
Edmond Kok, Künstler in Hongkong, hat seit Februar 170 Masken kreiert. Als Kunst, nicht zum Gebrauch.
(Foto: AP)
Es wäre vermeidbar gewesen. Nicht die komplette Corona-Sache, das vermag ich wahrlich nicht zu beurteilen. Aber diese Sache letzte Woche. Man muss sich ja nicht anstecken, dachte ich. Denn wenn alle sich vernünftig verhalten, Abstand wahren zum Beispiel oder in bestimmten Situationen eine Maske tragen, dann besteht durchaus die Möglichkeit, bis zur Entdeckung eines Impfstoffs "da" durchzukommen, ohne großartig Schaden zu nehmen. So dachte ich. Und handelte auch dementsprechend. Ich stieg und steige vorerst in kein Flugzeug und keinen Zug, fahre einzig Auto und Fahrrad, meide - als bekennendes Herdentier - zu große und fremde Menschenmengen (vor allem Indoor), bin aus der Bussi-Bussi-Gesellschaft raus und zum Ellenbogen-Klatscher verkommen (was vollkommen bescheuert aussieht) und gedachte diese für uns alle seltsame, an vielen Stellen jedoch lebensbedrohliche Situation zu überwinden. Erhobenen Hauptes.
Ich kenne inzwischen Menschen, die das Virus hatten oder haben, ich kenne leider auch jemanden, der daran gestorben ist. Ich habe aber immer noch gedacht, das ist nicht meine Baustelle, ich passe ja auf. Wie immer im Leben kommt es dann anders, als man denkt. Nun also die Ansage am letzten Mittwochmorgen, nach dem ersten Training der A-Mädchen nach den Sommerferien: Eine junge Sportskollegin der Tochter ist Covid-19-positiv getestet worden. "Alle zu Hause bleiben, Quarantäne, Test machen oder auf das Gesundheitsamt warten. Die melden sich." Nun, was soll ich sagen, diese Ansage brachte unsere Pläne ganz schön durcheinander, hatte man sich doch so sehr darauf verlassen, dass das vermeintlich normale Leben wieder losgeht. Wenn ein Kind sich schon darauf freut, dass die Schule wieder startet, wenngleich es auch Respekt vor der Schule hat, dann will das doch was heißen, zumal, wenn es sich um ein Pubertier handelt. Aber die Monate des Homeschoolings, des Zooms, der Handy-Homepartys und der unendlichen Spieleabende mit den liebenden Eltern haben Spuren hinterlassen.
Menschen sehnen sich nach Nähe, auch über den Tellerrand hinaus. Außer die, die sich sonst auch nicht nach Nähe und Geselligkeit sehnen, die selbstverständlich nicht. Schüler nehmen also Unterricht in Kauf, wenn sie nur endlich mal ihre Leute wiedertreffen dürfen und selbst die, die sonst nicht zur Peergroup gehören, wirken attraktiv wie lichte Erscheinungen am Ende des Regenbogens.
Ich bin's, euer Party-Pooper
Zwischenanmerkung: Auf das Gesundheitsamt zu warten ist keine gute Idee. Die tun wirklich, was sie können. Aber: Ich erhielt meinen ersten Anruf zweieinhalb Tage nach Bekanntwerden der Tatsachen, am Freitagabend um 19.45 Uhr, da kriegt man schon einen Schreck. Und dann auch "gleich" noch einen, nur sechs Tage später, man hatte meine Nummer wohl nicht mehr gefunden, obwohl ich doch selbst auch beim Gesundheitsamt angerufen hatte, mein Kind saß schon längst wieder in der Schule mit ihrem privat initiierten, negativen Befund, das ist echt positiv!
Dann, genau eine Woche später, ein weiterer Anruf, von einem anderen Gesundheitsamt, sie würden jetzt testen kommen wollen. Eine Woche später! Aber es war nach den Ferien ja auch recht viel los: All die armen Menschen, die von Mallorca, aus Kroatien oder der Côte d'Azur zurückgeflogen kamen, sollten schließlich erstmal versorgt sein! Und es waren eine Menge, die da wohl gedacht haben, ey, same procedure as every year, was soll's?! Cheers! Da kommt man sich als braver Bayern-Urlauber schon ein bisschen beknackt vor: Erstens der Langweiler, der alles richtig machen will, und zweitens dann die Keule direkt in die Kniekehlen, und zwar so, dass man doch in Quarantäne kommt, wegen der anderen. Blöd.
Ich sehe sie, die spöttischen Gesichter der Easy-Jetter, die sich über die Party-Pooper-Mutti schlapplachen. Apropos Mutti, die hatte sich natürlich, ihre guten Beziehungen spielen lassend, umgehend zu ihrem Hausarzt begeben, der ihr freundlicherweise ermöglichte, die Test-Röhrchen für die ganze Familie mit nach Hause zu nehmen. Doch die nächste Info - "Das nutzt erst was, wenn Sie die Tests zwei bis drei Tage nach der möglichen Inkubation benutzen, ansonsten sind Sie auf jeden Fall negativ und das Ergebnis nicht aussagekräftig" - war wieder ein Dämpfer. Hatte sie, die Mutti, also ich, doch von findigen Mitbetroffenen bereits gehört, dass diese - wie auch immer - bereits einen Test gemacht haben und negativ sind. Aus solidarischen Gründen und weil Sportverein und Schule darum gebeten hatten, blieb man dann doch noch zu Hause. Aber man hätte, auch laut Informationen von durchaus seriösen Quellen, sofort weitermachen können, als wäre nix gewesen. Man hat ja einen Schrieb in der Hand, da steht drauf: "Negativ". Also positiv!
Grundrechte auch für Doofe?
Schlussfolgerung: Nicht nur die ach so schlimmen jungen Leute, die in Horden auf der Torstraße stehen und ihre Bierchen und Berliner Luft zischen, nein, auch die Normalo-Familien nutzen jede Gelegenheit, sich zu sagen: "Ach, bei uns wird es schon nicht so schlimm sein, wir doch nicht." Genau das dachte ich bisher ja auch. Das getestete Mädchen, von dem anfangs die Rede war, ist übrigens die Einzige in ihrer Familie, die sich mit Covid-19 angesteckt hat, alle anderen: negativer Befund. Also durchaus positiv.
Merke: Dieses Virus, das bei einem mir bekannten Paar eine Person mehrere Tage ausknockte und die andere verschonte, das sich in einer Familie ein kerngesundes Mädchen aussucht und die anderen nicht, das eine gesunde 40-jährige Bekannte fast niedergestreckt hätte, so ein Virus ist vollkommen unberechenbar, so scheint es.
Ich habe nicht vor, deswegen zum "Das Glas ist doch halb leer"-Typen zu mutieren, aber eine gewisse Vorsicht sollte doch bitte auch in nächster Zeit weiterhin drin sein. All die Schwachmaten, die meinen, allgemein gültige Regeln gelten nicht für sie, die möchte ich sehen, wenn sie keine Luft mehr bekommen. Wie sie dann nach ihrem Grundrecht auf ärztliche Versorgung japsen, während sie vorher meinten, ihnen wären sämtliche Grundrechte entzogen worden. Ich gebe zu, dass "es" mich nervt (ich will, dass "es" vorbei ist), und auch, dass ich Masken ätzend finde: Allein den Anblick der durch den Mund-Nasen-Schutz fast gleichgemachten Gesichter finde ich absurd. Und wie komisch mir Leute vorkommen, die die Dinger zu einer Art Accessoire erklärt haben, brauche ich wohl kaum zu erwähnen. Aber ich setze sie auf. Aus Respekt anderen gegenüber und auch für meinen eigenen Schutz.
Ich habe, wie die meisten anderen Menschen auf der ganzen Welt, viel verpasst dieses Jahr - und das macht mich oft ungeduldig, wütend oder traurig, denn ich bin ganz schlecht darin, mich mit "Umständen" abzufinden. Aber noch viel schlechter wäre es, wenn ich mein restliches Leben verpasse oder das eines anderen, mir nahen Menschen. Oder überhaupt eines Menschen. Insofern: Rette sich wer kann, vor der zweiten Welle, denn der Herbst steht vor der Tür und dann könnte es echt negativ werden. Also negativ-negativ.
Quelle: ntv.de