, warum wir überhaupt schlafen müssen. Es ist ganz simpel: Schlaf macht wach!
Mit Dr. Hans-Günter Weeß sprach Andrea Schorsch
Quelle: ntv.de