Messerattacke im Jobcenter Irene N. war ein Zufallsopfer
27.09.2012, 15:30 Uhr
Eine der Tatwaffen. Angeblich trug der Täter zwei Messer bei sich, von denen eines aber beim ersten Stich abbrach.
(Foto: dpa)
Ein 52-Jähriger tötet eine Sachbearbeiterin eines Jobcenters in Neuss mit drei Messerstichen. Nach Angaben der Polizei treibt ihn eine "absolute Nichtigkeit" zu seiner Tat an: eine Datenschutzerklärung. Offenbar ermordet er mit Irene N. zudem eine Frau, die damit überhaupt nichts zu tun hatte.
Die Sachbearbeiterin Irene N., die in einem Jobcenter in Neuss erstochen wurde, ist möglicherweise ein Zufallsopfer gewesen. Nach Angaben der Ermittler wollte der Tatverdächtige eigentlich einen Mitarbeiter eines anderen Instituts im selben Gebäude aufsuchen. Da dieser Sachbearbeiter offenbar nicht in seinem Büro saß, habe der 52-Jährige N. angegriffen und mit drei Messerstichen getötet.
Der Anlass für die Bluttat ist laut dem Leiter der Mordkommission, Guido Adler, eine "absolute Nichtigkeit" gewesen. Der abwesende Institutsmitarbeiter habe mit dem 52-Jährigen einen Lebenslauf erstellt. Dabei habe der Tatverdächtige auch eine Erklärung unterschrieben, dass seine Daten an andere Behörden weitergegeben werden dürften. Anschließend hat der geschiedene Vater von fünf Kindern nach eigenen Angaben Fernsehberichte gesehen, in denen es um einen möglichen Missbrauch persönlicher Daten ging. Dies habe den geständigen Verdächtigen "nicht zur Ruhe kommen lassen".
Nach mehreren schlaflosen Nächten habe er dann das Jobcenter-Gebäude in Neuss aufgesucht, um den Sachbearbeiter zur Rede zu stellen. Er führte zwei Messer bei sich.
Das Mordopfer Irene N. hatte lediglich in einem Projekt für die Betreuung von Arbeitslosen im Alter von über 50 Jahren mit dem Tatverdächtigen zu tun. Im März habe sie ihn an das benachbarte Institut, mit dem das Jobcenter nach eigenen Angaben eng zusammenarbeitet, weitervermittelt. "Es gibt keine Hinweise darauf, dass irgendein Problem zwischen diesen Beiden bestanden hat", sagte Adler.
Der mutmaßliche Täter hatte sich kurz nach der Messerattacke in unmittelbarer Nähe des Jobcenters widerstandslos festnehmen lassen. Den Ermittlern zufolge gibt er zwar die Tat zu, bestreitet aber eine Tötungsabsicht. Die Staatsanwaltschaft geht hingegen von einem vorsätzlichem Tötungsdelikt aus. Das Opfer sei "sowohl arg- als auch wehrlos" gewesen, sagte die Düsseldorfer Staatsanwältin Britta Zur. Auch habe die Leiche der 32-Jährigen keine Abwehrverletzungen aufgewiesen. Die Staatsanwaltschaft werde daher Haftbefehl wegen Mordes beantragen.
Polizeigewerkschaft fordert mehr Alarmknöpfe
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hat sich nach der tödlichen Attacke derweil für mehr Alarmknöpfe in Jobcentern ausgesprochen. "In Einzelfällen wären mehr Alarmknöpfe eine gute Idee und wir sollten über eine verstärkte Kameraüberwachung nachdenken", sagte GdP-Chef Bernhard Witthaut der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Ein Übergriff wie in Neuss könne jedoch nicht generell verhindert werden. Zugleich sprach sich Witthaut gegen Sicherheitsschleußen an den Eingängen aus. "Behörden zu Hochsicherheitstrakten zu machen, halte ich für den falschen Weg", sagte er. "Wir können nicht jede denkbare Situation durch bessere Technik absichern, sondern brauchen eine bürgernahe Verwaltung."
Auch die Gewerkschaft Verdi fordert eine Überprüfung der Sicherheitsmaßnahmen in allen vergleichbaren Einrichtungen. Kommunen und Bundesagentur für Arbeit müssten "unverzüglich die Sicherheitskonzepte der Jobcenter auf den Prüfstand stellen, damit sich solch ein schrecklicher Vorfall wie in Neuss nicht wiederholen kann", forderte Isolde Kunkel-Weber vom Verdi-Bundesvorstand.
Die Beschäftigten der Jobcenter seien immer wieder bedrohlichen Situationen ausgesetzt, sagte Kunkel-Weber. Deshalb müssten die Schutzmaßnahmen so ausgestaltet sein, "dass sie nicht um ihr Leben oder die Gesundheit fürchten müssen".
Keine Konsequenzen geplant
Die Bundesagentur für Arbeit (BA) plant allerdings vorerst keine unmittelbaren Konsequenzen. "Wir müssen immer über die Sicherheit in unseren Dienststellen nachdenken", sagte das für Hartz IV zuständige BA-Vorstandsmitglied Heinrich Alt am Rande der. "Ich bin aber auch der Meinung: Verhindern lässt sich sowas nicht, auch wenn man Sicherheitsvorkehrungen über das jetzt schon vorhandene Maße hinaus trifft", fügte Alt hinzu.
Ohnehin könne es wegen der unterschiedlichen örtlichen Gegebenheiten keine generellen Empfehlungen zur Sicherheit geben. "Einige Jobcenter sind Teil der Sozial- oder der Jugendämter", sagte Alt. Auch seien in denselben Gebäuden oft Firmen untergebracht. Die Sicherheit zu gewährleisten, obliege daher den jeweiligen Geschäftsführern der Jobcenter.
Nach Beobachtung der Deutschen Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen nehmen An- und Übergriffe auf Beschäftigte von Jobcentern zu. Bei einer Befragung von 500 Mitarbeitern im Jahr 2009 habe jeder Vierte angegeben, Opfer eines Übergriffs gewesen zu sein. Anlass seien häufig ablehnende Bescheide in Hartz-IV-Verfahren. Die komplizierte und oft schwer durchschaubare Gesetzeslage provoziere Wut und Verzweiflung.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP