Propaganda Made in Italy Melonis Italien im Bann der Selbstgefälligkeit
25.10.2025, 13:54 Uhr
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Seit drei Jahren ist Giorgia Meloni nun im Amt.
(Foto: IMAGO/ZUMA Press)
In Italien hat die Rechte mehr als ein halbes Jahrhundert darauf gewartet, die kulturelle Hegemonie der Linken abzuschaffen. Jetzt ist sie an der Macht und setzt auf kulturelle Autarkie und Rückgriff auf die Tradition.
In Zukunft sollen die Opernhäuser in Italien vorwiegend die heimische Tradition des Genres pflegen. Also die Werke von Verdi, Rossini und Puccini spielen. Damit das auch so befolgt wird, schickt sich der Staatssekretär Gianmarco Mazzi an, in Kürze einen landesweit gültigen Kodex zu veröffentlichen.
Das Vorhaben hat es in sich, wie der Musikkritiker und Autor Alberto Mattioli in einem Beitrag für die Tageszeitung "La Stampa" schreibt. "Nicht einmal der Faschismus hatte den Theatern vorgeschrieben, welche Werke sie ins Programm nehmen mussten."
Dass die italienische Oper einen besonderen Stellenwert in der Planung der Opernhäuser einnimmt, versteht sich von selbst. Und das ist auch richtig so, sagt der Kritiker im Gespräch mit ntv.de. "Es ist nämlich nichts falsch daran, sich seiner kulturellen Identität bewusst zu sein", fährt er fort. Nicht zuletzt, weil ein gesundes Bewusstsein hilft, die eigene Identität angemessen zu vertreten. "Wichtig ist natürlich, dass man weiß, wie man dieses Bewusstsein einsetzt."
Bloß nichts Neues
Daran hapert es jedoch, meint der Kritiker. Die neuen Vorschriften begnügen sich damit, die Tradition auf die Bühne zu bringen. Denn damit macht man Kasse, meint man im Kulturministerium. Nichts Neues bitte, oder gar avantgardistisch herausfordernd. Gefragt sind prunkvoll und der Tradition angepasste Inszenierungen à la Franco Zeffirelli. Er war ein genialer Regisseur und ein Mann mit großem kulturellen Background. "Doch heute lebt die Kultur hierzulande eine Randexistenz", beklagt Mattioli.
Und wenn es dann einmal doch um Kultur geht, dann um ihre Vermarktung. Daher hört man auch ständig Begriffe wie "Made in Italy" und nationale "Eccellenze" (auf Deutsch etwas, das hervorragende Eigenschaften besitzt).
Diese zwei Begriffe sind eine Art Goldstaub, der alles verklärt. Begriffe, die sich in das Bewusstsein der Italiener langsam, aber stetig, einnisten.
Das Revival des Nationalstolzes
Es gibt keine Präsentation, gleich ob es sich um ein Kunstwerk von Michelangelo oder um Parmesankäse handelt, kein Interview, keinen Dokumentarfilm, bei dem nicht mindestens ein paar Mal die Bezeichnungen Made in Italy und Eccellenze vorkommen.
Der Sinn dieser Beharrlichkeit ist es, den Motor des Nationalstolzes wieder anspringen zu lassen. Dazu sollte auch die Umbenennung einiger Ministerien dienen, die gleich bei Amtsantritt der Giorgia-Meloni-Regierung vor drei Jahren veranlasst wurde.
Dem Landwirtschafts- und Forstministerium wurde ein weiterer Aufgabenbereich hinzugefügt: die Lebensmittelhoheit, beziehungsweise die Versorgungshoheit. Auch der Name des Industrieministeriums wurde geändert. Jetzt heißt es Ministerium der Unternehmen und des Made in Italy. Dass das Wort Industrie nicht mehr vorkommt, ist gar nicht so falsch, von diesem Wirtschaftszweig gibt es kaum noch etwas. Doch auch der Begriff Made in Italy ist inzwischen nur noch auf eine überschaubare Anzahl von Produkten anwendbar.
Der Großteil jener Unternehmen und Marken, mit denen sich Italien einst weltweit einen Namen gemacht hat, befindet sich heute in ausländischen Händen oder hat den Sitz ins Ausland verlegt: der Autohersteller Fiat ebenso wie der Reifenhersteller Pirelli, Vespa-Hersteller Piaggio, Designstudio und Karosserieunternehmen Pininfarina, der Technologie- und Rüstungskonzern Ansaldo, das Lkw-Unternehmen Fiat Iveco, die Juweliermarke Pomellato, die Modeunternehmen Benetton, Gucci, Versace.
Dafür wirbt hierzulande eine sehr bekannte Marke von salzigem Keksgebäck mit dem Satz: "Ab heute ein neuer Geschmack, so italienisch wie nie zuvor. Bei jedem Bissen 100 Prozent italienisches Getreide."
Botticelli und Michelangelo
Aber zurück zur Kultur. Ein einprägsames Beispiel dafür, wie man diese zu vermarkten gedenkt, bot 2023 die Werbekampagne des Ministeriums für Tourismus - "Italia Open to Meraviglia". Nichts Geringeres als die Venus aus Botticellis Meisterwerk "Die Geburt der Venus" musste dafür herhalten. Aber nicht wie man sie in den Uffizien bewundern kann, sondern in der Rolle einer Influencerin. Die geniale Idee war der Regierung neun Millionen Euro wert.
Und apropos Influencerin. In Venedig laufen seit Wochen die Orchestermitglieder des Teatro La Fenice Sturm gegen die 35-jährige neue Dirigentin und Komponistin Beatrice Venezi. Grund der Revolte ist die mangelnde Qualifikation, die Venezi vorgeworfen wird. Sie verdanke den Posten in erster Linie ihrer Freundschaft mit Meloni, heißt es.
"Über ein halbes Jahrhundert hat sich die Rechte beschwert, dass die Kultur dem linken Lager vorbehalten war. Was auch stimmte", sagt Mattioli. "Als die Rechten dann an die Macht kamen, ging man davon aus, dass sie das Areal mit neuen Denkern, neuen Ideen, neuen Ansätzen besetzen würden. Doch nichts dergleichen ist geschehen. Man hat sich mehr oder weniger auf das Tagesgeschäft beschränkt."
Oder doch einfach nur Carbonara?
Anscheinend genügt der Koalition die Vorherrschaft in fast allen Sendern des öffentlichen Rundfunks RAI, daher die Umbenennung in TeleMeloni. Und die Präsenz der Premierministerin auf den sozialen Plattformen. Bei Amtsantritt hatte sie sogar den Account "Le notizie di Giorgia", auf Deutsch "Giorgias Notizen" eröffnet. Dort gedachte sie, sich in mehr oder weniger regelmäßigen Zeitabständen zu melden und anhand ihres Notizbuches den Followern zu erzählen, was die Regierung alles geleistet und in die Wege geleitet hat.
Anfangs gelang es ihr auch, doch schon bald wurden die Zeitabstände immer größer. Momentan stammt der letzte Eintrag aus dem Mai. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass dieser Account mit gerade einmal 127.000 Followern kein wirklicher Erfolg war. Ganz anders als der auf Facebook, wo die Followerzahl bei 3,7 Millionen liegt.
Und dann ist da ja noch die immer wieder haushoch gepriesene italienische Küche. Es könnte gut sein, dass diese im Dezember in die Liste des immateriellen Unesco Welterbes eingetragen wird. Der Antrag wurde auf jeden Fall gestellt und man ist guter Dinge. Und sollte die Unesco die Kandidatur annehmen, ist es doch einerlei, dass es früher die Meisterwerke von Michelangelo waren, die Italien weltweiten Ruhm einbrachten, und es heute die Pasta alla carbonara ist. Bei beiden handelt es sich um Eccellenze. Bei der Carbonara aber nur, wenn sie ohne Sahne zubereitet wird, dafür aber mit viel Pecorino-Käse.
Quelle: ntv.de