Panorama

Intensivarzt Janssens bei ntv "Können wir 200 bis 300 Tote am Tag ertragen?"

Uwe Janssens ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler.

Uwe Janssens ist Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler.

(Foto: picture alliance/dpa/Reuters-Pool)

Die Lage auf den Intensivstationen ist stabil - stabil angespannt, wie Intensivmediziner Janssens bei ntv berichtet. Tatsächlich landen anteilig wenige Infizierte dort, angesichts der hohen Infektionsdynamik bleibt die absolute Zahl aber hoch. Janssens stellt die offene Frage, ob das derzeit Lockerungen erlaubt.

ntv: Die Inzidenz sinkt und auch auf den Intensivstationen nehmen die Fallzahlen allmählich, mit einigen Schwankungen allerdings, ab. Ist das Schlimmste überstanden?

Uwe Janssens: Wir befinden uns jetzt in einer stabilen Phase, in der wir immer noch insgesamt hohe Belastungen – aber eben auch ohne Corona - auf den Intensivstationen haben. Die Belegungsraten nehmen nicht mehr zu, das ist gut so und das spiegelt auch den Trend der Infektionszahlen wider. Aber wir sind noch nicht in einem Bereich, wo wir sagen, es ist komplett vorbei. Wir warten noch ab, ob diese ganz, ganz hohen Infektionszahlen der letzten Wochen nicht nur in den Krankenhäusern - dort sind sie schon längst angekommen -, sondern auch auf den Intensivstationen ankommen. Aber wir sind froh darüber, dass wir den Schutz der Impfungen haben, die nach wie vor den großen Teil der sehr empfindlichen Bevölkerung geschützt hat.

Wie viele Menschen sind auf den Intensivstationen noch schwer krank?

Patienten auf den Intensivstationen sind immer schwerkrank, wenn sie wegen einer Covid-19-Erkrankung dort liegen. Aber wir haben mittlerweile auch viele Patienten auf der Intensivstation, die einen Sars-CoV-2 Nachweis haben, aber gar nicht wegen, sondern wegen anderer Erkrankungen der Infektion auf der Intensivstation liegen. Das lässt sich nur sehr unscharf aus den Daten ablesen. Einige Bundesländer, zum Beispiel Hamburg, wollen eine ganz genaue Differenzierung einführen, ob jemand mit oder wegen Covid-19 im Krankenhaus liegt. Es ist allerdings unglaublich schwierig, das zu trennen. Wenn ein Patient mit einer anderen Erkrankung kommt und im weiteren Verlauf sich eine Corona-Erkrankung auf die akute Grunderkrankung auswirkt, ist das sehr schwer, auch medizinisch, zu differenzieren. Patienten, die mit oder wegen Covid-19 auf der Intensivstation liegen, sind insgesamt immer schwerer erkrankt und haben unabhängig von der auslösenden Ursache ein erhöhtes Sterberisiko.

Würden Sie sagen, die Zahlen des DIVI-Intensivregisters sind diesbezüglich nicht unbedingt verlässlich?

Diese Zahl ist verlässlich, was den allgemeinen Status betrifft, ist aber in Bezug auf die Frage, ob die Patienten mit oder wegen Covid-19 auf der Intensivstation liegen, nicht ganz verlässlich. Das ist aber für die Abläufe auf der Intensivstation egal, denn wenn Sie dort einen positiven Patienten wegen einer anderen Erkrankung haben, muss der genauso isoliert werden, behandelt werden, hoch aufwendig betreut werden, wie ein Patient, der wegen Covid-19 auf der Intensivstation liegt. Es kann aber bedeuten, dass diese Patienten, im Gegensatz zur Covid-19-Lungenentzündung, nicht so lange auf der Intensivstation liegen – das kann dann schon einen Unterschied bedeuten

Wie ist denn momentan die Altersverteilung auf den Intensivstationen?

Derzeit ist es immer noch so, dass der überwiegende Anteil der Menschen, die mit oder wegen Covid-19 auf den Intensivstationen liegen, über 60 Jahre alt ist - aktuell nahezu 70 Prozent. Wir haben immer noch eine klare Betonung der Risikopopulation. Aber, nochmals: Der Rest, nämlich 30 Prozent, sind unter 60 Jahre alt und wir haben auch immer wieder Jüngere, auch mit der Omikron-Variante, die durchaus einen schweren Verlauf haben können, wenn sie irgendeine andere Begleiterkrankung haben.

Das RKI hat zuletzt eine Todeszahl von rund 300 Menschen pro Tag gezählt. Warum sterben immer noch so viele Menschen mit oder an Corona?

Wir haben ganz klare und eindeutige Hinweise darauf, dass die Erkrankungsschwere und auch der schwere Verlauf, der zum Tode führt, mit Omikron nicht mehr die Bedrohung ist. Aber durch die hohen Infektionszahlen kommen auch hohe absolute Sterbezahlen. Die Anzahl der Sterbefälle auf 100.000 Personen innerhalb einer Woche liegt aktuell bei 1,61. In der Kalenderwoche 50 Ende 2021 waren die mit 3,12 doppelt so hoch. Damals wurden aber auch nicht so viele Infektionen gemeldet.  Und das sind immer noch Patienten, die wegen einer Sars-CoV-2-Infektion sterben und nicht mit. Diese Erkrankung hat zwar ihren Grauen verloren, stellt aber immer noch eine Bedrohung für die Gesellschaft dar, sodass wir an der Stelle immer noch zur Vorsicht raten - auch wenn das die Leute nicht gerne hören. Die Gesellschaft muss sich immer wieder fragen: Ist das okay, wenn wir 200 bis 300 Tote pro Tag haben? Können wir das ertragen? Und die Politik muss dann die Entscheidung treffen, ob Lockerungen gerechtfertigt sind oder nicht.

Aber morgen wird in Köln Karneval gefeiert - zwar mit Hygienekonzept, aber was halten Sie davon?

Das ist ein klarer Hinweis darauf, dass die Sehnsucht der Leute nach Freiheit, nach Feiern ganz groß ist. Das ist total menschlich und nachvollziehbar und wahrscheinlich aus der individuellen Perspektive betrachtet gut. Infektiologisch ist das wahrscheinlich ein Problem, vor allen Dingen angesichts der Tatsache, dass Antigen-Schnelltests eine erhebliche Unsicherheit aufweisen. In geschlossenen Räumen, wenn dort Getränke verabreicht werden und auch gefeiert, getanzt, gesungen wird, befürchte ich, dass das nicht immer alles mit Masken abgeht. Masken wären an dieser Stelle eine unglaubliche Hilfe, vor allen Dingen schöne FFP2-Masken, die man vielleicht auch in das Kostüm integrieren kann. Für das Sars-CoV-2-Virus ist das jedenfalls eine Gelegenheit, sich auszubreiten. Die Effekte werden wir dann fünf bis sieben Tage später sehen.

Karneval also lieber noch einmal ausfallen lassen?

Wenn alle geimpft und geboostert sind, werden wir da keine schweren Krankheitsverläufe sehen, selbst wenn die sich untereinander anstecken. Und es ist ja in der Regel keine Population, die ein hohes Risiko trägt. Aber Menschen mit Begleiterkrankungen, die ein Risiko haben für einen schweren Krankheitsverlauf, sollten tatsächlich vielleicht Karneval eher am Bildschirm erleben, als dass sie sich jetzt ins Getümmel begeben.

Wann ist Zeit für eine Verschnaufpause bei Ihnen?

Ich glaube, wenn wir ins Frühjahr kommen, wird die Welle abflachen, dann kommt die ersehnte Verschnaufpause. Aber der Herbst kommt und der wird dann neue Fragezeichen aufwerfen.

Mit Uwe Janssens sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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