Bücher

Heißer Sommer und alte Traumata Mit diesen Büchern kommt man durch den Herbst

Es könnte natürlich auch ein Buch aus der Bibliothek sein.

Es könnte natürlich auch ein Buch aus der Bibliothek sein.

(Foto: www.imago-images.de)

Noch ist die Heizung vielleicht nicht an, denn wer will schon gigantische Energierechnungen bezahlen. Dann wird ja das Geld für Bücher knapp und das wäre schade. Also machen wir es uns mit heißem Tee und einer Wolldecke gemütlich und lesen, beispielsweise eine Graphic Novel oder eine Fluchtgeschichte.

Ein Kult-DJ als Comic-Held

"Das Leben des Vernon Subutex", die Buchtrilogie von Virginie Despentes um einen Pariser Plattenladenbesitzer, den die Digitalisierung aus der Gesellschaft schubst und der auf der Straße landet, bis er als DJ-Guru wieder aufersteht, hat in den vergangenen Jahren Kultstatus erreicht. Die Romane brachten nicht nur unzählige Spotify-Listen (ausgerechnet!), sondern auch europaweit mehrere Theaterstücke und eine TV-Serie hervor. Nun also auch eine Graphic Novel. Gezeichnet von keinem geringeren als Luz.

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Vernon Subutex
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Renald Luzier, genannt Luz, ist der Zeichner, der nur durch Zufall am 7. Januar 2015 dem schrecklichen Anschlag auf die Redaktion der Zeitschrift "Charlie Hebdo" entkam. Am selben Tag erschien der erste Band von "Vernon Subutex" und Michel Houellebecqs "Unterwerfung", zwei Bücher, die den Zerfall der französischen Gesellschaft beschrieben und prophezeiten. Luz lebt seither an geheimen Orten unter Polizeischutz. Despentes hielt ihn für den einzigen, der ihren Vernon als Graphic Novel umsetzen kann, und sie hat recht. In mal düsteren, mal knallbunten Bildern, mit Anspielungen auf berühmte Plattencover und der knalligsten Orgasmus-Szene, die man sich auf schwarzen Karton vorstellen kann, wird Vernon Subutex nochmal zur Kultfigur. Für Luz wird die Arbeit zur Wiedergeburt: "Ich war dank Vernon wieder in Paris, ich kannte alle Figuren aus dem Roman, als wären sie Freunde von früher, ich konnte wieder Musik hören." (sla)

Wenn der Wald nicht aufhört, zu brennen

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Ewig Sommer
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Es ist heiß, ein unendlicher Sommer ohne Regen. Der Wald brennt und eine App verrät, ob man sich wegen des Rauches nur mit Maske nach draußen trauen kann. Aus einem Kurort ist ein Waldbrandgebiet geworden, mit täglich über 30 Grad auch im Oktober. Hier harrt Iris in dem nun immer leeren Hotel aus, das sie einst von ihrem Großvater geerbt hat. Eines Tages steht eine Frau mit einem kleinen Mädchen vor der Tür und Iris nimmt die beiden trotz Beherbergungsverbot auf. Doch was hat die beiden an diesen Ort verschlagen? Ist die Mutter überhaupt in der Lage, sich um ihr Kind zu kümmern? Fühlt sie sich zu Iris ebenso hingezogen, wie diese sich zu ihr? Soll Iris dem Ehemann der Fremden am Telefon verraten, dass Frau und Kind tatsächlich in dem Hotel untergekommen sind? Oder sind die beiden geflohen?

"Ewig Sommer" ist bedrückend an heißen Tagen zu lesen, an denen die Polizei gerade aus Versehen nebenan den Grunewald angezündet hat. Doch weglegen kann man das Buch auch nicht - von Anfang an zieht Franziska Gänsler die Leser in ihren kompakten Debütroman rein. Vielleicht war die Geschichte einmal als Dystopie geplant. Mit den Waldbränden, Warnapps, desillusionierten Klimaschützern, die im Wald campen, und einem Alltag, den man unter erschwerten Bedingungen bewältigen muss, ist "Ewig Sommer" jedoch das Buch zur Lage. Das kleine Private schrumpft in der Hitze des Klimawandels, die Klimakrise verliert angesichts privater Dramen an Bedeutung. Jeden Tag aufs Neue. (sla)

Schreiben wie Tolstoi. Mindestens.

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Bei Regen in einem Teich schwimmen: Von den russischen Meistern lesen, schreiben und leben lernen
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Achtung! Dieses Buch ist etwas für Nerds. Büchernerds. Und zwar solche, die von Klassenzimmern in alten Backsteingemäuern träumen, wo sich draußen das Laub färbt und drinnen die alte Heizung klopft, während man überlegt, ob Tschechow oder Turgenjew ihre Geschichten besser aufgebaut haben. Oder doch Tolstoi? George Saunders, der Kurzgeschichten-König und Man-Booker-Preisträger, hat ein Buch für alle geschrieben, die noch nicht seine Creative-Writing-Seminare an der Universität von Syracuse belegen konnten. Für "Bei Regen in einem Teich schwimmen" hat sich Saunders vier russische Großmeister der Literatur vorgeknöpft, erklärt uns, warum deren Kurzgeschichten so gut funktionieren und verteilt anschließend Hausaufgaben.

Obwohl es also ein richtiges Arbeitsbuch ist, wird Saunders schon nach ein paar Seiten zum Lieblingslehrer - besonders wenn er witzig und erfrischend von seinem eigenen Scheitern berichtet. Aber er hat auch ein paar unangenehme Wahrheiten für angehende Schriftsteller im Gepäck:

1. Die Autorin, die wir werden wollten, ist nicht immer die Autorin, die wir sind. Dafür sind wir einzigartig (Saunders selbst wollte Hemingway werden und wurde doch nur … Saunders).

2. Autoren, die am Ende veröffentlichen, sind die, die bereit sind, ihre Texte wieder und wieder zu überarbeiten.

3. Autorinnen, die Erfolg haben, sind die, die viele, viele, viele Stunden am Schreibtisch sitzen (siehe 2).

Einige Stunden davon kann man schon mal mit diesem Buch verbringen. Und nicht zuletzt auch lernen, wie elegant sich das Gendern anfühlt, wenn man einfach viele Gelegenheiten nutzt, die weibliche Form einzusetzen, ohne eine große Geschichte daraus zu machen. (sla)

Auf den Spuren einer Flucht

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Alles, was wir nicht erinnern
324
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Beim Wort Flucht fallen einem gerade ukrainische Frauen und Kinder ein oder Menschen, die in Booten versuchen, Europa zu erreichen. Doch viele Familien in Deutschland haben Fluchterfahrungen in der eigenen Geschichte, auch die von Christiane Hoffmann, die stellvertretende Sprecherin der Bundesregierung. Die mütterliche Familie stammt aus Ostpreußen, die des Vaters aus Schlesien.

Für "Alles, was wir nicht erinnern" machte sich Hoffmann allein und zu Fuß auf den Weg, den ihr damals neunjähriger Vater Walter vom heute polnischen Rózyna aus nach Deutschland zurücklegte. 558 Kilometer läuft sie genau 75 Jahre später. Dabei erinnert sie sich an die Albträume, in denen in ihrer Kindheit die Fluchtgeschichten ihrer Eltern zur Bedrohung ihres eigenen Lebens wurden, und ist im ständigen Zwiegespräch mit dem Vater, der selbst immer nur wortkarg und den immer gleichen Sätzen von der Flucht sprach. 40 Tage war er mit der Mutter und anderen Rosenthalern unterwegs, Hoffmann braucht drei Karten, um die Route zu rekonstruieren.

Sie gehe den Weg ihres Vaters, sagt Hoffmann den Menschen, denen sie begegnet. Vor allem aber geht sie ihren eigenen Weg, der sie den Antworten auf die Frage näherbringt, warum sie in der Idylle im Einfamilienhaus in Wedel bei Hamburg einen unerklärlichen inneren Schrecken fühlt. Hoffmann hat zuvor Polnisch gelernt und trifft an den Orten, die der Vater hinter sich ließ, auf andere Flüchtlinge, die versuchten, hier heimisch zu werden. "Ihr kennt Sehnsucht, Schweigen und Zorn", schreibt Hoffmann über ihre Familie. "Was Ihr nicht kennt, ist Trauer." Doch in ihrem Leben wirken diese Traumata weiter und gleichzeitig widerfahren sie weiteren Menschen. Man kann Hoffmanns Buch mit den sensiblen Schilderungen und Selbsterkundungen nicht lesen, ohne das gewahr zu haben. (sba)

Stupsen für bessere Verständigung

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Tierisch laut: Die wundersame Welt der Kommunikation im Tierreich
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Die italienische Wissenschaftsjournalistin Francesca Buoninconti nimmt sich immer mal wieder ein Thema vor, das dann erstaunliche Dimensionen annimmt. In "Tierisch laut" ist es die Kommunikation von Tieren. Neugierig geworden war sie beim "birdwatching", also der Beobachtung von Vögeln. Dabei bemerkte sie nicht nur Zwitschern, Trällern oder Gurren, sondern auch, dass Haubentaucher tanzen und dabei Algen und Wasserpflanzen austauschen.

So wie Menschen nicht nur miteinander reden, haben auch Tiere ganz unterschiedliche Kommunikationsstrategien, die sich beispielsweise auf visueller, auditiver, taktiler oder olfaktorischer Ebene abspielen. Der Schwänzeltanz der Bienen mag dem einen oder der anderen noch vertraut sein. Aber, dass sich Zikaden neben dem intensiven Zirpen auch noch anstupsen? Und wie singen Wale eigentlich, wenn sie gar keine Stimmbänder haben? Oder wie machen Krokodile?

Manchmal weiß man es einfach nicht, wie bei den Krokodilen. Sehr oft aber holt Buoninconti zu höchst interessanten und aufschlussreichen Erklärungen aus, die auch für Nicht-Biologen höchst spannend sind. Dabei wird deutlich, dass Kommunikation auch im Tierreich komplexer ist, als Menschen wahrhaben wollen. Natürlich kommen auch Lügen und Verstellungen vor. Und oft genug stören Menschen mit ihren Geräuschen, was sich Tiere gerade mitteilen wollen. (sba)

(Dieser Artikel wurde am Sonntag, 09. Oktober 2022 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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