Panorama

Streit um ProduktfälschungenFalsche Carbonara im EU-Supermarkt bringt Italien auf die Palme

07.12.2025, 10:02 Uhr c-ammeVon Caroline Amme
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In Spaghetti alla Carbonara gehören traditionell Guanciale, Pecorino, rohes Ei und Pfeffer. (Foto: AFP)

Eine vermeintlich italienische Sauce im EU-Parlament sorgt für Streit. Italien kritisiert sie als irreführend etikettiert. Agrarminister Francesco Lollobrigida fordert Konsequenzen. Eine Entscheidung der Unesco könnte die Debatte beeinflussen.

Italiens Landwirtschaftsminister Francesco Lollobrigida ist sauer. Der Grund dafür steht im Supermarkt des Europäischen Parlaments in Brüssel. Dort werden auch italienische Produkte verkauft. Zumindest sehen sie auf den ersten Blick so aus.

Lollobrigida hat sie bei seinem Besuch Mitte November entdeckt und Fotos davon bei Instagram gepostet. Darauf zu sehen: Gläser mit Bolognese- und Arrabiata-Sauce, zudem Fertig-Risotto in Tüten mit Hühnchen und Pilzen. Besonders geärgert hat ihn ein Glas mit Carbonara-Sauce. "All diese Produkte repräsentieren das Schlimmste, was man unter 'italienisch klingend' verstehen kann. Es ist inakzeptabel, sie in den Regalen des Supermarkts des Europäischen Parlaments zu sehen. Ich habe darum gebeten, sofort Untersuchungen durchzuführen."

Der Minister echauffiert sich unter anderem über die Zutaten der Sauce. Laut Original-Rezept besteht eine Carbonara aus Guanciale-Speck aus der Schweinebacke, Pecorino, rohem Ei, Pfeffer und Nudelwasser. Pancetta-Bauchspeck vom Schwein und Sahne, wie es auf dem Etikett steht, gehört dort eher nicht hinein.

Originales Carbonara-Rezept entdeckt

Wobei: Über das ursprüngliche Carbonara-Rezept ist sich Italien anscheinend nicht ganz einig. Der italienische Gastronomie-Historiker Luca Cesari aus Bologna hatte vor zwei Jahren eine alternative Version der Carbonara präsentiert. Statt Pecorino hatte er Schweizer Gruyère verkocht und zusätzlich Knoblauch hinzugefügt. Berufen hat er sich auf ein vermeintliches Originalrezept. Das sei 1954 in einer italienischen Kochzeitschrift erschienen. Das habe er einfach nachgekocht.

Viele Italiener reagierten schockiert, berichtet Cesari, die "Carbonara-Puristen" seien wütend gewesen. "Sie glauben, dass unser schönes Rezept immer identisch geblieben ist. Leider ist das nicht der Fall. Es gab Hunderte von Carbonara-Versionen."

Nicht nur die Zutaten der Carbonara-Sauce im EU-Supermarkt haben Italiens Landwirtschaftsminister verärgert - sondern vor allem etwas anderes: Auf dem Etikett ist eine kleine italienische Flagge zu sehen. Rundherum ist zu lesen, dass italienische Pancetta verwendet wurde - obwohl die Soße gar nicht aus Italien kommt. Hergestellt hat sie die belgische Supermarktkette Delhaize, die sie unter ihrer Eigenmarke vertreibt.

Sauce aus Sortiment gestrichen

Nach EU-Recht kann ein Lebensmittelprodukt als irreführend für die Verbraucher eingestuft werden, wenn das tatsächliche Herkunftsland verschleiert wird. Gegen diese Vorschriften haben die Produkte verstoßen, glaubt der italienische Fratelli-d'Italia-Abgeordnete Carlo Fidanza. Die italienische Flagge auf dem Glas sei "irreführend". Deshalb hat er sich bei Parlamentspräsidentin Roberta Metsola in einem Brief beschwert.

Auf dem Etikett wird allerdings nicht behauptet, dass das Produkt in Italien hergestellt wurde, schreibt Euronews. Darauf stehe nur, dass einige Zutaten aus Italien stammen und deshalb mit einer italienischen Flagge gekennzeichnet sind.

Der Hersteller der Sauce, der Delhaize-Konzern, sagt, er habe nichts falsch gemacht. Er will seine Produkte auch weiterhin so verkaufen. Sowohl Bezeichnung als auch Verpackung entsprächen komplett den gesetzlichen Vorschriften. Das Europäische Parlament hat die Gläser, wie es aussieht, aber inzwischen aus ihrem Supermarkt verbannt.

Scharfe Strafen für Lebensmittelbetrug

Italien wehrt sich schon länger gegen Produkte, die einen "italienisch klingenden" Namen haben, aber gar nicht in Italien produziert wurden. Wie ernst es Rom damit ist, zeigt die Umbenennung des Industrieministeriums in Ministerium für Unternehmen und Made in Italy. Mit einem Imagefilm geht es gegen das "Italian Sounding" vor. Damit schädigten Betrüger die italienischen Unternehmen, heißt es darin.

Italiens Senat hat Ende November einen Gesetzesentwurf zur Bekämpfung von Lebensmittelbetrug, vor allem gegen falsche "Made in Italy"-Produkte, gebilligt. Geplant sind härtere Strafen gegen Lebensmittelbetrug: bis zu vier Jahre Haft und Bußgelder bis zu 50.000 Euro.

Der Skandal um gefälschte italienische Produkte kostet das Land jährlich 120 Milliarden Euro, sagt der größte italienische Agrarverband Coldiretti. Mozzarella, Salami, Mortadella oder Pesto: Über zwei Drittel der italienischen Agrar- und Lebensmittelprodukte weltweit seien gefälscht. Die größten Fälscher seien Industrieländer. Der größte Übeltäter seien die USA.

Italienische Küche bald Kulturerbe?

Die Fälscher nutzen den guten Ruf italienischer Produkte aus. Das lässt die Exportpreise sinken, warnt Coldiretti.

Der wichtigste Außenhandelspartner für Italien ist Deutschland. In die USA wurden vergangenes Jahr Agrar- und Lebensmittelprodukte im Wert von knapp 8 Milliarden Euro verkauft, ein Plus von 17 Prozent. Die Amerikaner lieben vor allem italienisches Olivenöl sowie Rot- und Roséwein aus Italien. Die Exporte in die USA sind in den letzten fünf Jahren laut Coldiretti um durchschnittlich elf Prozent gestiegen.

Die Social-Media-Kritik von Minister Lollobrigida könnte noch einen weiteren Hintergrund haben. Italien hat bei der Unesco beantragt, die italienische Küche als immaterielles Kulturerbe anerkennen zu lassen. Das betreffe auch das "Italian Sounding", sagt Lollobrigida: "Der Schutz des gesamten Erbes durch die Unesco umfasst auch den Schutz der einzelnen Produkte, die dazu gehören", argumentiert er.

Voraussichtlich am 10. Dezember entscheidet die Unesco, ob die italienische Küche zum immateriellen Kulturerbe gehört. Es wäre nicht der erste Eintrag für Italien: Auf der Liste stehen schon der italienische Operngesang, die Kunst der Glasperlenherstellung, das traditionelle Glockenläuten und die neapolitanische Pizzabäckerkunst.

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Quelle: ntv.de

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