Ägypten und die Flüchtlinge "Das ist eine afrikanische Krise"
27.09.2015, 15:47 Uhr
Seit dem Beginn des Bürgerkriegs flogen Hunderttausende Syrer nach Ägypten.
(Foto: picture alliance / dpa)
In Südeuropa gestrandete Flüchtlinge suchen weiter den Weg nach Deutschland. Hier ist die Solidarität der Bevölkerung noch immer groß. Doch was denken Menschen in Ägypten über Europas Flüchtlingspolitik?
"Deutschland ist das einzige Land, das etwas unternimmt", sagt Gemüsehändler Ashraf. Auch Samira, eine Lehrerin aus Alexandria, glaubt, Deutschland und Bundeskanzlerin Angela Merkel machen einen guten Job inmitten der europäischen Flüchtlingskrise. Dabei sind Wortmeldungen wie diese heute eher rar in Ägypten. Noch vor wenigen Wochen fanden sich unzählige schmeichelnde Worte in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter. Doch die Begeisterung über Berlins kurzweilige Kehrtwende in der Migrations- und Flüchtlingspolitik ist einer Art Ernüchterung gewichen. Heute zeigen sich die meisten Menschen am Nil eher skeptisch über Deutschlands Rolle in der europäischen Flüchtlingspolitik.
"Europa hat es versäumt für das elementarste Menschenrecht, das Recht auf Leben, einzustehen. Es macht mich traurig zu sehen, dass nicht einmal Europa fähig ist, all diese Toten zu verhindern", meint Shady, ein Buchhalter bei einem ägyptischen Glasproduzenten. Beshir hingegen zweifelt an der Selbstdarstellung Deutschlands. "Diejenigen, die es nach Deutschland geschafft haben, sind jung und stark und fit genug, um zu arbeiten. Zugleich wimmelt es in Ägypten nur so an Flüchtlingen mit den unterschiedlichsten Nationalitäten – und niemand feiert sich dafür in der Presse", schreibt er bei Facebook. Auf die Frage, wie er denn Europas Flüchtlingskrise wahrnehme, reagiert ein Taxifahrer in Kairo etwas ungehalten. "Es ist eine afrikanische Flüchtlingskrise, keine europäische." Schließlich verliere Afrika seine Jugend, während die alten und kranken Menschen bleiben und die Kräftigen nach Norden zögen.
Ägyptens Staatspräsident Abdel Fattah Al-Sisi geht von rund fünf Millionen Flüchtlingen im Land am Nil aus. Die meisten stammen aus dem Sudan sowie ostafrikanischen Staaten wie Somalia, Äthiopien und Eritrea. Doch auch rund 135.000 Syrer haben in Ägypten Unterschlupf gefunden. Die Türkei hat derweil zwei Millionen, der Libanon rund eine Million und Jordanien rund 630.000 Menschen aus Syrien aufgenommen. Dagegen muten die Zahlen, die in der europäischen Presse und Politik diskutiert werden, lächerlich gering an.
"Mama Merkel, wir lieben dich"
Dennoch finden sich bis heute positive Wortmeldungen über Deutschlands Aufnahme syrischer Flüchtlinge. "Mama Merkel, wir lieben dich", heißt es in einer Facebook-Gruppe, die offenbar von Menschen aus Syrien betrieben wird – und es ist bei weitem nicht die einzige Merkel-Fanseite mit syrischem Hintergrund. Doch auch rechtsextreme Tendenzen in der Bundesrepublik bleiben nicht unbemerkt. Die Berichterstattung des arabischsprachigen Ablegers der Deutschen Welle über brennende Asylbewerberheime verbreitete sich in sozialen Netzwerken rasend schnell und wurde tausende Male geteilt.
Ein Nutzer kommentiert derweil Deutschlands diplomatische Vorstöße im syrischen Chaos. "Sogar du, Frau Merkel, willst Assad als Teil der syrischen Verhandlungen sehen und das nach all den Tötungen und Zerstörungen, die er und seine Söldner verursacht haben", schreibt Mark bei Facebook.
Menschen, die mit Migration und Flucht beruflich beschäftigt sind, beurteilen die jüngsten Entwicklungen in Europa derweil deutlich kritischer. "Es ist vielleicht verständlich, dass vor allem Angela Merkel von syrischen Flüchtlingen und Asylbewerbern Applaus bekommt. Es ist jedoch etwas merkwürdig zu sehen, wie atemlos und vereinfachend die Narrative geworden sind, da Deutschland – wie andere europäische Staaten auch – daran arbeitet, die Grenzkontrollen in die EU-Nachbarstaaten im Mittelmeerraum auszulagern", meint etwa der Journalist Tom Rollins.
Und seine Einwände sind durchaus berechtigt, schließlich wird in Deutschland bereits über die Verschärfung des Asylrechts diskutiert. Nach Angaben der Internetseite German Foreign Policy plant die Bundesregierung zudem Abschiebungen künftig nicht mehr anzukündigen und die Bundespolizei zu ermächtigen, Menschen bereits an Deutschlands Außengrenzen abzuweisen. Die Ablehnungsquote von Asylanträgen in Deutschland liege ferner bei über 60 Prozent, während das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Zahl der sich illegal im Land aufhaltenden Menschen auf rund 520.000 schätzt. "Damit droht mehr als einer halben Million Menschen die Abschiebung in ihr Herkunftsland", heißt es bei German Foreign Policy weiter.
Quelle: ntv.de