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Verbot von legalen Abtreibungen Chefarzt verklagt Kirche: "Mir wird vorgeschrieben, eine Frau zu quälen"

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Der Gynäkologe Joachim Volz war langjähriger Chefarzt beim Evangelischen Krankenhaus in Lippstadt, das seit der Fusion "Klinikum Lippstadt - Christliches Krankenhaus" heißt.

Der Gynäkologe Joachim Volz war langjähriger Chefarzt beim Evangelischen Krankenhaus in Lippstadt, das seit der Fusion "Klinikum Lippstadt - Christliches Krankenhaus" heißt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Seit ein katholischer Träger sein Krankenhaus übernommen hat, darf Joachim Volz, Chefarzt und Frauenarzt am Klinikum Lippstadt, keine Schwangerschaftsabbrüche mehr vornehmen. Der 67-Jährige zieht nun gegen seinen Arbeitgeber vor Gericht. Welche Folgen das Verbot für seine Patientinnen hat und warum er mit dem Fall an die Öffentlichkeit gegangen ist, sagt er im Interview mit ntv.de.

ntv.de: Herr Volz, sind Sie ein Mörder?

Joachim Volz: Ich bin natürlich kein Mörder - ganz im Gegenteil. Ich will das Leben aus tiefster Überzeugung schützen und bewahren.

Aber Ihr neuer Arbeitgeber, die Katholische Kirche, sieht das anders.

Aus Sicht des katholischen Trägers ist jede Beendigung einer Schwangerschaft Mord, somit wären mein Team und ich "Mörder". Die katholische Kirche hat ein undifferenziertes Verständnis davon, was es bedeutet, eine Schwangerschaft aus medizinischer Indikation zu beenden - also wenn die Fortführung für die Mutter unzumutbar ist. In solchen Fällen ist ein Arzt nach unserer Gesetzeslage verpflichtet, die Schwangerschaft zu beenden, sofern die Frau das möchte. Die Kirche jedoch betrachtet den Lebensschutz als absolut. Da heißt es pauschal: Auch wenn das Kind keinen Schädel hat, kein Gehirn entwickelt wurde oder das Herz außerhalb des Körpers schlägt, muss die Frau die Schwangerschaft fortsetzen.

Und wogegen klagen Sie jetzt?

Ich klage gegen eine Dienstanweisung, die mir sowohl in meiner Funktion als Chefarzt in Lippstadt als auch als niedergelassener Kassenarzt in Bielefeld kategorisch untersagt, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.

Wie ist es dazu gekommen?

Ich war 13 Jahre lang am Evangelischen Krankenhaus in Lippstadt tätig. Dort wurden diese Eingriffe routinemäßig durchgeführt - etwa 20 bis 30 pro Jahr. Dann kam Anfang des Jahres die Fusion mit dem katholischen Träger. Dessen Bedingung war, dass das katholische Arbeitsrecht gilt. Das ist ein kirchliches Sonderrecht, das es erlaubt, vom staatlichen Recht abzuweichen, wenn kirchliche Grundsätze betroffen sind. Nach Ansicht der katholischen Kirche dürfen Ärzten damit Schwangerschaftsabbrüche verboten werden, auch wenn sie nach deutschem Recht legal sind.

Von dem Verbot sind Sie aber nicht nur in Ihrer Position als Chefarzt betroffen, sondern auch als niedergelassener Arzt. Wie kann das sein?

Die Argumentation lautet, dass ich als Repräsentant der katholischen Kirche gelte - auch außerhalb meiner Chefarztfunktion. Ich darf demnach also auch in meinem eigenen Institut keine Handlungen vornehmen, die im Widerspruch zu den kirchlichen Werten stehen. Ich werde als ganze Person vereinnahmt.

Sie wollen sich also auch gegen diese Vereinnahmung wehren?

Ja, ich kann es nicht zulassen, dass ich in meinem eigenen Institut, für das ich persönlich verantwortlich bin, moralische Anweisungen von Dritten erhalte. Dabei geht es mir nicht in erster Linie um mich selbst. Wichtig ist, dass unsere Klinik und mein Team weiter so arbeiten können, dass sie das Vertrauen der Bevölkerung behalten. Und es geht auch um die grundsätzliche Frage, ob unser Staat das wirklich zulassen will. Drastisch gesagt: Natürlich kann mir die Kirche nicht befehlen, eine Frau zu töten - das wäre absurd. Aber genauso absurd ist es, dass sie mir vorschreibt, eine Frau zu quälen. Doch genau das bewirkt die Vorschrift: Ich soll Frauen in höchster Not, in einer für sie fast aussichtslosen Situation, alleinlassen. Ich müsste ihnen sagen: "Sie haben eine schlimme Diagnose, aber jetzt gehen Sie bitte woanders hin." Für viele ist das ein quälender, einsamer Prozess, der in Verzweiflung führt. Die Versorgungslage in unserer Region hat sich zudem verschlechtert. Es gibt kaum noch Krankenhäuser, die medizinisch indizierte Abbrüche anbieten.

Was sind das für Fälle, in denen medizinisch indizierte Abbrüche durchgeführt werden?

In den meisten Fällen handelt es sich um schwerste Fehlbildungen, die mit dem Leben nicht vereinbar sind - wie Trisomie 13 oder 18. Es gibt aber auch Grenzfälle, etwa bei Trisomie 21, dem Down-Syndrom. Hier gibt es sowohl gesunde, glückliche Kinder als auch sehr kranke. Es ist Aufgabe eines Zentrums wie dem unseren, das zur höchsten Versorgungsstufe in der Region gehört, diese Diagnosen zu stellen und die Frauen umfassend zu beraten, über den Grad der Beeinträchtigung bis hin zur Lebensunfähigkeit. Die meisten dieser Kinder sind nicht oder nur sehr eingeschränkt lebensfähig und benötigen intensivmedizinische Betreuung. Die katholische Kirche verlangt dennoch, dass Frauen diese Schwangerschaften austragen. Viele dieser Kinder sterben noch im Mutterleib, nur ganz wenige überleben wenige Tage nach der Geburt.

Die einzige Ausnahme ist, wenn das Leben der Frau akut gefährdet ist, oder?

Diese Regelung ist ein Feigenblatt. In der modernen Medizin kommt es fast nie zu einer solchen akuten Gefährdung - weil wir vorher wissen, was passieren wird. Das Prinzip wäre dann: Wir müssen die Frau erst bis an den Rand des Todes bringen, bevor wir handeln dürfen. Diese Haltung hat bei einem Fall in Polen zur Katastrophe geführt - Mutter und Kind starben. Für mich ist das keine Option. Wir leben in einem modernen Zeitalter, in dem wir medizinisch sehr genau abschätzen können, wie sich eine Situation entwickeln wird. Wenn eine Frau dieses Risiko bewusst eingehen möchte - in Ordnung. Aber wenn sie das nicht will, wie in über 90 Prozent der Fälle, beenden wir auf ihren Wunsch hin die Schwangerschaft. Dieses proaktive medizinische Handeln ist unter katholischem Arbeitsrecht nicht erlaubt.

Neben Ihrer Klage haben Sie auch eine Petition gestartet. Warum ist Ihnen die Öffentlichkeit wichtig geworden?

Am Anfang war mir die Öffentlichkeit gar nicht so wichtig. Aber in einer gescheiterten Güteverhandlung wurden mir die Positionen der Gegenseite sehr strikt und, wie ich finde, auch recht inkompetent präsentiert. Für mich als Chefarzt war es verletzend zu hören, dass es keinerlei Kompromissbereitschaft gibt, kein Vertrauen in meine ärztliche Kompetenz. Der entscheidende Auslöser, an die Öffentlichkeit zu gehen, war die vorläufige Einschätzung des Richters: Dass die Kirche mir auf Basis des deutschen Kirchenrechts tatsächlich vorschreiben darf, wie ich zu handeln habe. Darüber muss die Öffentlichkeit diskutieren. Und auch die Gesetzgeber müssen sich fragen, ob das Kirchenrecht in dieser Form noch zeitgemäß ist. Es stammt aus einer Zeit, in der die Kirche unterdrückt wurde und geschützt werden musste. Diese Situation sehe ich heute nicht mehr.

Die Petition haben inzwischen über 200.000 Menschen unterschrieben. Bekommen Sie vor allem positive Rückmeldungen, oder sind auch negative darunter?

Ja, ich erhalte sehr viel Zuspruch, etwa 95 Prozent der Rückmeldungen sind positiv, zum Teil mit bewegenden Briefen. Auch in meinem Kollegium stehen alle hinter mir. Die evangelische Kirche übrigens größtenteils auch. Natürlich gibt es aber auch Menschen, die mich anschreien, mich einen "Mörder" nennen und glauben, ich wolle Gott spielen. Manche vermischen auch Dinge und befürchten, eine "böse" Schwangere wolle ihr Kind im neunten Monat töten. Dabei geht es hier um etwas anderes, das ist offenbar schwer zu vermitteln.

Die Debatte um Abtreibungen wird hierzulande schon lange und teils hitzig geführt. Im Kern geht es um den Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche grundsätzlich unter Strafe stellt, wenn auch mit Ausnahmen. In Ihrer Petition fordern Sie: "Schluss mit der Kriminalisierung von jeglicher Form des Schwangerschaftsabbruchs." Wollen Sie also auch die Abschaffung des Paragrafen erreichen?

Mir geht es in erster Linie um das katholische Arbeitsrecht und um die Absicherung der medizinischen Indikation. Die Petition spricht von Entkriminalisierung, weil der Paragraf 218 es sehr einfach macht, Ärzte wie mich zu kriminalisieren. Wenn ein Bischof sagt, er sei für den Schutz des Lebens, impliziert er, ich sei es nicht. Außerdem kriminalisiert der Paragraf 218 Ärzte, obwohl sie genau das tun, was ich auch vom katholischen Träger einfordere: die Frau als entscheidende Instanz für ihre Schwangerschaft anzuerkennen. Wir Ärztinnen und Ärzte sind nicht die Richter, wir sind die Berater und Helfer. Unabhängig von teilweise widersprüchlichen religiösen oder moralischen Vorstellungen. Ich würde mir wünschen, dass wir als Gesellschaft einen neuen Blick auf dieses Thema werfen. Rund um den Paragraf 218 gibt es viel Unwissen. Er bestraft Ärztinnen und Ärzte, die Frauen, für die die Beendigung einer Schwangerschaft essenziell ist, helfen. Wir sollten also fragen, ob das tatsächlich dem Lebensschutz dient oder ob eine Stärkung und Unterstützung von Frauen nicht der bessere Weg wäre. Ich hoffe, dass genau das die Konsequenz sein wird.

Mit Joachim Volz sprach Marc Dimpfel.

Quelle: ntv.de

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