
In der Küche des Le Bernardin steht auch der Chef immer wieder am Herd.
(Foto: IMAGO/Depositphotos)
Die Gourmetküche in New York ist atemberaubend gut und atemberaubend teuer. Doch im Test zeigt sich besonders eines: Es hilft, wenn der viel gerühmte Sternekoch auch gelegentlich selbst am Herd steht. Über Licht und Schatten an der Upper East Side.
Wer meine Kolumnen kennt, der weiß: Ich schreibe lieber über richtig gutes Essen, als einen fiesen Verriss zu zimmern. Heute kann ich einmal beides verbinden. Machen wir uns also auf die Reise ins Herz des Big Apple, an die teure, laute und reiche Upper East Side nämlich.
Denn wer New York wirklich verstehen will, sollte einmal ins Le Bernardin gehen. Hier befindet sie sich, die Kantine derer, die Schnelligkeit, Opulenz und Dekadenz leben, Börsenmakler, Hedgefonds-Manager, Immobilienhaie, viel zu schnell reich gewordene Privatiers, die Schlange der Lamborghini und G-Klassen vor dem Lokal zeugt davon. Doch es ist dennoch kein seelenloser Laden, dieses Le Bernardin, ganz und gar nicht.
Es ist laut hier, laut und hektisch, es wird gesprochen und gelacht und es ist ein stetes Kommen und Gehen, sodass der gediegene deutsche Gourmet erstmal etwas Puls bekommt. Aber dann wird das Essen serviert. Und der Puls weicht sofort einem großen Glücksgefühl.
Éric Ripert heißt der Chef hier und es ist ja gar kein Wunder, dass es im Big Apple immer noch die Franzosen sind, die am besten kochen. Seit fast 40 Jahren steht Éric hier am Herd, das Restaurant war eigentlich eine Pariser Institution, die Inhaber verlegten es aber 1986 nach New York - seitdem hält es als einziges Restaurant der Stadt ununterbrochen die vier Sternewertung der New York Times.
Das mag auch daran liegen, dass er seit 1991 eine goldene Regel der Gastfreundschaft beherzigt: Wer bei ihm zu Gast ist, bekommt auch ihn. Er hat dieses eine Restaurant und in New York wird geraunt, dass es das einzige Lokal weltweit ist, das ganz allein 30 Millionen Dollar Jahresumsatz macht. Aber wer hier einmal war, der weiß: Es ist hart erarbeitetes und ehrliches Geld.
Maritime Seligkeit
Ich persönlich kenne keinen auf der Welt, der derzeit so mit Fisch und Meeresfrüchten umgeht wie die Küchencrew im Le Bernardin. Weil sich hier Produktqualität paart mit der Perfektion der Zubereitung. Das Vier-Gang-Wahl-Menü oder das Acht-Gang-Menü besteht ausschließlich aus maritimen Hauptprodukten, die in den Kategorien Almost Raw (fast roh), Barely Touched (nur zart angefasst) und Lightly Cooked (sanft gekocht oder gegrillt) unterschieden werden. Schon die Namen verweisen darauf, wie gut es Ripert gelingt, den exquisiten Produkten ihren Charakter zu lassen, sie nicht zu übertünchen oder sie gegen eine aromatische Wand anschwimmen zu lassen.
Fabelhaft gelingt das bei der rohen Flunder, die Ripert in dünne Scheiben schneidet und sie eben nicht als Ceviche totmariniert, sondern sie nur mit brauner Butter bepinselt, ein paar meisterhafte Minicroutons und Kapern dazu - mon dieu, ein Traum. Red Snapper, Montauk Shrimp, Streifenbarsch und der so simpel wie perfekt gegarte Lachs mit Ossietra-Kaviar - es ist nicht Champions League, sondern Weltpokal. Wer hierherkommt und als Hauptspeise keinen Fisch mag, dem werden Alternativen bereitgehalten, Hühnchen, Filet Mignon oder eine meisterhafte Trüffelpasta mit Pilzen, die endlich mal nicht nach Trüffelöl schmeckt, sondern dicht und süffig, ganz so, als würde der Gast mitten im Wald sitzen.
Ein Abend wie ein Fest
Und dazu kommt ein Team, so beflissen wie auf Augenhöhe, freundlich und versiert, wie es nur ausgesucht werden kann, wenn der Koch auch beinahe täglich selbst in der Küche steht, die besten Leute sucht, ein Mannschaftsgefühl verleiht.
Auch der Head-Sommelièr ist ein Magier - ein deutschsprachiger noch dazu: Aldo Sohm ist aus Tirol und wurde erst kürzlich zum besten Sommelièr der Welt gekürt. Seit 17 Jahren ist der Österreicher hier, ein bescheidener und zugleich unterhaltsamer Mann, der ganz genau zuhört und dann den wirklich perfekten Wein findet - nicht nur zum Menü, sondern auch zum jeweiligen Gast passend. In unserem Fall präsentierte er einen Chardonnay aus Oregon von Evening Land Vineyards, ein samtiger und doch kraftvoller Weißwein, der mit den rohen Fischen funktionierte, ohne zu oxidieren, und der dennoch stark genug war, um mit Seezunge und Pasta mitzuhalten.
Es ist ein Fest, so ein Abend im Le Bernardin. Und auch wenn es noch so laut ist im Saal, am Ende wird der Gast ganz ruhig, und: ganz glücklich.
Reise in der Zeitmaschine
Zehn Blocks weiter nördlich, Upper East Side, alles ist etwas gediegener und noch reicher, wenn das denn überhaupt geht. Hier kocht auch ein Franzose: Daniel Boulud, der als Junge auf einem Bauernhof bei Lyon aufwuchs und nun, mit 69 Jahren, ein Millionenunternehmer ist - und ein Multitasker. 15 Restaurants gehören ihm, vielleicht sind es auch schon 16, eine Handvoll in New York, eines in Miami, Palm Beach, Kanada, Singapur, auf den Bahamas und in Dubai. Noch immer wohnt Boulud zwei Etagen über seinem Flaggschiff, dem Daniel - doch oft ist er nicht mehr hier.

Daniel Boulud vor einem seiner Restaurants in Singapur.
(Foto: IMAGO/Newscom / Singapore Press Holdings)
Und das wird bei jedem Gang klar: Alles scheint vor Jahren erdacht und vom Chef einmal vorgekocht worden zu sein - und nun müssen die jungen Leute in der Küche der Philosophie des Meisters folgen, obwohl sie doch viel mehr könnten, bestimmt, der Gast hofft es zumindest. Denn das ganze Menü ist wie eine Reise in der Zeitmaschine - Back in the Eighties - eine prätentiöse Aneinanderreihung von belanglosen und teilweise sogar ärgerlichen Kombinationen.
Da kommt eine norwegische Languste mit getupften Saucen und Schäumen, die Tapioka-Chips darüber aber sind feucht geworden, ein geradezu unnötiger Fehler, der nur ganz selten auf diesem Niveau passiert. Der Teller mit dem Lachsfilet wirkt geradezu lächerlich in seiner Anmutung. Da liegt ein Filetstück mit einer Kruste wie von einem Grundschüler angebraten, um seine Eltern unangenehm zu überraschen, die Gnocchi dazu sind purer Teig ohne Geschmack und werden in einem Raster von einer grünen Mousse präsentiert, die viel zu klein ist, um Aroma zu bringen. Alles ist so ewiggestrig, dass es schon eine Frechheit ist.
Teure Langeweile
Der Thunfisch ist ordentlich gebraten, aber der Sprossenbroccoli dazu ist in einer Kruste ausgebacken, wie man es heute nur noch in Möchtegern-Sterneadressen findet. Es schmeckt alles, als würde überhaupt niemand mehr am Pass stehen, um die Teller, die in den Saal gehen, zu überwachen. Es fehlt an Stringenz, Klarheit, Feinheit - und nicht nur die fade Farce am trockenen Hühnchen gerät zur Farce.
Das schlimmste aber: Das Team im Saal, das freudlos und viel zu distinguiert durch den Abend mäandert, ganz so, als müsse es sich ständig dafür entschuldigen, dass der Chef nicht mehr da ist. Kopflos, arglos, glanzlos.
Das ist ein hartes Urteil, härter aber noch ist es, für so einen Quark in neun Gängen 334 Dollar zahlen zu müssen. Gelockt von einem großen Namen, der aber leider nur noch auf Instagram und im Fernsehen zu finden ist und nicht mehr in der Küche.
Quelle: ntv.de