Panorama

Vom Rosenkrieg zum Justizskandal Wie Gustl Mollath in der Psychiatrie landete

Das Ende einer Ehe, Steuermauscheleien bei einer Bank und ein Mann, der vielleicht ein wenig verschroben ist: Der Fall Mollath zeigt, wie ein Mensch in den Mechanismen des deutschen Rechtssystems schrecklich unter die Räder kommen kann.

Sieben Jahre lang war Gustl Mollath gegen seinen Willen und per Gerichtsbeschluss in der Psychiatrie untergebracht - nun ist er frei. Sein Fall sorgt seit Monaten für bundesweites Aufsehen. Der inzwischen 56-jährige Nürnberger war 2006 als gemeingefährlich in die Psychiatrie zwangseingewiesen worden. Unter anderem soll er seine Frau schwer misshandelt und Autoreifen aufgestochen haben.

Er bestreitet diese Übergriffe und betont jahrelang immer wieder seine Sicht der Dinge: Er sei das Opfer einer Verschwörung seiner Ex-Frau und der Justiz. In dem Verfahren zu seiner Einweisung wird ihm eine paranoide Gedankenwelt vorgeworfen, weil er angab, dass seine Frau bei der HypoVereinsbank Schwarzgelder in Millionenhöhe verschoben habe. Inzwischen belegen interne Prüfungen der HypoVereinsbank, dass ein Teil dieser Vorwürfe tatsächlich zutrifft. Demnach ist bereits seit März 2003 klar, dass "alle nachprüfbaren Behauptungen" Mollaths stimmen. Bei den illegalen Finanzgeschäften in der Schweiz handelte es sich einem Steuerfahnder zufolge allerdings um Alltagsschwindeleien einiger Bürger, nicht um einen gigantischen Schwarzgeldskandal.

Bei der Anhörung Mollaths in einem Landtags-Untersuchungsausschuss beklagt Mollath jedoch im Juni, dass weder Steuerfahnder noch Staatsanwälte damals auf seine schlüssigen Hinweise auf Schwarzgeldgeschäfte der HypoVereinsbank reagiert hätten. Mollath zufolge hat seine Ex-Frau anfänglich im Auftrag ihres Arbeitgebers - der HypoVereinsbank - illegal Schwarzgelder von Bankkunden in die Schweiz geschafft. Später habe sie hinter dem Rücken der Bank solche Transfers eingefädelt. Steuerfahndung, Staatsanwaltschaft und Richter werteten Mollaths Anzeige damals als Retourkutsche eines Spinners und legten sie zu den Akten.

Gewalt in der Ehe?

Mollaths Ex-Frau bestritt jüngst in einem Interview mit dem "Nordbayerischen Kurier", dass Schwarzgeld-Schiebereien jemals ein Thema zwischen ihr und ihrem Ex-Mann waren. Das Thema sei erst aufgekommen, nachdem sie ihn verlassen habe. Die Schiebereien selbst bestreitet sie nicht, ihre fristlose Kündigung hob die Bank jedoch auf, man einigte sich finanziell. Grund für die Trennung seien vielmehr wiederholte Gewaltausbrüche gewesen, sagt die Ex-Frau. Mollath selbst bestreitet bis heute, gewalttätig gewesen zu sein.

Doch im Mai 2003 wird Mollath wegen Körperverletzung angeklagt. Der Hauptbeweis ist ein ärztliches Attest. Es stammt aus dem Jahr 2002 und soll Verletzungen belegen, die Mollath seiner Ex-Frau ein dreiviertel Jahr zuvor zugefügt haben soll. Später stellt sich heraus: Nicht die Hausärztin erstellte das Attest, sondern ihr sie vertretender Sohn.

Erstmals wird Mollath im September 2004 in der Psychiatrie untergebracht, befristet für höchstens fünf Wochen, um ein Gutachten erstellen zu können. Danach ist er wieder ein freier Mann. Allerdings nicht mehr lange. Mehrere Gutachter attestieren Mollath wahnhafte Zustände, Mollath verweigert zumeist die Begutachtung. Wegen Schuldunfähigkeit wird er in dem Verfahren wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung frei gesprochen. Doch er gilt als gemeingefährlich, deshalb ordnet das Gericht seine zwangsweise Unterbringung in einer forensischen Psychiatrie an. Ein Psychiater, der mit ihm persönlich sprechen kann, sieht keine psychische Erkrankung.

Zahlreiche Verfehlungen

Aus dem Rosenkrieg des Ehepaares Mollath ist jedoch längst ein Justizskandal geworden. Vor allem das Landgericht Nürnberg-Fürth muss sich schwere Fehler vorhalten lassen. Zu dem für die Beweisführung so wichtigen Attest wurden keine Zeugen befragt. Auch gab es keine Begutachtung der darin beschriebenen möglichen Verletzungen durch einen Sachverständigen. Zeugen melden sich, weil sie nicht befragt wurden. Schöffen halten dem Vorsitzenden Richter vor, er habe dem Angeklagten Mollath kaum Gehör geschenkt, ihm gar das Wort verboten. Auch das Zustandekommen der verschiedenen psychiatrischen Gutachten wird immer wieder kritisiert. Die Rede ist von nicht eingehaltenen wissenschaftlichen Standards.

Im Jahr 2011 greifen die ARD und die "Süddeutsche Zeitung" den Fall auf. Immer neue Details kommen ans Licht. Ein Untersuchungsausschuss des bayerischen Landtages bringt weitere Versäumnisse an den Tag. So räumt der Richter, der Mollath verurteilte, ein, eine Verteidigungsschrift Mollaths gar nicht gelesen zu haben. Außerdem soll er mit dem jetzigen Ehemann von Mollaths Ex-Frau schon während des Prozesses gut bekannt gewesen sein.

Dadurch gerät auch die bayerische Justizministerin Beate Merk unter Druck. Die CSU-Politikerin verteidigt zunächst die Entscheidungen der Juristen, setzt sich dann jedoch ebenfalls für die Wiederaufnahme des Falles ein. "Das Freiheitsrecht der Menschen ist ein eminent wichtiges Gut", sagt Merk. Es dürfe in einem Rechtsstaat nur eingeschränkt werden, wenn es gar nicht anders geht und die gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen. "Im Fall Mollath sind daran Zweifel aufgekommen. Dies soll von der Justiz vor den Augen der Öffentlichkeit geklärt werden", erklärte Merk.

Verfassungsbeschwerde

Im März beantragt die Regensburger Staatsanwaltschaft die Wiederaufnahme. Doch noch immer kann Mollath die Psychiatrie nicht verlassen. Vielmehr kommt das Landgericht Bayreuth zu dem Ergebnis, von Mollath seien "weitere erhebliche rechtswidrige Taten" zu erwarten. Inzwischen demonstrieren Juristen für ein Wiederaufnahmeverfahren. Beim Bundesverfassungsgericht geht eine Verfassungsbeschwerde zu dem Fall ein.

Im Juli verwirft das Landgericht Regensburg zwei Wiederaufnahmeanträge als unzulässig. Die Urteilsfeststellungen des Landgerichts Nürnberg enthielten zwar Sorgfaltsmängel, erläutert die Regensburger Strafkammer. Für eine bewusste Sachverhaltsverfälschung ergäben sich keinerlei Anhaltspunkte. Für Mollath schien es keinen Ausweg mehr zu geben. Doch nun wendet sich das Blatt, das Oberlandesgericht Nürnberg beschließt die Wiederaufnahme des Prozesses gegen Mollath. Als Konsequenz daraus müsse er unverzüglich freigelassen werden, teilt das Gericht mit.

Auf seiner Webseite bezeichnet Mollath seine Haftzeit als "gestohlene Lebenstage". Es sind bisher 2717. Die von ihm errechneten Kosten dafür betragen für den bayerischen Steuerzahler 760.910 Euro.

Quelle: ntv.de

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