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Zwischen Siedlern und Soldaten Alena Jabarine sucht nach Palästina

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Israelische Soldaten in der palästinensischen Stadt Nablus.

Israelische Soldaten in der palästinensischen Stadt Nablus.

(Foto: picture alliance / SIPA)

Mehrere Jahre lebt die Journalistin Alena Jabarine im Westjordanland. Entstanden ist ein Buch, das vom Leben unter Militärbesatzung erzählt. Mit viel Empathie eröffnet die Autorin eine palästinensische Perspektive, die dabei hilft, diese krisengeplagte Region besser zu verstehen.

Was ist Palästina? Eine angemessene Antwort scheint nahezu unmöglich. Wenn hierzulande über Palästina gesprochen wird, geht es um Krieg und Leid im Gazastreifen, um die Hamas, um Israel, um Anerkennung, manchmal um das Westjordanland, Siedler und Besatzung. Palästina ist Projektionsfläche und zugleich Heimat von Millionen Menschen.

Auch für Alena Jabarine war Palästina lange ein Ort der Erinnerungen: an bunte Eiskugeln, am Küchentisch debattierende Onkel und Sonnenuntergänge hinter Sperranlagen - an Urlaube in der Heimat ihres Vaters. Die Journalistin ist in Hamburg geboren, identifiziert sich als Deutsch-Palästinenserin und besitzt auch die israelische Staatsbürgerschaft. Jabarines Bezug zu Palästina war stets privilegiert, sie kam und ging, konnte sich somit frei machen von der Realität, in der ihre Verwandten leben.

Alena Jabarine ist in Hamburg geboren.

Alena Jabarine ist in Hamburg geboren.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

Eine Leerstelle, die sie 2020 füllen will, als sie einen Job bei einer deutschen Stiftung annimmt und nach Ramallah zieht, der größten Stadt im Westjordanland. Zwei Jahre bleibt sie in der Region. Aus dieser Zeit entsteht ein Buch: "Der letzte Himmel: Meine Suche nach Palästina".

In der Tat nimmt die Journalistin darin die Rolle einer Suchenden ein. Mitunter ist sie eine Reporterin, die Geschichten aufspürt und Lebensumstände dokumentiert. Meistens ist sie aber teilnehmende Beobachterin, die das Wort lieber anderen gibt, Erlebnisse und Gefühle auf sich wirken lässt. Sie erzählt vom Leben der Palästinenserinnen und Palästinenser unter israelischer Militärbesetzung - und füllt damit wohl auch bei einigen Lesenden eine Leerstelle.

Dauerhafte Schikanen

Denn die Bewohner des Westjordanlands stehen unter andauernder Beobachtung der Armee, müssen ständig Schikanen über sich ergehen lassen, an Checkpoints, bei wahllosen Kontrollen oder im eigenen Zuhause. Jabarine erlebt mit, wie israelische Soldaten, teils noch keine 20 Jahre alt, palästinensische Häuser stürmen, alles durchsuchen und wieder abziehen. Was sie anfangs noch schockiert zurücklässt, wird von ihrem Umfeld mit Gelassenheit quittiert: alles normal.

Auch die Welt hat sich an den Besatzungszustand gewöhnt, der seit dem Krieg zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten 1967 aufrechterhalten wird. Hoffnungen auf Auswege wurden in der Vergangenheit immer wieder zunichtegemacht. Durch die Gewalt der Zweiten Intifada und durch den israelischen Siedlungsbau, dessen Fortschreiten eine Annexion zur Folge haben soll und bereits jetzt einen palästinensischen Staat als Ding der Unmöglichkeit erscheinen lässt.

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Welch groteske Blüten das treibt, zeigt eine Szene, in der Jabarine eine Gruppe aus palästinensischen Dorfbewohnern und jüdischen Aktivisten begleitet, die jeden Morgen Schulkinder vor gewalttätigen Siedlern beschützen. Dabei müssen sie tunlichst darauf achten, keinen Schritt zu weit zu gehen, in militärisch deklariertes Gebiet, weil Soldaten sie sonst festnehmen.

Die Szene steht beispielhaft für die massiv eingeschränkte Bewegungsfreiheit der Palästinenser. Sie leben unter Militärrecht, während die Siedler über eine eigene Infrastruktur verfügen und als Bürger Israels behandelt werden. Unter dem Schutz der Armee und mit dem Segen der Regierung agieren sie immer enthemmter und brutaler.

Auch ein Buch über Schönheit

Das Buch spielt wohlgemerkt vor dem Hamas-Terror vom 7. Oktober 2023. Seither hat sich die Gewalt auch im Westjordanland und Ostjerusalem verschärft. Doch zwischen Schmerz und Hoffnungslosigkeit entdeckt Jaberine auch unablässig Schönes, sei es der Duft des Essens, die hinreißende Landschaft oder die bedingungslose Warmherzigkeit ihrer Bewohner.

Eine besondere Stärke entfaltet das Buch, wenn Jabarine ganz zur Zuhörerin ihrer Onkel, Cousinen und Freunde wird. Manche von ihnen tragen Wut in sich und wollen sich wehren. Gegen die Israelis, die sie nur als Soldaten oder Siedler kennen, aber auch gegen die korrupte palästinensische Führung. Andere leisten als Künstler oder Journalistinnen auf ihre Weise Widerstand gegen die Besatzung. Und wiederum andere sind resigniert oder versuchen Normalität zu wahren, wo keine ist.

Wer den Nahost-Konflikt in Gänze verstehen will oder nach einer politischen Lösung, gar nach Versöhnung sucht, ist mit "Der letzte Himmel" falsch beraten. Gaza findet nur am Rande Erwähnung, die Autorin war selbst nie da. Die Hamas oder andere Dschihadisten, die sich auch im Westjordanland wiederfinden, thematisiert sie kaum.

Das kann man kritisieren. Aber man sollte zugleich nicht verkennen, dass Jabarines Suche nach Palästina keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. "Der letzte Himmel" ist ein subjektiver Erfahrungsbericht, und noch viel wichtiger, das Buch gibt Menschen eine Stimme. Jabarine eröffnet den Lesenden damit eine vielschichtige palästinensische Perspektive, die den Blick schärfen sollte für das, was im besetzten Palästina passiert: Unrecht.

Quelle: ntv.de

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