Politik

Sommerinterview mit Kanzlerin ARD-Interviewer sind auch nur LeFloids

Die Kritik an LeFloids Interview hat vor allem gezeigt, auf welch hohem Ross die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen.

Die Kritik an LeFloids Interview hat vor allem gezeigt, auf welch hohem Ross die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten sitzen.

(Foto: dpa)

Tina Hassel und Rainald Becker empfingen die Kanzlerin zum Sommerinterview. Zwar haben sie journalistisch korrekt gehandelt und nachgefragt. Aber erfahren haben sie trotzdem nichts Neues. Angela Merkel hatte die Veranstaltung im Griff.

Ein junger Mann, der gerne vor der Kamera rumzappelt, Baseballkappen schätzt und mehr als zweieinhalb Millionen Fans bei Youtube hat, interviewt die Kanzlerin. Das Zwiegespräch wird rasch zum medialen Ereignis von nationaler Bedeutung hochgeschrieben. Florian Mundt alias LeFloid wird mit einer Erwartungshaltung konfrontiert, an der er nur scheitern kann. Frischfleisch für die Entrüstungskultur: Was, der Bursche hat seine eigene Meinung kundgetan und Angela Merkel mehrmals recht geben, keine kritische Distanz gezeigt?! Pfui Deibel! Er hat nie nachgehakt? Eben kein Profi! "Die Zukunft des politischen Journalismus kann das nicht sein", urteilte der Deutschlandfunk apodiktisch.

Eine Woche später folgt das Kontrastprogramm. Zwei gestandene ARD-Journalisten, Tina Hassel, Leiterin des Hauptstadtbüros, und Rainald Becker, sollen versuchen, was LeFloid nicht geschafft hat: Der Teflon-Kanzlerin Fragen stellen, die nicht an ihr abprallen. Die zwei haben zum traditionellen ARD-Sommerinterview geladen. Normalerweise eine Routineveranstaltung für alle Beteiligten. Die Journalisten fragen ach so kritisch - und Merkel antwortet ach so belanglos. Weil es sich um die Regierungschefin handelt, ist trotzdem mediales Interesse garantiert.

Halbe Stunde mit Merkel "verschenkt"

Doch dieses Jahr lohnte es, das Interview zu verfolgen. Denn einerseits gab es mit Abhören unter ziemlich besten Freunden, der Griechenland-Endlosschleife, Hass auf Deutschland und einer Streicheleinheit für ein palästinensisches Mädchen viel spannenden Gesprächsstoff. Andererseits hatte der Journalist Richard Gutjahr, der in der Chefredaktion beim Bayerischen Rundfunk arbeitet, LeFloids Merkel-Interview genüsslich zerpflückt. Gutjahr hob hervor, dass LeFloid kein Journalist sei, um ihn dann anhand journalistischer Kriterien vorzuführen. Der YouTube-Interviewer habe sich als "braver Stichwortgeber" hervorgetan, "der sich von der Bundeskanzlerin schnell einlullen lässt". Und: "Seine halbe Stunde mit Merkel verschenkt."

Nur allzu logisch, dass in Leserkommentaren die Forderung aufkam, die ARD - voran das bayerische Staatsfernsehen - möge sich doch an Gutjahrs Worten messen lassen. So war (und ist) es also Aufgabe von Hassel und Becker zu zeigen, wie unabhängiger, kritischer und scharf nachfragender Journalismus funktioniert. Sie hatten die Chance, die Befragung der Kanzlerin zu einem Höhepunkt im Sommerloch werden zu lassen, der zeigt, was für ein Glück es für eine Demokratie ist, einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu haben, mit dem (un)politischer Journalismus der Marke LeFloid nicht mithalten könne.

Eins zu Null für LeFloid

Nun muss man Hassel und Becker zubilligen, dass es unmöglich ist, einen Pudding namens Merkel an die Wand zu nageln. Aber misst man es an Gutjahrs Kritik an LeFloid, dann lässt auch die Performance der ARD-Angestellten zu wünschen übrig. Hassel versuchte zwar, die Kanzlerin gleich mit Frage eins zu bedrängen. Sie wollte wissen, ob Merkel die Bauchschmerzen der 65 Unionsabgeordneten, die gegen die neue Griechenland-Vereinbarung gestimmt hatten, verstehe. "Oder wird das zu einem Problem in der CDU?" Merkel antwortete, es sei "wie immer und schon oft in Krisenzeiten, dass die Mehrheit, die erforderlich ist, auch da ist - und das zählt". Damit gibt sich Hassel zufrieden.

LeFloid schaffte es zumindest zum Auftakt, Merkel für den Bruchteil einer Sekunde zu verunsichern, weil er die Kanzlerin mit seiner ersten Frage überraschte. Er berichtete, dass frühere Interviewanfragen gescheitert seien. "Warum jetzt und vor allem warum YouTube?" "Ja", sagte Merkel und holte tief Luft, was bei der Kanzlerin, die die Ruhe einer Schildkröte hat, einer Schnappatmung gleichkommt. Als sie die Fassung wieder erlangte, sagte sie: "Jetzt passt es einfach gut, weil wir den Dialog mit den Menschen in Deutschland begonnen haben."

"Jetzt ist dazu alles gesagt"

Das "Bohren" von Hassel und Becker geht so: Ob der Rauswurf Griechenlands eine Option sei? Merkel: "Es kommt darauf an, was man sich unter dem sogenannten Grexit vorstellt, denn den gibt es als solchen ja gar nicht." Existiert ein Plan B, wenn Alexis Tsipras nicht liefert? "Ich spekuliere wirklich zwei Tage nach der Abstimmung nicht, sondern wir verhandeln." Gibt es Differenzen zwischen ihr und Finanzminister Wolfgang Schäuble? "Ich habe nicht die Absicht, diese Diskussion weiterzuführen." Ob Europa in einer schweren Krise sei? "Ich sehe das anders." Fragen nach der Rolle der EZB, den weiteren Milliardenrisiken für die europäischen Steuerzahler und Deutschlands eigene Nonstop-Verstöße gegen die Maastricht-Kriterien - Fehlanzeige.

Einmal erklärte die Kanzlerin zum Euro-Debakel: "Ich habe gesagt, wir wollen stärker aus dieser Krise kommen." Die logische Nachfrage, ob Europa angesichts wachsender EU-Verachtung und nationaler Egoismen - LeFloid befragte Merkel immerhin nach ihrer Meinung zu einem "schleichenden, einer neuen Art von Nationalismus" in Deutschland - durch die Griechenland-Verhandlungen wirklich gestärkt sei, blieb aus. Bezeichnend war vor allem, als Becker fragte, ob die Grexit-Debatte der Koalition Schaden zugefügt habe? Merkel sprach nur über Griechenland und schloss mit: "Jetzt ist dazu alles gesagt. Und jetzt gucken wir mal nach vorne." Becker nickte leicht. Falls er überhaupt daran gedacht hatte nachzuhaken, nahm Hassel ihrem Kollegen die Chance dazu: Sie kündigte umgehend einen Einspieler an.

Gutjahr urteilte über das Zusammenspiel von Merkel und LeFloid: "Die geschickte Instrumentalisierung eines Youtube-Stars, von dem das Kanzleramt nichts zu befürchten hatte." Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Gutjahr zu Hassel und Becker äußert, tendiert gen null. Schade. Denn im Gegensatz zu LeFloid sind das Journalisten mit jahrzehntelanger Erfahrung. Was an News herauskam war, dass Merkel ihre Streicheleinheit für die junge von Abschiebung bedrohte Palästinenserin "in Ordnung" fand. Das aber hätte LeFloid auch zur Antwort bekommen, wäre der Vorfall vor seinem Gespräch mit Merkel passiert. Dessen Interview wurde übrigens schon mehr als drei Millionen Mal bei YouTube angeklickt. Das ARD-Sommerinterview der Kanzlerin 2014 auf demselben Portal bislang rund 4300 Mal.

Quelle: ntv.de

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