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Huren, Hexen und Ikonen "Bible Bad Ass" wirft ein neues Licht auf Frauen in der Bibel

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Maria, die Mutter von Jesus, wird im Christentum besonders verehrt

Maria, die Mutter von Jesus, wird im Christentum besonders verehrt

(Foto: picture alliance / Zoonar)

Die Bibel ist ein Buch der Männer. Frauen kommen darin nur am Rande vor. Oder? In ihrem Debütroman "Bible Bad Ass" gibt Edith Löhle den Frauen der Bibel eine Stimme. Die Hauptfigur Klara ist eine junge Journalistin, die in einer feministischen Sinnkrise steckt.

Ping. Klara liegt wegen Periodenschmerzen in Embryostellung auf der Couch in ihrer Wohnung in Berlin, als eine unbekannte Nummer sie über Whatsapp anschreibt: "Liebe Klara, die männliche Hand der Kirche hat alles darangesetzt, dass meine Geschichte nicht erzählt wird. (…) Ich wurde verleumdet, verspottet und meine wahrhaftige Spur wurde gelöscht. Bist du an der Wahrheit interessiert?"

Viele würden die kryptischen Nachrichten einer fremden Nummer ignorieren. Doch die Redakteurin eines Berliner Frauen-Lifestyle-Magazins ist neugierig. Nach anfänglichem Zögern antwortet Klara dieser "religiösen Spinnerin". Mit der Frage, was hinter dem "Eso-Chat" steckt, beginnt Edith Löhles Debütroman "Bible Bad Ass", erschienen im Leykam-Verlag. Die spirituellen Nachrichten kommen für die Hauptfigur des Romans genau zum richtigen Zeitpunkt, denn Klara steckt in einer Art feministischer Sinnkrise.

Eine wütende Protagonistin

Klara ist wütend. In der bekennenden Feministin brodelt die "Ungerechtigkeit, die Frauen seit Jahrtausenden widerfährt". In der U-Bahn, im Büro und in ihrer Beziehung - immer und überall muss sie mit dem Patriarchat kämpfen. Dabei ist Klara keine Männerhasserin und will auch "kein Matriarchat", sondern "ausgleichende Gerechtigkeit!" Klaras Wut spüren auch die Lesenden. Durch die Ich-Perspektive sind die Leserinnen und Leser des Romans besonders nahe dran an Klaras Quarterlife Crisis.

Als ihr Chefredakteur ihren Artikel über eine unorthodoxe, evangelische Pfarrerin mit dem Stift toxischer Männlichkeit in eine für Klara nicht hinnehmbare Richtung redigiert, bricht sie zusammen. Erst schreit sie ihren Chef an, dann heult sie sich bei ihrem Freund Noah und ihrer besten Freundin Barbara aus. Konsequenz aus der Eskalation mit dem Chef: Klara ist für zwei Wochen beurlaubt. Abends versucht sie in der Badewanne zu entspannen, da klingelt ihr Handy wieder. Erneut hat ihr die mysteriöse Nummer geschrieben. Die Person empfiehlt Klara, die Ursache ihrer Wut zu ergründen und gibt schließlich ihre Identität preis.

Die Autorin Edith Löhle auf der Leipziger Buchmesse 2024.

Die Autorin Edith Löhle auf der Leipziger Buchmesse 2024.

(Foto: picture alliance / dts-Agentur)

"Wütende Frauen haben immer die Geschichte verändert, nur ihr Ruf ist schlecht", schreibt die Frau, die sich Maria Magdalena nennt. Sie behauptet, die echte, historische Figur zu sein, die die Bibel als Prostituierte oder als Geliebte von Jesus überliefert. Wie genau es sein kann, dass ein Mensch, der seit Jahrtausenden tot sein soll, der Protagonistin Nachrichten über Whatsapp schreiben kann, lässt der Roman offen: Am Ende bleibt dies eine Glaubensfrage.

Doch Klara lässt sich auf das Gedankenspiel ein, denn Maria Magdalena kann ihr das geben, was sie zuvor weder vom Freund noch von der besten Freundin bekommen konnte: Verständnis und Mitgefühl für gelebte Ungerechtigkeit. "Ich erwähle dich, um meine Geschichte zu erzählen. Wir werden miteinander heilen und die Zeit der Herabwürdigung des Weiblichen wird enden", schreibt Maria Magdalena.

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Maria Magdalena, Ruth und viele mehr: Bibelfrauen im Chat

Sie fügt Maria, Lilith, Eva, Maria Salome, Maria Jakobäa, Sara-la-Kâli, Ruth, Rahab, Deborah, Martha, Tamar, Edith, Elisabeth, Anna und Sophia - einige mehr und andere weniger bekannte Frauenfiguren aus der Bibel - dem Gruppenchat hinzu. Auch sie sind wütend. "Entweder die Frauen in der Bibel werden ikonisiert oder ignoriert. Ich bin nur als 'Frau von' geführt", schreibt Edith, die Namensvetterin der Autorin Edith Löhle.

Die Geschichten von Frauenfiguren wurden "aus der Bibel gestrichen, absichtlich oder unabsichtlich falsch überliefert, übersetzt oder die Kirche hat diese Frauen bis heute kleingehalten", heißt es an anderer Stelle. Um dies zu korrigieren, nutzen sie den Chat, gemeinsam taufen sie ihn "Bible-Bad-Asses". Nacheinander schreiben die Frauen in den Chat ihre Lebensgeschichten - nicht wie sie im Alten und im Neuen Testament überliefert sind - sondern wie sie die Geschehnisse erlebt haben. Aus Urmüttern, Huren, Hexen und Verräterinnen werden Menschen. Die Frauen kommen zu Wort und bekommen eigene Stimmen.

Koptischer Papyrus mit einer gnostischen Sammelhandschrift (Evangelium nach Maria; Apokryphon nach Johannes; Sophia Jesu Christi; Acta Pauli) aus der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

Koptischer Papyrus mit einer gnostischen Sammelhandschrift (Evangelium nach Maria; Apokryphon nach Johannes; Sophia Jesu Christi; Acta Pauli) aus der Papyrussammlung der Staatlichen Museen zu Berlin.

(Foto: Staatliche Museen zu Berlin, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung / Sandra Steiß)

Klara liest über vorchristliches Slut-Shaming, die Verdrehung der Paradiesgeschichte, Hexendiffamierungen und zahlreiche Übersetzungsfehler. Kritisch recherchiert Klara alle Geschichten nach und entdeckt unter anderem das Evangelium nach Maria Magdalena. Und die Schrift ist weder von den Romanfiguren noch von der Autorin erdichtet. Das Evangelium nach Maria Magdalena gibt es nämlich wirklich. Ein Fragment aus dem späten 4. Jahrhundert nach Christus ist in der Papyrussammlung eines Museums in Berlin zu sehen. Wie Klara finden die Leserinnen und Leser hinter den Geschichten aus dem Chat echte Quellen.

Es gibt zwar Momente, in denen Klara an dieser "Craziness" in ihrem Handy zweifelt. Doch sie glaubt den Erzählungen im Chat - zumindest teilweise. Sie werden Handlungsweisungen. Der Chat entwickelt sich zu einer Art Therapie, die Klara verändert. Ihre plötzliche Besinnung beobachten Familie und Freundinnen mit Besorgnis. Ihre Schwiegermutter Sigrid wirft ihr "reine Blasphemie" vor. "Du kannst doch unseren Herrn nicht in den Dreck ziehen, indem du die Geschichte jetzt so verdrehst. Komm wieder zu dir."

Klara, Edith und die Pfarrerin

Die einzige Person, die Klara in ihrem Sinneswandel unterstützt, ist die "arschcoole Pfarrerin". Annina ist Mitte vierzig, blond, trägt Undercut und knallrote Lippen. Die unorthodoxe Theologin postete Videos und Bilder, wie sie sich auszieht, in den sozialen Netzwerken, "um klarzumachen, dass auch eine Pfarrerin ein sexuelles Wesen ist. In diesem Fall eine queere Frau aus Fleisch und Blut, die auch mal eine Zigarette raucht und die Sex tatsächlich aus Vergnügen hat."

Für Annina ist die christliche Lebensführung Auslegungssache: Sie lebt modern, "kämpft für Frauenrechte, mit und ohne Talar" und predigt einen Gott abseits der Binarität männlich und weiblich. Was nach schriller Romanfigur klingt, basiert tatsächlich auf einer realen Person. Denn die Figur Annina ist inspiriert von der evangelischen Theologin Annina Ligniez. "Du warst Geburtshelferin und ich bin dir so dankbar, dass ich dich als reale Figur im Roman, als die inspirierende Frau und unheimlich starke Theologin, die du bist, auch Klara an die Seite stellen durfte", schreibt Löhle in ihrer Danksagung. Die Geistliche im Buch hilft Klara auf ihrem Weg zu einem Glauben, den die Feministin mit sich vereinen kann. Denn wie viele Menschen heutzutage steht die Protagonistin im "Zwist mit der Religion und dem Bedürfnis, an etwas zu glauben".

Glaubensfragen der Moderne

"Im Buch geht es vor allem um die katholische Kirche, weil die Hauptfigur Klara katholisch sozialisiert wurde, wie ich übrigens auch", sagte die Autorin Edith Löhle dem NDR. "Da merkt man schon die Parallelen." Wie Klara, die Protagonistin ihres Debütromans, ist auch Löhle Journalistin. Über zehn Jahre arbeitete sie für Lifestyle-Medien, zuletzt als Chefredakteurin der deutschen "Nylon" und des "Blonde"-Magazins.

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"Ich bin aus der katholischen Kirche mit meinem ersten Gehaltszettel ausgestiegen", so Löhle. "So geht es vielen jungen Menschen, wenn sie eigenständig sind und für eine Kirche bezahlen sollen, die mit ihrem Zeitgeist nicht mehr zusammenpasst. Da ist eine ganz schöne Kluft entstanden." Seit Jahren halten sich die Zahlen der Kirchenaustritte in Deutschland auf hohem Niveau. Laut der Deutschen Bischofskonferenz sind im Jahr 2023 402.694 Menschen aus der katholischen Kirche ausgetreten. Wie über diese Kluft vielleicht eine Brücke geschlagen werden kann - zum Beispiel durch die Zulassung von Frauen zur Ordination und mehr Toleranz gegenüber queeren Communities - und ob Klara aus ihrer Sinnkrise wieder hinausfindet, genau darum geht es in "Bible Bad Ass".

Löhles Roman ist eine feministische Interpretation der Bibel, die Lesende auf gar nicht so neue Quellen verweist. Ein Buch, das sich mit dem eigenen Glauben, der Beziehung zur Kirche und der Lesart der Bibel auseinandersetzt. Lesenswert für all jene, die mit der Institution Kirche hadern, an ihrem Glauben zweifeln - aber wie Klara glauben wollen. Und auch für diejenigen, die wissen wollen, wie Frauenfiguren in der Bibel noch gelesen werden können.

Quelle: ntv.de

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