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Vip Vip, Hurra! Gil Ofarim ist nur die Spitze des Eisbergs

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Hielt lange an seiner Lüge fest: Gil Ofarim

Hielt lange an seiner Lüge fest: Gil Ofarim

(Foto: picture alliance/dpa)

Sein Fall erschüttert die Gesellschaft: Gil Ofarim gibt zu, gelogen zu haben. Doch er ist nicht der einzige Prominente, der Ressentiments zum Selbstzweck nutzt. Den Fokus auf vermeintliche Ungerechtigkeiten zu legen, hat auf Social Media Hochkonjunktur. Ein Text über die Freuden von Algorithmen und ein Einblick hinter die Kulissen der Hotel-Gastronomie.

Es war ein inzwischen berühmtes Video, das "bam, bam, bam" schnell viral ging, nicht zuletzt, weil es ein Prominenter mit großer Reichweite in den sozialen Medien teilte. In der gesamten Medienlandschaft wurde hinreichend darüber geschrieben und in Talkrunden diskutiert, wie schnell sich die Menschen mit dem Sänger Gil Ofarim als angebliches Opfer von Antisemitismus in einem Leipziger Hotel solidarisierten.

In kollektiver Schnappatmung stimmten viele in den Kanon der Empörung ein und Ofarim wiederholte seine Lügen immer und immer wieder vor Kameras. Er war jetzt einer, der endlich dafür gesorgt hatte, dass ein riesiges Problem in unserer Gesellschaft auf der Tagesordnung stand. Leute, die sich nicht äußerten oder versuchten, Fahrtwind aus der hitzigen Debatte zu nehmen, indem sie beispielsweise sagten, man sollte die Untersuchungen abwarten und die Seite des beschuldigten Hotels anhören, sahen sich ebenfalls der Gefahr eines Shitstorms ausgesetzt oder wurden im vorauseilenden Gehorsam des Gruppenzwangs auch schon mal als "Täterschützer" angeblafft.

Doch es ist, wie mein Kollege Volker Probst in seinem Kommentar zur Causa Ofarim schreibt: "Die Presse darf und muss sich in dieser Angelegenheit durchaus an die eigene Nase fassen und einräumen, dass dies in Teilen kein Ruhmesblatt für sie war, auch wenn speziell in diesem Fall der erste Reflex verständlich und in gewisser Weise sogar ein positives Zeichen gewesen sein mag."

Als das Thema rund um Ofarim und den als "Herrn W." bekannt gewordenen Hotelmitarbeiter medial durch die Decke ging, ertappte ich mich immer wieder dabei, über Dinge nachzudenken, die sich, zumindest gefühlt, in einem anderen Leben zugetragen haben. Ich komme nämlich, sagen wir es salopp, aus der Gastronomie. Ich habe eine dreijährige Berufsausbildung abgeschlossen und mir, wie viele andere Studenten, mein Studium finanziert, indem ich neben der Uni kellnerte oder aber wie "Herr W." an der Rezeption stand und Gäste ein- und auscheckte.

Unzufriedene Gäste sind Gift für den Ruf

Ich kellnerte in den nobelsten Hotels Berlins, mixte Cocktails in Luxushotels am Ku'damm und arbeitete als Nachtportier. Jeder, der in diesen Bereichen tätig ist, könnte die verrücktesten Storys erzählen, die er mit Prominenten erlebt hat. Es sind meist Anekdoten, die nie an die Öffentlichkeit gelangen, denn die Privatsphäre des Gastes ist oberste Prämisse.

Dennoch tauschen sich Leute aus der Gastronomie untereinander sehr gerne aus. Jeder hat sein ganz eigenes Promi-Highlight. Es gibt so viele kleine Geheimnisse über große Stars, die für immer in den Wänden von Hotelzimmern schlummern werden. Und natürlich gibt es auch die bekannt gewordenen Geschichten von Rockstars, die hochkantig rausfliegen, weil sie Hotelzimmer verwüstet, Mobiliar zerstört und Fernseher aus dem Fenster geworfen haben.

Als der Fall Ofarim medial die Gemüter erhitzte, habe ich mich an eines besonders erinnert: die vielen, vielen Mitarbeiter-Schulungen! Der gute Ruf eines Hotels ist das A und O. Unzufriedene Gäste sind das pure Gift. Ein unzufriedener Gast, so lernte ich in diesen Schulungen unter anderem, erzählt von seinen negativen Erfahrungen viel mehr Leuten als einer, der mit dem Service rundum zufrieden gewesen ist. Ich lernte, wie man auch bei den schlimmsten Gästen nicht die Fassung verliert. Oberste Devise: sich bloß nicht triggern lassen, ruhig, sachlich und besonnen bleiben. Und sehr oft waren schimpfende oder pöbelnde Gäste dann auch wieder runter von der Palme und entschuldigten sich sogar für ihren unangemessenen Ton.

Ich habe es mit den unangenehmsten Zeitgenossen zu tun gehabt, Leute, die regelrecht und von vornherein vorhatten, Stunk zu machen. Auch für diese speziellen Kandidaten gab es Schulungen - und natürlich bedeutet das nicht, dass man sich alles gefallen lassen muss! Was ich mir aber nur sehr schwer vorstellen konnte, ist, dass sich ein Mitarbeiter eines Hotels einem Gast gegenüber so dermaßen rufschädigend äußert, dass er gesagt haben soll: "Pack deinen Stern weg!"

Krawall wird mit Aufmerksamkeit belohnt

Der wäre, so dachte ich sofort, beim Hotelchef nicht zum Rapport gerufen, sondern umgehend gefeuert worden. Es klang so absurd, dass man sich selbst einredete, dass es wahr sein muss. Zur Besonnenheit aufrufen, wenn sich wieder mal einer vor eine Kamera setzt und von unsäglichen Dingen berichtet, greift meiner Meinung nach aber zu kurz. Denn der Fall Gil Ofarim ist zwar inzwischen ein sehr bekannter, tatsächlich aber ist er nur die Spitze des Eisbergs.

Zum Übel gehören vor allem, und das muss man in aller Deutlichkeit einmal sagen, auch auf Krawall programmierte Algorithmen der Social-Media-Plattformen. Alles, was Aufmerksamkeit bringt oder triggert, wird vom Algorithmus belohnt. Es ist ein pervertiertes Belohnungsprinzip, Klicks und Likes die Währung. Jeden Tag setzen sich auf Social Media tausende Menschen vor eine Kamera und erzählen die rührseligsten Geschichten. Viele davon sind wahr, aber genauso viele sind auch erstunken und erlogen.

Auch seine Lügengeschichte machte Schlagzeilen: Nicolas Puschmann.

Auch seine Lügengeschichte machte Schlagzeilen: Nicolas Puschmann.

(Foto: picture alliance / Panama Pictures)

Wenn diese Geschichten aber von bekannten Personen des öffentlichen Lebens kommen, neigt das ach so gemeine Volk und die Community schnell dazu, alles blind zu glauben. Als seien Promis die besseren Menschen. Sobald hinter dem Account eines Promis eine große Reichweite und ein Management stehen, gilt dies als eine Art Freifahrtschein. Denn mit der Macht (des Ruhms) kommen die Privilegien. Macht ist etwas, mit dem viele nicht gut umgehen können. Das sieht man an den Millionen Fällen, in denen sie für die eigene Unzulänglichkeit missbraucht wird.

So hielt sich etwa an einem Winterabend 2021 auch die TV-Persönlichkeit Nicolas Puschmann die Kamera ins Gesicht, filmte sich blutverschmiert nach einem mutmaßlichen homophoben Übergriff mit den Worten: "So ist es eben manchmal als schwuler Mann in Deutschland." Die Community war, wie bei Ofarim, entsetzt. Der vermeintliche Angreifer musste sich wegen schwerer Körperverletzung sogar vor Gericht verantworten.

"Du weißt nicht, wer ich bin!"

Auch Puschmann, bis zu dem Zeitpunkt ein Vorbild der queeren Community in Deutschland, hatte den Vorfall frei erfunden. Der vermeintliche Angreifer wurde freigesprochen. Und auch hier waren es vor allem die Aussagen der Zeugen, die das Bild eines Menschen aufzeigten, der mit der Einstellung durch die Gegend zu stiefeln scheint, dass ihn alle Welt gefälligst zu kennen habe. So hat er sich vor dem vermeintlichen Angreifer aufgebaut und immer wieder gesagt: "Du weißt nicht, wer ich bin!"

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Es ist oft das gekränkte Ego, das Leute, die sich als Berühmtheiten wähnen, aus der Haut fahren lässt. Gern wenden sie sich dann an ihre Community, weil Fans wohl sowieso (fast) alles glauben.

Schlecht in einem Restaurant gegessen? Unfreundliche Bedienung? Zickiges Verkaufspersonal? Erstmal ein Video machen! Es ist inzwischen gang und gäbe, dass Bewertungsportale für Hotels und Restaurants von einem Mob mit 1-Sterne-Rezensionen überzogen werden. Anzeigen von Dritten, völlig Unbeteiligten, sind ebenfalls gestiegen. Wer seine Macht als Person des öffentlichen Lebens missbraucht, um sich selbst zu erhöhen, hat nicht nur seiner Community, sondern der gesamten Gesellschaft einen Bärendienst aufgedrückt. Ihr seid für viele Leute Vorbilder, also benehmt Euch auch so! Und hört mit der Heuchelei auf, über Missstände aufklären zu wollen, während Ihr in Wahrheit vorhabt, den Algorithmus zu füttern. Bämm, bämm - erbärmlich!

Quelle: ntv.de

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