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"Tatort" aus Kiel Ich höre!

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Auch im jüngsten "Tatort" sperrte er mal wieder die Lauscher auf: Klaus Borowski (Axel Milberg).

Auch im jüngsten "Tatort" sperrte er mal wieder die Lauscher auf: Klaus Borowski (Axel Milberg).

(Foto: NDR / ARD / Thorsten Jander)

Im ersten Fall nach Bekanntwerden des bevorstehenden Abschiedes durchzog eine gewisse Altersmilde die Ermittlungsarbeiten in Kiel. Kommissar Borowski läutete das letzte Kapitel vom Krankenhausbett aus ein - Rotwein-Flirt und ungewohnte Empathie inklusive.

"Borowski ist kein Kommissar zum Gernhaben", so schrieb es Fernsehkritiker Rainer Tittelbach im November 2003 anlässlich des ersten Falles. "Väter", so der Titel der "Tatort"-Premiere mit Axel Milberg als Kieler Kriminaler Klaus Borowski. Und in der Tat: 25 Jahre nach Klaus Schwarzkopfs legendärem Kommissar Finke, der zwischen 1971 und 1978 in sieben Folgen - darunter mit "Reifezeugnis" eine der ikonischsten überhaupt - ermittelte, brachte Borowski die Förde-Metropole endlich zurück auf die "Tatort"-Landkarte, aber leicht machte er es einem nicht. Dieses Unterzuckert-Kauzige, das zuweilen Ahnungslose bei gleichzeitiger Arroganz, mal spitzfindig wie Columbo, dann wiederum so tölpelig wie Clouseau, allerdings ohne die Lacher. Und dann immer dieses "Ich höre" am Telefon, das eigentlich nur nach "Wer stört?" klingt.

Doch es ruckelte sich zurecht, man denke allein an die Auftritte von Lars Eidinger, der sich mit seinem Part als stiller Gast einen Eintrag in die tatörtlichen Annalen sicherte. Borowski selbst irrlichterte mal schockverliebt, dann wieder fokussiert durchs Revier, überschritt Landes- und Gesetzesgrenzen, mal muffig, mal charmant. Und wenn der Fall am Ende aufgekärt, der Täter, die Täterin festgenommen wurde, war zuweilen nicht ganz klar, welchen Anteil Borowski selbst daran gehabt hatte. Kein Kommissar zum Gernhaben, dabei blieb es. Geguckt wurde trotzdem. Oder gerade deswegen.

Mit dem Einläuten der Schlussrunde nun, dem kürzlich kommunizierten Ausstieg im Jahre 2025, und natürlich unter dem maßgeblichen Einfluss des Autorengespanns Zahn und Regisseurin Friederike Jehn, bekommt Borowski noch einmal Wind unter den Flügeln. Der Fall um "die große Wut" hatte ein außergewöhnliches Flair. "Es gab eine gemeinsame Idee, wir wollten eine Herausforderung für uns alle, einen bedrohlichen Fall nur am Telefon zu erleben und zu lösen. Die Stimmen, der Zorn, die Gefahr, die Aussichtslosigkeit, die Überraschungen", erzählt Axel Milberg, selbst gebürtiger Kieler. Schöne Begleiterscheinung: Phrasen vom Alibi, die üblichen Verhöre, der Klüngel mit der Spusi, all das rückte in den Hintergrund. "Ich war froh, dass diese klassischen, zehntausendmal gesehenen Krimistandards, die sonst Sinn machen, hier nicht funktionieren", gesteht Friederike Jehn.

Oh là là!

Stattdessen also Borowski mit einer durchs Schädeltrauma ausgelösten Hypersensibilisierung, einer besonderen Empfindsamkeit, die ihm gut zu Gesicht stand, nicht nur beim Schnuppern an Kippen oder Klamotten, sondern auch im Zwischenmenschlichen. Plötzlich bedeutete "Ich höre" genau das: Ich höre. Ich höre zu.

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Borowski als Wiedergänger von Telefonseelsorger Domian, eine ungewohnt kommunikative Volte jenes Mannes, der die Ermittlungsarbeit doch oftmals mit sich selbst auszumachen schien. Dazu noch ein rotweinseliges Tête-à-tête mit der divenhaften Sophie von Kessel. Oh là là!

Ganz ohne, vermutlich nett gemeinten, dabei aber dezent-toxischen Humor, zumeist mit Kollegin Mila Sahin (Almila Bagriacik) im Visier, ging es natürlich dennoch nicht, aber ein komplettes Makeover, selbst mit temporärem Sprung in der Schlüssel, würde man Borowski wohl eh nicht abnehmen. So schaut das Publikum mit einer Portion Ungewissheit Richtung Kiel. Wie viele Fälle werden es noch, zwei oder drei? Wie gerät wohl das Ende und dauert es anschließend womöglich wieder ein Vierteljahrhundert, bis der "Tatort" in Kiel weitergeht? In zwei Jahren sind wir schlauer. Bis dahin heißt es weiterhin: Ich höre. Oder besser: Ich schaue.

Quelle: ntv.de

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