Politik

Erste Wahl nach neuem Wahlrecht Erststimme, Zweitstimme und was man sonst noch wissen muss

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Der Stimmzettel sieht aus wie immer. Überhang- und Ausgleichsmandate gibt es aber nicht mehr: Über die Stärke der Parteien im nächsten Bundestag entscheidet allein die Zweitstimme.

Der Stimmzettel sieht aus wie immer. Überhang- und Ausgleichsmandate gibt es aber nicht mehr: Über die Stärke der Parteien im nächsten Bundestag entscheidet allein die Zweitstimme.

(Foto: picture alliance / pressefoto_korb)

Bei der Bundestagswahl am kommenden Sonntag gilt erstmals das 2023 von der Ampelkoalition beschlossene neue Wahlrecht. Der Bundestag wird dadurch deutlich kleiner, statt wie bisher immer größer zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist die Rolle der Erststimme verändert worden. Ein Überblick.

Wonach richtet sich die Zusammensetzung des Bundestags?

Wie viele Sitze die einzelnen Parteien im neuen Bundestag bekommen werden, hängt seit der Wahlrechtsreform ausschließlich von der Zweitstimme ab. Deshalb ist, anders als bislang, schon vor der Wahl klar, wie groß der nächste Bundestag sein wird: 630 Abgeordnete, mehr gibt es nicht. Nach Berechnung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) werden dadurch rund 125 Millionen Euro eingespart.

Wie war es bislang?

Früher galt: Ein Kandidat, der in seinem Wahlkreis die meisten Erststimmen bekommen hat, hatte einen Sitz im Bundestag. In der Praxis reichten dafür mitunter Ergebnisse unter einem Viertel der abgegebenen Erststimmen. Bei immer mehr Parteien kamen so immer häufiger Kandidaten in den Bundestag, deren Parteien (nach dem Zweitstimmenergebnis) eigentlich weniger Mandate hätten haben sollen. Dies waren die sogenannten Überhangmandate, sie sorgten für eine Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses. Um die Verzerrung nicht zu groß werden zu lassen, gab es zusätzlich zu den Überhangmandaten noch Ausgleichsmandate. Die Folge: Der Bundestag wurde immer größer. In der zu Ende gehenden Wahlperiode waren es zuletzt 733 Abgeordnete.

Wie ist es jetzt mit Erststimme und Direktmandaten?

Künftig muss jedes Direktmandat im jeweiligen Bundesland vom dortigen Zweitstimmenanteil gedeckt sein. Wenn beispielsweise die CSU in allen 47 bayerischen Wahlkreisen das Direktmandat gewinnen würde, müsste ihr Zweitstimmenergebnis gut genug sein, um 47 CSU-Mandate zu rechtfertigen. Das kann der Fall sein, kann aber auch schiefgehen, vor allem dann, wenn die drei kleinen Parteien Linke, FDP und BSW den Sprung über die Fünfprozenthürde schaffen. In diesem Fall würden die Kandidaten mit dem niedrigsten Erststimmenergebnis ihre Mandate nicht bekommen. Bundesweit gibt es 299 Wahlkreise.

Sieht der Stimmzettel wegen des neuen Wahlrechts anders aus als früher?

Nein. Weiterhin gibt es eine Erststimme und eine Zweitstimme.

Kann ich auch nur Erst- oder Zweitstimme vergeben?

Das ist möglich. Die Bundeswahlleiterin weist darauf hin, dass Erst- und Zweitstimme unabhängig voneinander sind. Sie müssen weder derselben Partei gegeben werden, noch müssen beide vergeben werden. Wird nur die Zweitstimme abgegeben, dann wird die Erststimme als ungültig gewertet - umgekehrt ist es ebenso.

Welche Rolle spielt die Ebene der Bundesländer?

Bei Bundestagswahlen treten die Parteien mit sogenannten Landeslisten an. CDU-Chef Friedrich Merz beispielsweise hat Listenplatz 1 auf der nordrhein-westfälischen Landesliste der CDU. Da es keine Bundeslisten gibt, kann es auch keine bundesweite Spitzenkandidatur geben. Eine Kanzlerkandidatur ist daher eher eine Verabredung und nicht ans Wahlrecht gebunden.

Die Sitzverteilung wird nach dem bundesweiten Wahlergebnis festgelegt. Erst dann werden die Sitze, die den Parteien zustehen, auf die Landeslisten verteilt. Maßgeblich ist dabei nicht die Einwohnerzahl des Bundeslandes, sondern die Zahl der Zweitstimmen, die eine Partei dort gewonnen hat. Feste Kontingente für einzelne Bundesländer gibt es im Bundestag daher nicht. Eine Beispielrechnung der Bundeswahlleiterin für die Sitzverteilung finden Sie hier (pdf).

Weiterhin gilt: Das Direktmandat hat Vorrang vor der Liste. Wenn einer Partei in einem Bundesland also 40 Mandate zustehen, dann gehen die zuerst an die Erststimmengewinner. Nur wenn dann noch Mandate unbesetzt sind, kommt die Liste zum Zug.

Und die Fünfprozenthürde gilt weiter?

Ja. Allerdings urteilte das Bundesverfassungsgericht im vergangenen Jahr, dass es Öffnungsregeln geben muss. Das ist vor allem die sogenannte Grundmandatsklausel: Eine Partei, die in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen holt, kommt in den Bundestag. Das gilt auch dann, wenn eines dieser Direktmandate dem neuen Erststimmenrecht zum Opfer fällt. Wenn etwa die Linke drei Direktmandate in Berlin gewinnt, dann müssen auch die von den Berliner Zweitstimmen der Linken gedeckt sein. Sind sie es nicht, würde der Kandidat oder die Kandidatin mit dem niedrigsten Erststimmenergebnis das Mandat nicht bekommen, wie Wahlrechtsexperte Matthias Moehl von election.de im Interview erläutert.

Für Einzelbewerber, die ohne Partei im Rücken antreten, gilt die Fünfprozenthürde nicht. Eine weitere Ausnahme gilt für Parteien nationaler Minderheiten. Sie müssen die Fünfprozenthürde nicht überspringen, sondern nur genug Zweistimmen bekommen. Aktuell betrifft das den Südschleswigschen Wählerverband (SSW), die Partei der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein. Sie ist im Bundestag mit dem Abgeordneten Stefan Seidler vertreten.

Was ist mit Einzelbewerbern?

Wahlrechtsexperte Moehl weist auf eine theoretisch denkbare Besonderheit hin: "Sie wählen einen Einzelbewerber, also einen Kandidaten, der ohne Partei antritt. Wenn dieser gewinnt, dann wird Ihre Zweitstimme nicht gezählt, weil Ihre Stimme sonst unverhältnismäßig viel Gewicht hätte. Das ist jedoch ein sehr unwahrscheinlicher Fall und es ist auch noch nie passiert."

Bleibt das alles so?

Das hängt von der künftigen Koalition ab. Die CSU fühlt sich von der neuen Erststimmenregelung benachteiligt, die Union will das Wahlrecht daher nach der Wahl schon wieder ändern. Das ginge allerdings nur um den Preis, dass der Bundestag wieder wächst. Oder wenn man eine Verzerrung des Zweitstimmenergebnisses in Kauf nähme.

Quelle: ntv.de

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