Kino

Ergreifend: "Belfast" im Kino Krieg aus der Sicht eines Kindes

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Die Geschichte wird von Branaghs Alter Ego Buddy (Jude Hill) erzählt.

(Foto: imago images/Picturelux)

Der neunjährige Buddy führt ein ganz normales Leben, bis seine Kindheit im Spätsommer 1969 ein jähes Ende findet. In "Belfast" erzählt Kenneth Branagh eine semi-autobiografische Geschichte über den Nordirlandkonflikt.

Kenneth Branagh hat sich schon überall einmal ausprobiert. Als Theaterliebhaber verfilmte der Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor bereits viele Shakespeare-Stücke wie "Heinrich V." (1989), "Viel Lärm um nichts" (1993) und "Hamlet" (1996). Als Agatha-Christie-Fan adaptiert er seit 2017 auch die 70er-Jahre-Verfilmungen wie "Mord im Orient-Express" und "Tod auf dem Nil" (2022) neu. Als Schauspieler - etwa als exzentrischer Professor in "Harry Potter und die Kammer des Schreckens" (2002), schwedischer Kleinstadtkommissar Wallander (seit 2008) oder intriganter Jago in "Othello" (1995) - zeigt er immer wieder, wie wandelbar er ist. Und auch als Regisseur hat der Brite schon von "Thor" (2011) über "Jack Ryan: Shadow Recruit" (2014) bis hin zu "Cinderella" (2015) eine Bandbreite an Genres hinter sich.

Mit "Belfast" liefert Branagh nun seinen bislang persönlichsten Film. 50 Jahre hat der gebürtige Belfaster gebraucht, um seine Erinnerungen an den Nordirlandkonflikt zu verarbeiten, einzuordnen und letztendlich niederzuschreiben. Ausschlaggebend dafür war die Corona-Pandemie. Denn weil die Kinos schließen mussten und es während des Lockdowns so still war, wurde der heute 61-Jährige nostalgisch. Er erinnerte sich an die Geräusche seiner Kindheit in der nordirischen Hauptstadt - und zwei Monate später war das Skript fertig.

Belfast, 1969. Im Spätsommer des Jahres führt Branaghs Alter Ego, der neunjährige Buddy (Jude Hill), noch ein ganz normales Leben. Seine protestantische Familie, eine typische Familie aus der Arbeiterklasse, lebt Tür an Tür mit Katholiken, man ist eine eingeschweißte Gemeinschaft, in der jeder jedem aushilft. Mit den Nachbarskindern spielt Buddy täglich auf seiner belebten Straße, am liebsten mit seinen Matchbox-Autos, er schwärmt für seine Mitschülerin und geht gerne ins Kino. Doch plötzlich findet seine idyllische Kindheit ein jähes Ende: Die gesellschaftspolitischen Spannungen in Belfast nehmen zu und wütende Protestanten setzen in seiner harmonischen Nachbarschaft Häuser in Brand, um sie von den Katholiken zu "säubern". Es kommt zu Gewaltausbrüchen und Explosionen, die Bewohner der Straße reagieren mit Barrikaden, um die Rückkehr des Mobs zu verhindern.

Überraschend unpolitisch

Das Kind als Zufluchtsort für die Familie.

Das Kino als Zufluchtsort für die Familie.

(Foto: imago images/Picturelux)

Unter Druck, weil sie den Forderungen, sich auf die Seite der Unionisten zu schlagen, nicht nachgeben wollen, stehen Buddys hingebungsvolle Eltern vor einer Zerreißprobe: Pa (Jamie Dornan), ein hoch verschuldeter Lohnarbeiter, möchte mit seiner Frau und den Kindern ins sichere England ziehen, Ma (Caitríona Balfe) hat Bedenken, Buddy dagegen sträubt sich mit Haut und Haaren gegen einen Umzug in die Fremde. Auch für seine Großeltern (großartig: Judi Dench und Ciarán Hinds) ist ganz klar, dass sie ihre Heimat nicht verlassen werden. Auf einen Fluchtort kann sich die Familie jedoch immer einigen: das Kino. Dort sehen sie sich gemeinsam Westernfilme an, während um sie herum ein echter "High Noon" tobt.

Mit "Belfast" gibt Kenneth Branagh seine eigenen Erinnerungen an den Bürgerkrieg durch die Augen eines Neunjährigen wieder, der aufgrund der äußeren Umstände einerseits gezwungen wird, schnell erwachsen zu werden, es aber andererseits schafft, seine kindliche Lebensfreude aufrechtzuerhalten. Mit den hauptsächlich namenlosen Hautcharakteren des Schwarz-Weiß-Dramas habe er die Geschichte jedoch offengehalten, um zu zeigen, was andere Menschen durchgemacht haben, mit denen er sich identifiziere, verrät Branagh im Gespräch mit ntv.de. "Deswegen heißen die Charaktere auch Ma und Pa und Buddy - dein universeller Kumpel. Es sind Erinnerungen, die keinen Namen brauchen."

Inmitten des Dramas und des Gefechts gelingt Branagh jedoch auch der Spagat zu lebensbejahendem Humor. Politisch wird "Belfast" aber nicht, schließlich wird er aus der Sicht eines Neunjährigen erzählt, die Irisch-Republikanische Armee (IRA) etwa wird überhaupt nicht erwähnt.

Vielmehr ist der Film eine Liebeserklärung an seine Heimat, die Branagh mit neun Jahren verlassen musste. Vielleicht laufen deshalb auch die Hauptdarsteller, die bis auf Judi Dench allesamt aus Belfast kommen, im gleichnamigen Film zu ihren Höchstformen auf. Nachwuchsdarsteller Jude Hill und "Outlander"-Star Caitríona Balfe überzeugen als aufgeweckter Schuljunge beziehungsweise als starke, elegante Mutter, die auch mal mit Tellern schmeißt, wenn sie wütend auf ihren Mann ist. Dench und Ciarán Hinds legen als altes Ehepaar oscarwürdige Darbietungen ab. Doch vor allem sorgt Jamie Dornan, der als Hauptdarsteller in "Fifty Shades of Grey" zweimal mit dem Schmähpreis "Goldene Himbeere" ausgezeichnet wurde, überraschend für Rührung, indem er versucht, seine Familie in turbulenten Zeiten zusammenzuhalten und der immer für einen klugen Rat zu haben ist.

Insgesamt wurde "Belfast" für sieben Oscars nominiert, unter anderem als bester Film, für die beste Regie und fürs beste Originaldrehbuch. Eine Auszeichnung wäre in jeder Kategorie wohl verdient.

"Belfast" läuft ab sofort in den Kinos.

Quelle: ntv.de

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