Panorama

Kaum noch Hoffnung auf "Costa"-Überlebende Zwölf Deutsche werden noch vermisst

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Seit vier Tagen liegt die verunglückte "Costa Concordia" vor der italienischen Küste in rund 30 Metern Tiefe auf Grund. Alle aus dem Wasser ragenden Teile des Schiffes sind durchsucht, Eingeschlossene werden nicht mehr gefunden. Taucher sollen am Morgen den Unterwasserbereich absuchen, denn noch immer werden 14 Menschen vermisst, darunter zwölf Deutsche. Derweil richten sich schwerste Vorwürfe gegen den Kapitän des Schiffes.

Nach dem Unglück des Kreuzfahrtschiffes "Costa Concordia" im Mittelmeer gibt es kaum noch Hoffnung, weitere Überlebende zu finden. Alle über Wasser liegenden Bereiche des teilweise versunkenden Wracks seien durchsucht worden, teilte die Feuerwehr am Abend auf der Insel Giglio an der italienischen Westküste mit. Bislang wurden sechs Leichen geborgen. 14 Personen seien noch vermisst, davon zwölf Deutsche. Die Reederei Costa Crociere machte den festgenommenen Kapitän des Schiffes für das Unglück verantwortlich, dem nun auch noch eine Umweltkatastrophe folgen könnte, weil das riesige Kreuzfahrtschiff fast 2400 Tonnen Treibstoff geladen hatte.

Die Suche nach den noch vermissten Personen im Wrack der "Costa Concordia" wird erst wieder am Dienstagmorgen aufgenommen.

Die "Costa Concordia"
  • Länge: 290 m / Breite: 35,5 m
  • Stapellauf September 2005
  • Kosten: ca. 450 Mio Euro
  • Besatzung: ca. 1100
  • Passagiere: bis 3780
  • Tempo: bis 42 km/h

Rettungsmannschaften und Taucher waren durch starke Winde und hohen Seegang bereits tagsüber stundenlang abgezogen worden. Das Wrack liegt auf einem 30 Meter tiefen Felsvorsprung auf dem Meeresboden. Durch starke Wellen hatte es sich bereits um einige Zentimeter bewegt und droht nun, in größere Tiefen abzurutschen.

Der Reederei zufolge waren 566 deutsche Passagiere an Bord. Der Geschäftsführer der deutschen Tochter, Heiko Jensen, äußerte sich zuversichtlich, dass sich weitere Passagiere meldeten, die auf eigene Faust zurückgereist seien. "Es ist wahrscheinlich, dass sich noch einige melden", sagte Jensen auf einer Pressekonferenz in Hamburg. Insgesamt werden noch fünf Passagiere aus Hessen, je zwei aus Berlin, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen sowie eine Frau aus Bayern vermisst.

Schwere Vorwürfe gegen den Kapitän

"Antonello, schau mal, wir sind ganz nahe an Giglio", soll der Kapitän zum Kellner gesagt haben.

"Antonello, schau mal, wir sind ganz nahe an Giglio", soll der Kapitän zum Kellner gesagt haben.

(Foto: AP)

Costa Crociere distanzierte sich von Kapitän Francesco Schettino und warf ihm vor, Bestimmungen des Unternehmens missachtet zu haben. "Die Firma steht dem Kapitän bei und wird ihm alle notwendige Unterstützung gewähren. Aber wir müssen den Tatsachen ins Auge sehen und können menschliches Versagen nicht bestreiten", sagte Costa-Chef Pier Luigi Foschi in Genua. Schettino, der seit 2002 für die Reederei arbeitet und 2006 zum Kapitän ernannt wurde, habe das Unglück verursacht. Er sei zu nah an der Küste gefahren.

Nach Angaben der italienischen Zeitung "Corriere della Sera" soll der Bordkommandant "auf eigene Faust ein nicht genehmigtes Manöver vollführt" haben. Der Kapitän sei zu nah an die Insel Giglio herangefahren, um einem Schiffskellner einen Gefallen zu tun. Laut der Zeitung ließ Kapitän Francesco Schettino kurz vor dem Unglück einen von Giglio stammenden Oberkellner auf die Kommandobrücke rufen. "Antonello, schau mal, wir sind ganz nahe an deinem Giglio", habe er zu dem Kellner gesagt. Dafür gebe es Zeugen. Daraufhin habe der Kellner gewarnt: "Vorsicht, wir sind extrem nahe am Ufer." Unmittelbar darauf sei das Schiff auf den Felsen aufgelaufen.

Die "Costa Concordia" habe demnach ein Manöver namens "Die Verneigung" vollzogen, bei dem das Schiff mit voller Beleuchtung und Schiffsirenen die Küstenbewohner grüßt. Neben dem Kellner Antonello sollen noch weitere Besatzungsmitglieder aus dem Dorf Giglio stammen. Augenzeugen berichten, dass Schettino schon mehrmals dieses Manöver vollzogen haben soll, um möglichweise Angestellte und Passagiere zu beeindrucken.

Ankunft auf Facebook angekündigt

Dass der Kapitän das Schiff absichtlich dicht an der Küste vor Giglio vorbeisteuerte, belegt zudem ein Facebook-Eintrag der Schwester des Oberkellners, Patricia: "In Kürze wird die 'Concordia' sehr, sehr nah an uns vorbeifahren. Das wird ein Riesen-Gruß", schreibt Patricia und nennt auch die Uhrzeit "21.30 Uhr, wie immer". Nach Angaben der Zeitung "Il Tirreno" soll Antonello noch Stunden vor dem Unglück seine Eltern angerufen und ihnen angekündigt haben, dass er später mit seinem Schiff dicht an ihrem Haus vorbeifahren werde. "Wir kommen gegen 9.30 Uhr, schaut aus dem Fenster", zitiert der "Corriere". Und die Zeitung weiß zu dem, dass der Gruß, die sogenannte Verneigung zu Ehren der Freunde und Familienmitglieder, auf Anregung des Kapitäns geschehen sein soll: "Ruf deine Familie an und sag ihnen, dass wir in Kürze bei ihnen vorbeifahren", zitiert der "Corriere della Sera" den Kapitän. Später soll Schettino den Oberkellner Antonello auf die Brücke gerufen haben, um ihm dieses Schauspiel zu zeigen. In Kürze will die Staatsanwaltschaft den 46-jährigen Maître des Kreuzfahrtschiffs dazu vernehmen.

Der Vater des Chefkellners bestätigte die Angaben, dass ihn sein Sohn kurz vor dem Unglück angerufen und angekündigt habe, dass die "Costa Concordia" nahe an der Insel vorbeifahren und ihn dabei mit dem Schiffshorn grüßen werde. Er wisse aber nicht, ob sein Sohn den Kapitän gebeten habe, näher an die Küste zu fahren.

Der deutsche Costa-Vertreter Jensen erklärte zum Hergang des Unglücks: "Was wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen können ist, dass sich der Kapitän zum Zeitpunkt des Unglücks auf der Brücke befunden und das Schiff manuell gesteuert hat."

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Kapitän Totschlag vor und beschuldigt ihn, das Schiff verlassen zu haben, als noch Passagiere an Bord waren. Nach Angaben der Küstenwache weigerte sich Schettino, auf sein Schiff zurückzukehren. Schettino sagte, die "Costa Concordia" habe einen nicht in Seekarten verzeichneten Felsen gerammt. Auch das Navigationssystem habe das Hindernis nicht erkannt.

Felsen waren eingezeichnet

Derweil berichten italienische Medien, dass die Aussagen des Kapitäns haltlos seien. Das habe der die Ermittlungen zuständige Staatsanwalt klargestellt. Auf den Karten vom Unglücksort nahe der Insel Giglio seien die Felsen deutlich sichtbar eingezeichnet. Die Felsen befänden sich rund um eine größere Felsgruppe namens "Le Scole" nahe der Insel Giglio.

Einzelheiten zum Hergang des Unglücks erhofft man sich von der Auswertung der Blackbox des Schiffes, die ähnlich wie in Flugzeugen Kommunikation auf der Brücke und Steuerbefehle aufzeichnet. Bislang konnten die Aufzeichnungen nicht entziffert werden.

Noch vor einem Jahr hatte Schettino der tschechischen Zeitung "Dnes" gesagt, die Sicherheit der Passagiere stehe für ihn an erster Stelle. "Ich möchte nie in die Rolle des Kapitäns der 'Titanic' geraten, der zwischen Eisbergen durch den Ozean navigierte", sagte der Kapitän. Er gab sich angesichts moderner Navigationsinstrumente zuversichtlich, dass man "dank der richtigen Vorbereitung jede Situation beherrschen und möglichen Problemen vorbeugen kann".

Notstand für die Region wird ausgerufen

Wegen der drohenden Verschmutzung des Meeres in der Region will Umweltminister Corrado Clini den Notstand ausrufen. Damit kann Geld des Staates verwendet werden, um gegen eine Umweltkatastrophe zu kämpfen. Die "Costa Concordia" hatte volle Tanks mit besonders umweltgefährlichem Schweröl. Um das Wrack wurde eine Ölbarriere errichtet. Spezialfirmen sollen versuchen, den Treibstoff abzupumpen. Clini erklärte, es sei Flüssigkeit aus dem Wrack ausgetreten. Ob es sich um Öl handelt, war zunächst nicht klar.

Die Gegend um die Insel Giglio ist ein weltbekanntes Tauchrevier. In den Gewässern gibt es klares Wasser, eine große Artenvielfalt und Korallen. Umweltorganisationen fordern schon lange, dass große Schiffe vom Toskanischen Archipel ferngehalten werden sollen.

Carnival-Aktie bricht ein

Costa Crociere ist eine Tochter des Kreuzfahrtkonzerns Carnival. Der Konzern wurde an der Londoner Börse abgestraft. Das Papier fiel in der Spitze um knapp 29 Prozent auf ein Zweieinhalbjahrestief. Carnival geht davon aus, dass sein Ergebnis 2012 allein durch den Ausfall der "Costa Concordia" um etwa 90 Millionen Dollar gemindert wird. Allein das Schiff koste mehr als 100 Millionen Dollar. Die Havarie wird wahrscheinlich der größte Versicherungsfall der Schifffahrtsgeschichte. Die Belastungen könnten sich auf eine Milliarde Dollar belaufen.

Quelle: ntv.de, ppo/dpa/AFP/rts

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