Unterhaltung

"Wir sind mehr" in Chemnitz Tatenlos durch die Nacht

Glänzen durch Abwesenheit: Helene Fischer, Andrea Berg und Mark Forster.

Glänzen durch Abwesenheit: Helene Fischer, Andrea Berg und Mark Forster.

(Foto: Imago / Collage: n-tv.de)

Die Liste der Bands, die sich in Chemnitz gegen rechte Gewalt und Rassismus zur Wehr setzen, präsentiert sich in etwa so überraschend wie ein Übersteiger von Cristiano Ronaldo. Wo ist Andrea Berg? Wo ist Mark Forster? Wo ist Helene Fischer?

Chemnitz im Spätsommer 2018: Ein schreckliches Verbrechen sorgt für ein neuerliches Beben unter den Füßen von hunderten Hohlbirnen. Schnell werden Springerstiefel geschnürt, schwarz-weiß-rote Flaggen gehisst und die Fäuste geballt. Wieder einmal ziehen trinkfeste Wutbürger und bürgerkriegsgeile Neonazis durch die Straßen der sächsischen Provinz und hinterlassen dabei ein Trümmerfeld aus Blut und Angst.

Unschuldige Menschen werden gehetzt und gejagt wie wilde Tiere. Die Polizei ist überfordert. Der Normalbürger hat Angst. Und die Politik schaut zu. Was tun? Wie könnte man eine nachhaltige Botschaft versenden, die den Anti-Rechts-Widerstand mobilisiert und vor allem auch all jene erreicht, die mit Ist-schlimm-aber-geht-mich-nichts-an-Scheuklappen durchs Leben schleichen?

"Wie wär's mit Musik?", schallt es plötzlich durch die Republik. Na klar, Musik verbindet! Tolle Idee! Wer hat denn alles Zeit und Lust? Die meisten der Chemnitzer Erstschicht-Polizisten haben ihre Helme noch auf, da werden in Düsseldorf, Berlin und Rostock bereits Gitarren und Verstärker auf den Laster gehievt.

Der geschwollene Stinkefinger

Na klar, Die Toten Hosen marschieren wieder vorneweg, wenn es um die musikalische Verteidigung des gesunden Menschenverstands geht. Sehr löblich. Ebenfalls mit im "Wir sind mehr"-Festival-Boot sitzen die beiden Hip Hop-Maestros Casper und Marteria, die Kollegen von K.I.Z, die Punkrocker von Feine Sahne Fischfilet und Kraftklub und noch viele mehr. Sie alle wollen dem rechten Mob den geschwollenen Stinkefinger zeigen. Und das ist auch gut so.

Noch besser wäre es allerdings, wenn sich neben den üblichen Verdächtigen auch mal die Leute positionieren würden, die hierzulande in puncto Einfluss und Inspiration am längsten Hebel sitzen. Als da wären beispielsweise: der nahezu komplette Deutschpop-Kader, angeführt von Capitano Mark Forster und seinen Spielmacher-Strategen Max Giesinger, Andreas Bourani, Wincent Weiss und Co.

Ein Tritt in den Allerwertesten

Man stelle sich nur einmal vor, was ein Satz, wie "Hallo Chemnitz, ich bin heute hier, um rechtem Gedankengut und blindem Hass eine schallende, musikalische Ohrfeige zu verpassen!", aus dem Mund eines Mark Forster in Millionen deutschen Jugendzimmern bewirken könnte. Aber nein, bloß nicht anecken, heißt die Devise.

In Chemnitz wird kein "Like A Lion", kein "Feuerwerk" und auch kein "80 Millionen" durch die Boxen schallen. Es wird auch kein Rammstein-Feuerwerk zu sehen sein. Ein spontanes Anti-Rechts-Bekenntnis der Böhsen Onkelz wird ebenfalls nicht zu vernehmen sein, auch kein wohlphrasiert geträllerter "Stoppt den Hass!"-Chor aus den Kehlen von Andrea Berg, Dieter Bohlen und Helene Fischer.

Statt atemlos, tanzt die Creme de la Creme der deutschen Mainstream-Rock- und Pop-Landschaft lieber tatenlos durch die Nacht - und das nicht zum ersten Mal. Das ist nicht nur traurig, sondern auch ein Tritt in den Allerwertesten all jener, die sich dieser Tage - mal wieder - auf zwingend notwendigem Konfrontationskurs bewegen.

Quelle: ntv.de

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