Politik

Isla Margarita als Einfallstor? Darum fürchtet Venezuela plötzlich einen Krieg gegen die USA

Demonstranten auf einer Kundgebung zur Unterstützung des venezolanischen Machthabers Nicolás Maduro.

Demonstranten auf einer Kundgebung zur Unterstützung des venezolanischen Machthabers Nicolás Maduro.

(Foto: REUTERS)

Die USA machen Jagd auf Drogenkartelle vor der Küste von Venezuela. Im Fokus stehen aber wohl eher der sozialistische Präsident Nicolás Maduro und die riesigen Erdölvorkommen. Ein Experte kann sich vorstellen, dass Trump seine Navy eine Blockade errichten lässt.

Donald Trump erhöht den Druck auf Venezuela. Dem südamerikanischen Land würden "unabsehbare" Konsequenzen drohen, sollte es sich weigern, Migranten aus psychiatrischen Einrichtungen in den USA zurückzunehmen, schrieb der US-Präsident auf seinem Online-Netzwerk "Truth Social".

Ob diese Sorge berechtigt ist, ist unklar. Die Wut auf Venezuela aber ist offensichtlich groß: Die USA haben vor wenigen Wochen Kriegsschiffe vor die venezolanische Küste geschickt, um angebliche Drogenschmuggler aufzuspüren und zu bekämpfen. Nach offiziellen Angaben wurden bereits 17 Menschen getötet. Venezuelas Regierung spricht von einem "nicht erklärten Krieg" der USA. Menschenrechtsbeobachter der Vereinten Nationen sehen Verstöße gegen das Völkerrecht und das internationale Seerecht.

Doch Donald Trump sieht sich im Recht. Der US-Präsident und seine Regierung werfen Venezuelas Staatschef Nicolás Maduro vor, ein Drogenkartell anzuführen und die USA mit Rauschgift zu fluten. Deshalb hat die amerikanische Marine vor der Küste eine kleine Flotte Kriegsschiffe stationiert. Außerdem ließ Trump Kampfjets in das US-Außengebiet Puerto Rico in der Karibik verlegen.

"Schwierig zu überwachendes Gebiet"

Eine angespannte Situation, sagt Christian Cwik. "Wir reden ja hier von fast 1000 Kilometern Karibikküste mit vielen vorgelagerten Inseln", sagt der Historiker an der Universität Klagenfurt und Direktor des Internationalen Zentrums für Atlantische Geschichte (ICAH) in Gibraltar im ntv-Podcast "Wieder was gelernt". "Es gibt den Inselring, der zieht sich vom Golf von Maracaibo bis nach Trinidad. Das ist ein schwierig zu überwachendes Gebiet, auch für Venezuela."

Cwik hat jahrelang in Südamerika geforscht, auch in Venezuela, wo er noch heute bestens vernetzt ist. "Wenn ich mit den Kollegen in Venezuela rede, ist die Stimmung angespannt. Da könnte etwas entstehen, das bislang noch nicht wirklich vorstellbar war, nämlich, dass die USA die Kontrolle über die vorgelagerten Inseln übernehmen könnten. Das geht bis zu dem Verdacht, dass möglicherweise die Isla Margarita von den Amerikanern besetzt werden könnte."

Die Isla Margarita ist die größte Insel vor der venezolanischen Küste, früher eine beliebte Touristeninsel, auch für Urlauber aus dem Westen. Die Insel ist etwas größer als Rügen. Sie liegt nur etwa 20 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernt.

Wenn die Amerikaner ihren Militäreinsatz vor Venezuela ausweiten wollen, wäre sie ein ideales Einfallstor. Eine Art Sprungbrett, um die Region unter Kontrolle zu bringen. Eine Landoperation der US-Streitkräfte in Venezuela schließt Cwik zwar aus. Die bräuchte es aber auch gar nicht, um Venezuela entscheidend zu schwächen. Von der Isla Margarita aus könnten die Amerikaner das Orinoco-Delta im Nordosten der venezolanischen Küste versperren. Von hier aus transportiert Venezuela große Mengen Erdöl in die Welt.

"Die US-amerikanische Navy könnte einen militärischen Sperrriegel errichten", sagt der Historiker. "Das ist gar nicht so abwegig, weil diese Gedanken schon des Öfteren in verschiedenen Papieren, vor allen Dingen in den Denkfabriken auf Puerto Rico, formuliert wurden."

Die Karibikregion unweit der venezolanischen Küste ist stark militarisiert. Der US-Außenposten Puerto Rico liegt zwar über 900 Kilometer entfernt. Doch auf der Insel Curacao gibt es einen Militärstützpunkt, den die USA mit nutzen dürfen, nur 70 Kilometer von der venezolanischen Küste entfernt. Curacao ist ein autonomes Land innerhalb des Königreichs der Niederlande, Verteidigung und Außenpolitik werden jedoch aus Den Haag und somit von einem Nato-Staat verantwortet.

Maduro fest im Sattel

Nicolás Maduro bezeichnet die US-Militärpräsenz in der Karibik als "größte Bedrohung der letzten 100 Jahre". Sollten die Amerikaner sein Land angreifen, will der venezolanische Machthaber "eine Republik in Waffen" ausrufen. Schon jetzt hat Maduro die Generalmobilmachung von 4,5 Millionen Milizionären angekündigt.

Die Botschaft ist klar: Maduro versucht, gegenüber den USA Stärke zu zeigen. Venezuela hat zuletzt mit einer Militärübung auf der kleinen Insel La Orchila, nordwestlich von Isla Margarita, auf die Manöver der Amerikaner reagiert.

Die Rahmenbedingungen könnten schlechter sein: Maduro sitzt vergleichsweise fest im Sattel, obwohl die USA ein 50-Millionen-Dollar-Kopfgeld auf ihn ausgesetzt haben. Wichtige Nachbarländer sind eher an Maduros Seite. "Wir haben in Brasilien mit Lula zwar keinen Busenfreund von Maduro, aber doch jemanden, der über die Brics-Staaten einen selbstbestimmten Süden einfordert. Im selben Atemzug würde ich Präsident Petro in Kolumbien nennen. Die Gemengelage könnte für Venezuela nicht besser sein", analysiert Cwik im Podcast. "Hinzu kommt Claudia Sheinbaum in Mexiko, die als dritte große lateinamerikanische Macht sicherlich nicht auf Seite der USA stehen würde."

Rohstoffe im Fokus

Dass es Donald Trump vorrangig um die Bekämpfung von Drogenkartellen geht, glaubt Cwik aber nicht. "Die Jagd auf Drogenbanden ist ein Vehikel, um auch aufklärerisch in der Gegend tätig zu sein." Zudem seien die Rohstoffe Venezuelas hochattraktiv für die USA. "Da geht es um Erdöl, um Uran, um Gold, um Silber, um Lithium."

Kein Land auf der Welt sitzt auf so viel Erdöl wie Venezuela. Die Produktion ist in den vergangenen Jahren aber stark eingebrochen. Der Grund dafür ist gigantisches Politikversagen. Maduro hat den staatlichen Erdölkonzern PDVSA zum verlängerten Arm seines Machtapparats gemacht. Amerikanische Sanktionen haben den Einbruch des Erdölsektors zusätzlich verstärkt.

Die amerikanischen Angriffe und Drohungen sind auch ein geopolitischer Kampf um Einfluss - die USA wollen ihre Stellung ausbauen, denn bisher macht vor allem China mit Venezuela Geschäfte. Peking bezieht Rohöl aus dem sozialistischen Land. China profitiert von Venezuelas Isolation auf dem Weltmarkt, kann trotz langer Transportwege besonders billig Öl kaufen. Chinas Einfluss im Land sei schon vor 20 Jahren, als Christian Cwik in Caracas gelebt und an der Universität gearbeitet hat, "tagtäglich gewachsen".

Die USA wollen keinen normalen Ölhandel mit Venezuela betreiben. Trump versucht, den venezolanischen Markt auszutrocknen, ist Cwik überzeugt. Dafür spricht auch, dass der US-Präsident eine Sondergenehmigung für den amerikanischen Konzern Chevron zur Ölförderung in Venezuela zurückgezogen hat. Joe Biden hatte die Konzessionen erteilt - im Gegenzug gab Venezuela dem damaligen Präsidenten das Versprechen, Wahlen abzuhalten. Trotz nachgewiesenem Wahlbetrug blieb die Erlaubnis zur Ölförderung bestehen.

Trump würde sicherlich trotzdem gerne auf die riesengroßen Ölreserven Venezuelas zugreifen. Wichtiger scheint den USA gerade aber ein Regimewechsel in Venezuela zu sein. Womöglich dienen die Militäraktionen gegen Drogenkartelle zur Vorbereitung.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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