Panorama

Papst-Biograf zur Weltsynode Franziskus verfolgt für Kirche "Idee einer Gruppentherapie"

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An der Synode nehmen mehr als 360 Geistliche und Laien teil.

An der Synode nehmen mehr als 360 Geistliche und Laien teil.

(Foto: dpa)

Derzeit tagt die Weltsynode in Rom. Den Teilnehmern ist jedoch jede Art von Kommunikation mit den Medien untersagt. "Dieser Mangel an Transparenz ist negativ", findet Marco Politi. Wie es um die Katholische Kirche steht und wie der Stand beim Dauerstreit zur Frauenfrage ist, erklärt der Vatikan-Kenner und Autor einer Biografie über Papst Franziskus. Und er erklärt, was der Papst mit einer Schildkröte gemein hat.

ntv.de: Hat den Papst der Mut verlassen, die Kirche grundlegend zu reformieren? Will er nur noch "den Laden zusammenhalten" und seinem Nachfolger eine - auf dem Papier - einige Kirche übergeben?

Marco Politi: Gehen wir von der Tatsache aus, dass er zehn Jahre etwas überstehen musste, das ich mit einem Bürgerkrieg in den Rängen der Kirche beschreiben würde. Gegen ihn standen nicht wenige konservative Kardinäle, Bischöfe, manchmal sabotierende Bischofskonferenzen und sogar ein emeritierter Papst. Die Kirche ist heute ein Flickenteppich verschiedener Tendenzen, Visionen und Kulturen. Es gibt Bischofskonferenzen, die tief gespalten sind, wie die US-amerikanische, und große Unterschiede zwischen den Kirchen von Osteuropa und Westeuropa. Diese Unterschiede sieht man bei allen offenen Fragen. So wollen Kirchen der nördlichen Hemisphäre Homosexuellen einen Segen spenden dürfen, in Afrika ist man total dagegen. Insofern muss Franziskus wirklich das Ganze zusammenhalten.

Ist die Synode eine verpasste Chance?

Tatsächlich hätte diese Synode auch ein "Minikonzil" sein können, doch im Zweiten Vatikanischen Konzil hatten die Bischöfe eine große Freiheit errungen. In der Synode hat Franziskus - entgegen der Tradition von Paul VI., Johannes Paul II. und Benedikt XVI. - verboten, offene Information zu geben, darüber zu berichten, wer was sagt. Dieser Mangel an Transparenz ist negativ.

Hat Franziskus Angst, dass die Spaltung bei vielen Themen offenkundig wird?

Das ist nicht ganz falsch als Annahme, nur denke ich, dass der Papst mit dieser Synode hinter verschlossenen Türen, durch die natürlich immer etwas nach außen zu uns dringt, eher die Idee einer "Gruppentherapie" für seine Kirche verfolgt. Er will die kritischen Punkte Homosexualität und Frauen in der Kirche ja nicht aussperren, möchte aber zuerst, dass sich die verschiedenen Teile der Kirche und des Katholizismus besser direkt kennenlernen und sich dadurch zukünftige Brüche verhindern lassen. Aus den Gesprächen mit vielen Teilnehmern wissen wir beide ja, dass das auch seine positive Seite hat. Die Synode funktioniert wie ein großer Workshop, in dem keiner den anderen bevormunden soll.

Was wären denn dann die Neuigkeiten?

Ich finde etwa das Thema der Rechenschaft hochinteressant, die die Bischöfe nun ablegen sollen. Wem gegenüber? Dem Papst gegenüber müssen sie das ja sowieso machen, bei den regelmäßigen, vorgeschriebenen Ad-limina-Besuchen der Bischöfe. Also kann es sich nur um die Bischofsbrüder, um die eigenen Gemeinden handeln. Das ist ein sehr interessanter Gedanke, der die Kirche durchlässiger, transparenter machen dürfte. Hier erkennen wir auch die Vorgehensweise des Papstes. Das betrifft auch das Frauenproblem. Franziskus geht nach der Strategie der Schildkröte vor, die langsam, aber stetig weitergeht, mit kleinen Schritten, aber vorwärtskommt.

Die Streitpunkte: die Frauenfrage, die Fragen der Selbstständigkeit der Teilkirchen und dabei eben auch der Umgang mit Homosexualität und Trans-Menschen. Fürchtet der Papst eine Kirchspaltung?

Der Papst hat ein schlechtes Beispiel vor Augen: die anglikanische Gemeinschaft. Sie ist total gespalten zwischen nördlichen und südlichen Kirchen. Die südlichen akzeptieren keine homosexuellen Priester und tun sich mit weiblichen Bischöfen schwer. Die Anglikaner haben viele Jahre lang keine Synode mehr organisieren können, weil der Konflikt zu stark war. Heute sagte der Primus von Canterbury, dass man unter einem gemeinsamen Zelt lebe, wenn auch mit verschiedenen Ideen. Aber so ein Nebeneinander-Leben will der Papst nicht. Es ist ja gerade die Stärke der Katholischen Kirche, dass der Papst mit einer Stimme für 1,3 Milliarden Katholiken spricht, seine Stimme hat Gewicht auf der Weltebene. Das sieht man gerade auch beim Krieg in der Ukraine. Da steht der Globale Süden hinter den päpstlichen Positionen, er will sich weder auf die amerikanische noch auf die russische Seite schlagen. Der Globale Süden, das ist die große Mehrheit der Menschheit auf der Erde. Die Einheit der römischen Kirche im Papst ist deswegen ein sehr hohes Gut, bei allen Differenzen.

Wie wird Rom mit der Verteufelung der Homosexualität und der Rolle der Frau in der Kirche umgehen wollen?

Dieser Papst hat die ganze sexuelle Thematik erst einmal vom Tisch gewischt. Die früher überall herrschende Verteufelung von Sex, homosexueller Partnerschaften oder die Tatsache, dass man geschiedenen, wiederverheirateten Paaren die Kommunion verweigerte: Das ist heute weg. Wir wissen, dass der Papst bei der ersten Familiensynode keine Mehrheit für die Kommunion der wiederverheirateten Geschiedenen fand, aber in seinem synodalen Schreiben "Amoris laetitia" hat er das in einer Fußnote indirekt dann doch erlaubt. Jetzt liegt es praktisch am einzelnen Priester, am Bischof. Damit ist es erlaubt. Man vergesse nicht, dass über 100 konservative Bischöfe und Kardinäle damals 800.000 Unterschriften in der ganzen Welt dagegen gesammelt hatten: Das war der Anfang des Bürgerkrieges in der Katholischen Kirche, der heute noch schwelt. Über die Homosexuellen hat der Papst gesagt, "sie sind genauso Kinder Gottes wie alle anderen auch und wer bin ich, um ein Urteil über sie zu fällen?". Der Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Fernandez, der ja enge Beziehungen zu Papst Franziskus hat, hat nun ausdrücklich gebilligt, dass man homosexuellen Paaren einen Segen spendet. Ein Segen, der nicht während der regulären Liturgie erteilt werden soll, das ist der Kompromiss, aber immerhin: ein Segen!

Ein Segen zweiter Klasse?

So empfinden es viele, es ist aber ein Schritt in die richtige Richtung: Diese Paare werden nicht mehr dämonisiert, diese Paare sollen nicht zur Hölle fahren, wie man früher sagte, diese Paare haben das Recht, ihre Liebe in ihrer Partnerschaft zu leben. Das ist der Meilenstein dieses Pontifikats, bei aller Kritik.

Die Rolle der Frau: "aufopferungsvoll", barmherzig, überall und immer gelobt werden. Aber wenn es ans Entscheiden geht, ist sie außen vor?

Da gab es schon eine Wende. In der Frauenfrage hat Franziskus schon angefangen, das zu tun, was er am Anfang seines Pontifikats versprochen hat: Heute sind Frauen in leitenden Positionen des Vatikans, entscheiden in verschiedenen Dikasterien mit, den vatikanischen Ministerien, in der Regierung des Vatikanstaates, dem Governatorat. Das müsste erst einmal auf der Ebene der Weltkirche umgesetzt werden. Soweit ich es weiß: Die deutsche Bischofskonferenz ist an der Spitze dieser Bewegung, Dr. Beate Gilles ist Generalsekretärin. 99 Prozent aller nationalen Konferenzen haben keine. So hat der Papst etwa die französische Schwester Natalie zur Sekretärin der Synode ernannt: Das war ein wichtiger Schritt. Ich will auch daran erinnern, dass bei der letzten Sitzung der Synode im Herbst 2023 zum ersten Mal Frauen volles Stimmrecht hatten. Nach 1700 Jahren römischer Kirchengeschichte, bei der nur Männer entscheiden durften. Das war eine Zeitenwende. Sicher, offen ist die Frage, ob die Frauen Priester oder Diakone werden können. Kardinal Fernandez, Präfekt der Glaubenskongregation, hat ziemlich brüsk der Synode mitgeteilt, dass der Papst ihm anvertraut hat, sich um das Thema zu kümmern. Das hat viele in der Synode gestört. Andererseits gibt es für das Frauendiakonat in der Kirche noch nicht einen Mehrheitskonsens. Der Papst ist heute kein absoluter Monarch mehr, der alles nach eigenem Gusto durchdrücken kann, auch keine "progressive" Entscheidung. Er muss Mehrheiten suchen, und die gibt es für Frauenpriestertum derzeit nicht.

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Was sagt die Auswahl der Kardinäle über die zukünftige Kirche, die Papst Franziskus vorbestimmt hat?

Sicher, die Kirche hat heute ein Konklave, bei dem 80 Prozent der 140 Wahlkardinäle von Papst Franziskus ernannt wurden. Aber wer unter diesen Kardinälen wie denkt, ist völlig unklar. Es gibt Kardinäle, die mit der Kommunion der wiederverheirateten Geschiedenen einverstanden sind, oder solche, die eine Diakonenweihe für Frauen wollen oder Homosexuelle segnen wollen. Viele andere sind dagegen. Das Wichtigste für die Kirche wird sein, einen Papst zu finden, der wieder mehr Einheit bringt, der es schafft, die Polarisierung, die immer größer geworden ist, zu entschärfen. Es wird aber keinen Papst geben, der das Rad wieder zurückdreht, sozusagen einen reaktionären Papst. Einen kleinen Schritt zurück hat man mit Ratzinger ausprobiert. Das hat aber nicht funktioniert, es hat zu viele Konflikte gegeben. Es wird ein Papst der Mitte sein, der wieder alle zusammenbringen kann, der aber auch ein charismatischer Papst sein muss. Im 21. Jahrhundert kann man nicht mehr vom Schreibtisch im Vatikan aus die Kirche regieren, sondern muss 1,3 Milliarden Gläubige führen. Dafür braucht es Charisma, der Papst muss ein großer "Menschenfänger" sein.

Mit Marco Politi sprach Udo Gümpel

Quelle: ntv.de

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