Rechtsruck im Süden Europas Alle Daten zur Parlamentswahl in Italien
26.09.2022, 22:49 Uhr
Vorgezogene Neuwahlen in Italien: Blick in den Plenarsaal in Rom.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Klarer Sieg für das rechte Lager in Italien: Die vorgezogene Parlamentswahl verändert die Macht- und Mehrheitsverhältnisse in Abgeordnetenkammer und im Senat. Neue stärkste Kraft sind die postfaschistischen "Brüder Italiens".
Italien hat gewählt: In der drittgrößten Wirtschaftsmacht der Europäischen Union zeichnet sich am Tag nach dem langen Wahltag ein klares Votum ab. Die Wahllokale schlossen am späten Sonntagabend erst um 23.00 Uhr, die Auszählung der Stimmen dauert an. Doch schon in der Wahlnacht sahen erste Prognosen und Hochrechnungen die Rechten vorn, das amtliche Zwischenergebnis bestätigt die neuen Macht- und Mehrheitsverhältnisse.
Das von der radikalen Partei "Fratelli d'Italia" (Brüder Italiens) angeführte Rechtsbündnis hat sich bei der Wahl in Italien die absolute Mehrheit der Sitze in beiden Kammern des Parlaments gesichert. Das bestätigten am Montagabend Zahlen des Innenministeriums.
Die Fratelli, die rechtspopulistische Lega und die konservative Forza Italia von Ex-Premier Silvio Berlusconi kommen demnach im Senat zusammen auf 112 der 200 Sitze, in der Abgeordnetenkammer auf 235 von 400. Mit der komfortablen Mehrheit kann die Rechtsallianz regieren, wenn sie sich wie erwartet auf eine Regierungskoalition einigt und von Staatspräsident Sergio Mattarella den Regierungsauftrag erhält.
Die Chefin der stärksten Einzelpartei Fratelli d'Italia, Giorgia Meloni, dürfte in dieser Konstellation Ministerpräsidentin werden. Das von den Sozialdemokraten angeführte Bündnis mit linken Parteien und Grünen kommt auf 39 Senatoren und 80 Abgeordnete. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die an jeder der drei Regierungen seit der letzten Parlamentswahl beteiligt war, muss zwar deutliche Verluste hinnehmen, kommt aber auf immerhin noch 28 Senatoren und 51 Abgeordnete.
Triumphieren kann vor allem eine: Giorgia Meloni, deren Fratelli sich im Vergleich zu 2018 erheblich verbesserten und die stärkste Kraft im italienischen Parlament aus der Wahl hervorgehen. Mehr als 50 Millionen Italienerinnen und Italiener im wahlberechtigten Alter waren am letzten Sonntag im September dazu aufgerufen, über die Neubesetzung der beiden Kammern der römischen Volksvertretung abzustimmen.
Melonis Allianz, der neben den postfaschistischen Fratelli auch die rechtspopulistische Lega und die konservative Forza Italia Silvio Berlusconis angehören, sicherte sich mehr als die Hälfte der Sitze im Parlament. Als Parteichefin der Fratelli d'Italia dürfte Meloni damit die erste Regierungschefin in Italien werden.
Der Wahlsieg der italienischen Rechten stützt sich vor allem auf Stimmgewinne für Meloni und ihre Postfaschisten. Die beiden Koalitionspartner der Fratelli - die rechtspopulistische Lega und die konservative Partei Forza Italia - rutschten in der Wählergunst dagegen ab. Parteienbündnisse werden in Rom aufgrund einiger Besonderheiten des italienischen Wahlrechts bereits vor dem Wahltermin geschmiedet.
Bereits am Morgen nach der Parlamentswahl hatte Giorgia Meloni den Regierungsauftrag beim rechten Lager unter Führung ihrer Partei beansprucht. Schon auf Grundlage der ersten Hochrechnungen lasse sich sagen, dass die Italiener an den Wahlurnen ein klares Zeichen gesendet hätten, hatte Meloni am frühen Montagmorgen in Rom erklärt.
Sie sprach von einer "Nacht des Stolzes" und einer "Nacht der Erlösung". Zu ihren Anhängern sagte sie, man sei nicht am Ort der Ankunft, sondern am Ort des Aufbruchs. Die Fratelli d'Italia waren bei der Parlamentswahl 2018 mit etwas mehr als 4,0 Prozent noch weitgehend unbedeutend gewesen.
Die Nationalistin, deren Fratelli eine Nachfolgepartei der von Faschisten und Mussolini-Getreuen gegründeten Bewegung MSI ist und die in ihrem Wappen noch heute eine an den Diktator erinnernde Flamme haben, sagte: "Wir müssen wieder stolz sein, Italiener zu sein."
Der Wahlsieg nach einem steilen Aufstieg in den vergangenen Jahren sei "nicht das Ziel, sondern der Anfang", sagte Meloni. Die 45-Jährige profitierte allerdings auch von einer ausgeprägten Politikverdrossenheit der Italiener.
Eine extrem niedrige Wahlbeteiligung von nur 63,9 Prozent - das sind 9 Prozentpunkte weniger als bei der Parlamentswahl 2018 - bedeutet einen Negativrekord. In manchen Regionen vor allem im Süden des Landes ging fast jeder zweite Erwachsene nicht zur Wahl.
Italien rückt mit diesem Wahlergebnis weit nach rechts: Auslöser für die vorgezogenen Neuwahlen war der Rücktritt von Ministerpräsident Mario Draghi im Juli.
Der frühere EZB-Chef hatte sich zu diesem Schritt entschlossen, nachdem sich drei Parteien aus seiner großen Koalition der Vertrauensfrage verweigert hatten. Draghi warf das Handtuch, Italien musste erneut wählen.
Meloni will, wenn sie - wie erwartet - in wenigen Wochen von Staatspräsident Sergio Mattarella den Regierungsauftrag bekommt und eine Exekutive zusammenbringt, konsequent gegen Mittelmeermigranten vorgehen, die Kriminalität härter bekämpfen und in Brüssel die Konditionen des Corona-Wiederaufbaufonds nachverhandeln.
Diese Ansätze hatte sie im Wahlkampf zumindest angekündigt. Außerdem versprach sie Steuersenkungen. Meloni ist gegen progressive Forderungen wie etwa das Recht auf Adoption durch gleichgeschlechtliche Partner. Genderthemen lehnt sie ab.
Das Ausland will nun streng auf die Entwicklung in Italien schauen. Die Sorge ist teilweise groß. "In Europa haben wir eine Reihe von Werten und natürliche werden wir aufmerksam sein, dass diese Werte hinsichtlich der Menschenrechte und des Rechts auf Abtreibung von allen respektiert werden", sagte etwa Frankreichs Premierministerin Élisabeth Borne.
Quelle: ntv.de, mmo/dpa