Wahre Geschichte, wichtiger Film "Spotlight" - Kindesmissbrauch in der Kirche
25.02.2016, 13:54 Uhr
Rachel McAdams, Mark Ruffalo und Brian d·Arcy James wirken äußerst authentisch in ihren Rollen.
(Foto: dpa)
Möchte man sich einen Film über Kindesmissbrauch in der Kirche im Kino angucken? Ja, man möchte, denn Regisseur McCarthy und seine Schauspieler verstehen es grandios, diese unglaubliche Geschichte von Recherche, Biss und Ernsthaftigkeit zu erzählen.
Ein Film, bei dem sich viel im Keller abspielt: Im Keller einer Zeitungsredaktion, denn hierhin hat sich ein Investigativ-Team zur besseren Konzentration zurückgezogen, und im tiefsten Keller der Menschlichkeit, denn es geht um sexuellen Kindesmissbrauch. Und als wäre das nicht schon tief genug: Es geht um Kindesmissbrauch durch Priester. Einen drauf setzt dann noch die Tatsache, dass dies durch die Bank weg gedeckt wird. Der Film "Spotlight" beruht auf einer wahren Geschichte. Die Enthüllungen des Boston Globe sorgten vor 15 Jahren weltweit für Aufsehen und erschütterten die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Das "Spotlight"-Team erhielt 2003 den Pulitzer-Preis. Aus dem Keller wieder heraus kommt der Film aber dennoch, weil er allein mit sechs Oscar-Nominierungen aufwarten kann und weil er berührt und erschüttert. Auch wenn er sich ein wenig behäbig anlässt.
Die Story: Im Jahr 2001 erhält Walter "Robby" Robinson (Michael Keaton), der Leiter des Investigativteams "Spotlight" des Boston Globe, einen besonderen Auftrag. Der neue Chefredakteur Marty Baron (Liev Schreiber) setzt ihn auf Fälle von Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche an. Fälle, von denen hinter vorgehaltener Hand schon lange gesprochen wird. Zuerst hat keiner der Journalisten so recht Lust auf das Thema - es geht immerhin gegen die Kirche und die ist in Boston allgegenwärtig - doch als Robby und seine Kollegen Michael Rezendes (Mark Ruffalo), Sacha Pfeiffer (Rachel McAdams), Matt Carroll (Brian d'Arcy James) und Ben Bradlee Jr. (John Slattery) die ersten Opfer interviewen, decken sie Schicht um Schicht einen noch viel größeren Skandal auf. Dabei rennen sie immer wieder gegen Mauern aus Schweigen: Seit Jahrzehnten wurden in der Erzdiözese nicht nur immer wieder Kinder von Priestern missbraucht - die Taten wurden von höchsten Würdenträgern sowohl gedeckt als auch vertuscht; und die betroffenen Priester keineswegs des Amtes enthoben, sondern lediglich versetzt. Und jeder hat dicht gehalten - die Opfer, die Anwälte, die Angehörigen, die Geistlichen.
"Die Unbestechlichen" lassen grüßen
Als Zuschauer ist man von jeder neuen Enthüllung überrascht, man kann die Gefühle der Reporter sehr gut nachempfinden. Und das ist vor allem den Schauspielern zu verdanken. Völlig zurecht gewann der Cast den Critics' Choice Award für das "Beste Ensemble", denn Mark Ruffalo, Rachel McAdams, Michael Keaton und Brian d'Arcy James tasten sich Schicht für Schicht vorwärts und werden dabei selbst in ihrem Glauben erschüttert. Ruffalo sorgt dennoch für den einen oder anderen Lacher, und das ist ihm hoch anzurechnen bei dem Thema. Seine Leidenschaft, diese Story zu Papier zu bringen, lässt den Zuschauer bis zum Schluss mitfiebern. Ruffalos Oscar-Nominierung als "Bester Nebendarsteller" ist mehr als gerechtfertigt, genauso wie die von Rachel McAdams.
Verzweiflung und Entsetzen sind in den Gesichtern des "Spotlight"-Teams zu jeder Zeit abzulesen. Emotional sind vor allem auch die Szenen, in denen die zunächst für nicht glaubwürdig gehaltenen Opfer auspacken. Ihre Erleichterung, endlich gehört zu werden, erschüttert. Wer alles etwas wusste und nichts unternahm, ist wirklich erschreckend. Eine neue Definition von Recht und Unrecht scheint in Boston geherrscht zu haben. Die Opfer schweigen aus Angst, hoch bezahlte Anwälte spielen auf Zeit. Anwälte auf Seiten der Opfer, wie der vom großartigen Stanley Tucci dargestellte Mitchell Garabedian, sind desillusioniert und haben kein Privatleben mehr vor lauter Arbeit. Die kostspielige Recherche der Zeitung droht immer wieder zu scheitern. Doch wie Investigativ-Journalisten eben so sind - sie lassen sich durch nichts von ihrer Fährte abbringen.
"Spotlight" von Regisseur und Drehbuchautor Tom McCarthy steht in der besten Tradition von Enthüllungsthrillern wie "Die Unbestechlichen" ("All The President's Men", 1976) und "The Insider" (1996). McCarthy schafft es, den Zuschauer mit einer spannenden Geschichte ohne "Special Effects" zu fesseln, seine Figuren sind meisterhaft. Ohne drastische Szenen, fast schon bürokratisch, schafft McCarthy es, das Grauen, das von Kindesmissbrauch ausgeht, sichtbar zu machen. Außerdem zeigt er, wie wichtig investigativer Journalismus bleibt - auch oder vor allem in Zeiten, in denen jeder im Netz seinen Senf zu allem dazugeben kann.
"Spotlight" startet am 25. Februar in den deutschen Kinos.
Quelle: ntv.de, mit spot