Ich bin Ich bin Ich Im falschen Geschlecht gefangen
17.04.2016, 10:23 Uhr
Ein berühmtes Beispiel: Aus Andrej wurde Andreja Pejic. Das Model unterzog sich 2014 einer Geschlechtsumwandlung.
(Foto: dpa)
Über Jahrhunderte hinweg wurden Transgender von der Gesellschaft ignoriert. Doch die Geschlechtszugehörigkeit eines Menschen ist nicht so eindeutig, wie allgemein angenommen. Immer mehr Menschen suchen Hilfe, weil sie im falschen Körper stecken.
Bin ich ein Mann oder eine Frau? Schon früh begleitete Vera, die als Christian auf die Welt kam, diese Frage. Sie spielte zwar mit Autos, aber viel mehr als alles auf der Welt wünschte sie sich ein Prinzessinnenkleid. Sie fühlte sich als Mädchen, doch bis sie diese Gefühle aussprechen konnte, vergingen fast vier Jahrzehnte.
Als Transgender bezeichnet man Personen, die die ihnen aufgrund ihres biologischen Geschlechts zugewiesene Geschlechtsrolle nicht akzeptieren. Transgender dient auch als Oberbegriff, der zum Beispiel Menschen einschließt, die sich weder mit dem Geschlecht Mann noch mit dem Geschlecht Frau identifizieren. Das Wort "trans" kommt aus dem Lateinischen und heißt so viel wie "hinüber" oder "jenseitig", der Begriff "gender" bezieht sich auf das (soziale) Geschlecht.
Transgender nehmen ihre Geschlechtsidentität anders wahr, als sie im Pass steht und ihnen bei der Geburt nach den primären Geschlechtsmerkmalen zugeordnet wurde. Viele Betroffene fühlen sich bereits im Kleinkindalter in den Kleidern des anderen Geschlechts wohler. Das Gefühl, im falschen Körper zur Welt gekommen zu sein, verstärkt sich mit zunehmendem Alter. In der Pubertät, wenn das "falsche Geschlecht" immer sichtbarer wird, schämen sich die Mädchen für ihre Brüste und Jungs haben es immer schwerer, wenn sie sich nicht typisch männlich verhalten. Sie leiden unter gesellschaftlichen Vorurteilen und der Angst, von ihren Freunden und Familien zurückgestoßen zu werden, wenn sie sich outen.
Wie viele Menschen in Deutschland sich dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen, ist nicht sicher. Die Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) geht von rund 100.000 Menschen aus - die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher liegen. Offiziell gab es in den letzten zehn Jahren mehr als 17.000 Verfahren nach dem Transsexuellengesetz.
Entwürdigende Begutachtung
Trans* ist keine Variante der sexuellen Orientierung. Bei der sexuellen Orientierung geht es um sexuelle Attraktivität und Präferenzen, bei Trans* geht es um die geschlechtliche Identität eines Menschen. Trans*Menschen können, wie alle Menschen hetero, homo-, bi- oder auch asexuell sein.
In diesem Anfang der 1980er Jahre in Kraft getretenen Transsexuellengesetz soll geregelt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Frau zum Mann oder ein Mann zur Frau werden darf. Mehrfach klagten Betroffene erfolgreich beim Bundesverfassungsgericht: Etwa gegen die Vorschrift, dass für eine Personenstands- und Namensänderung, wie der Geschlechtswechsel im Juristendeutsch heißt, eine Geschlechtsumwandlung nötig ist. Diese Regelung schaffte das Bundesverfassungsgericht 2011 aus der Welt. Julia darf nun zu Julian werden – oder Christian zu Vera - ohne Operation. Auch müssen Ehepaare sich nicht mehr scheiden lassen, wenn einer der Partner das Geschlecht ändert.
Geblieben ist jedoch die Gutachtenpflicht: Transsexuelle Menschen müssen in Deutschland zwei psychologische Gutachten vorlegen, um neue Papiere zu bekommen. Sie müssen beweisen, dass sie sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, dem sie bei der Geburt zugeordnet wurden. Bis zu einem Jahr kann diese Begutachtung dauern. Ein Prozess, den viele Transsexuelle als entwürdigend empfinden, denn die Fragen der Gutachter gehen mitunter weit über das Thema Transsexualität hinaus.
Transsexualität ist keine Krankheit
Transsexualität galt lange als Krankheit und wurde mit Psychotherapien zu "heilen" versucht. Jetzt sagt die Hirnforschung: Transsexualität ist nur eine Variante der vererbten inneren Abbildung unseres Geschlechtes. Manche Menschen kommen nicht mit den Geschlechtsmerkmalen zur Welt, mit denen sich ihr Gehirn identifiziert. Es liegt also keine Erkrankung vor, sondern ein Missverhältnis zwischen der Vorstellung von einem selbst und der körperlichen Gestalt. Transsexuelle sind - richtig verstanden - psychisch ebenso gesund wie Homo-und Heterosexuelle.
Dennoch geraten viele Betroffene wegen des falschen Geschlechts in eine seelische Krise. Sie fühlen sich beschämt und hilflos zugleich, werden häufig depressiv, quälen sich mit Selbstmordgedanken und nehmen Drogen, um die Realität zu vergessen. Mann-zu-Frau-Transsexuelle (Transfrauen) haben es in ihrer neuen Rolle in der Regel schwerer als Transmänner. Wenn sich männlich aussehende Transfrauen schminken oder Kleider tragen, wird daran schnell Anstoß genommen - auch, weil sie häufig als biologische Männer zu erkennen sind. Frauen in Hosen und mit eher männlichem Verhalten fallen einfach weniger auf.
Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge nimmt die Toleranz der Deutschen gegenüber Homosexuellen zu. Wie tolerant das persönliche Umfeld auf Transgender reagiert, lässt sich daran allerdings nicht ablesen.
Durch die Angst vor sozialer Ächtung am Arbeitsplatz, aber auch in der eigenen Familie oder im Freundeskreis, stehen viele transsexuelle Menschen unter großem Druck. Diese Angst zwinge einen dazu, dass man immer schauspielert, berichtet Vera. Den Mann nach außen zu geben, den man geben soll, aber innerlich etwas ganz anderes empfinden - irgendwann hielt sie diese schizophrene Situation nicht mehr aus. Sie hat sich entschieden, ihr Äußeres dem Inneren anzupassen.
Quelle: ntv.de