Grüner Subventionshammer der USA "Angst vor Chlorhühnern war ein großer Fehler"
02.03.2023, 15:11 Uhr
Auch in den USA ist Klimapolitik ab sofort salonfähig.
(Foto: REUTERS)
Der Inflation Reduction Act (IRA) ist ein gigantisches Klimaschutzpaket, das viele Arbeitsplätze kosten könnte. Denn die US-Regierung lockt mit Subventionen von beinahe 400 Milliarden Dollar für grüne Technologien vor allem europäische Unternehmen in die Vereinigten Staaten und gefährdet die hiesige Industrie. Die Ursache ist für Peter Liese schnell gefunden: Hätten die EU vor knapp zehn Jahren das Freihandelsabkommen TTIP abgeschlossen, gäbe es das Problem heute nicht, sagt er im "Klima-Labor" von ntv. Trotzdem kann sich der Europaabgeordnete der CDU nicht vorstellen, dass die USA der EU beim Klimaschutz den Rang ablaufen. Denn in Innovationsfonds, Corona-Wiederaufbaufonds oder auch Strukturfonds stecken ebenfalls Hunderte Milliarden Euro für erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Mit dem europäischen Emissionshandel gebe es zudem ein System, das eine Reduzierung des Verbrauchs anrege, sagt Liese. Aber auch der EU-Politiker muss zugeben: Das europäische Regelwerk ist anders, als das amerikanische, ein abschreckendes Durcheinander.
ntv.de: Als der IRA verabschiedet wurde, gab es in Europa viele Beschwerden. Sind die USA der neue Klimakrösus? Haben sie die EU als grünen Vorreiter abgelöst?

Peter Liese ist im Europaparlament federführend für Klimaregelungen wie den europäischen Emissionshandel zuständig.
(Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress)
Peter Liese: Es ist gut, dass Donald Trump nicht mehr US-Präsident ist und Joe Biden sich um Klimaschutz bemüht, aber Klimakrösus ist er mit dem IRA sicherlich nicht. Erstens ist er mit viel ambitionierteren Vorschlägen in die Debatte hereingegangen, als er später aus Senat und Repräsentantenhaus herausgekommen ist. Schon der Name IRA ist Ausdruck der Kompromisse, die er machen musste.
Zweitens hat sich Biden vorgenommen, die amerikanischen Emissionen bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Er wird aber wahrscheinlich weniger schaffen. Die EU hat sich vorgenommen, ihre Emissionen bis 2030 um 55 Prozent zu senken und wird wahrscheinlich mehr schaffen. Mit der beschlossenen Gesetzgebung stehen wir bei 57,5 Prozent. Am Ende wird die EU vier Tonnen CO2 pro Kopf emittieren und die Amerikaner immer noch zehn.
Dann ist der IRA also viel heiße Luft um nichts?
Nein, es ist eine Änderung der amerikanischen Politik. Es gibt endlich einen Präsidenten, der das Thema anpackt. Aber sowohl die Instrumente als auch die Ziele sind nicht ausreichend. In Europa würden wir von allen, die sich für Klimaschutz interessieren, vom Hof gejagt, wenn wir mit solch bescheidenen Zielen ankämen. Die USA fordern uns aber heraus, was Arbeitsplätze und die Industrie angeht.
Entsteht der Eindruck, dass die USA Europa den Rang ablaufen, weil die Vereinigten Staaten diesen Schritt genau in der Phase gehen, in der in Europa nach dem Angriff auf die Ukraine und die Energiekrise an vielen Stellen andere Prioritäten gesetzt werden?
In Europa müssen wir aktuell russisches Gas ersetzen - auch mit Kohle, deswegen nehmen wir Rücksicht auf Verbraucherinnen, Verbraucher und die Industrie. Wir haben uns als EU aber nicht nur zu den 2030er-Zielen bekannt, sondern sie im Bereich Landnutzung, Forstwirtschaft und Emissionshandel sogar verschärft. Ab 2027 werden die Anstrengungen insgesamt noch einmal erhöht. Jeder, der jetzt nicht investiert, muss sich also in zwei oder drei Jahren auf einen scharfen Wind einstellen.
In den USA gibt es durch den IRA ab sofort viele Anreize für Investitionen, die für die Energiewende nötig sind. Aber man muss unterscheiden zwischen Investitionen und Reduktionen. Natürlich brauchen wir Batterien, Elektromobilität und klimaneutrale Stahlproduktion. Wir brauchen aber auch Vorgaben für Unternehmen und Mitgliedstaaten oder Anreize für Verhaltensänderungen wie den Emissionshandel. Das haben die Amerikaner nicht, es gibt nur dieses Investitionspaket.
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Es handelt sich um ein Technologiepaket und man verlässt sich darauf, dass neue Batterien und Wasserstoff funktionieren? Es geht nicht darum, den CO2-Ausstoß abseits davon zu reduzieren?
Ja, der IRA ist ein sehr grobes Instrument. Die Investitionen, die Joe Biden anstößt, ändern überhaupt nichts daran, ob Menschen Fahrgemeinschaften bilden, mehr mit dem Fahrrad fahren oder andere Dinge tun, um Emissionen einzusparen. Deswegen sollten diese Anreize in einer idealen Welt mit Regulierung kombiniert werden. In Europa gibt es solche Ansätze. Der Emissionshandel gibt genau vor, wie viele Zertifikate und somit Tonnen CO2 bis 2030 noch emittiert werden dürfen, und hebt damit alle möglichen Potenziale. Und wenn es darum geht, Geld zu sparen, ist die Kreativität der Menschen unendlich. Aber insgesamt ist unser System zu unübersichtlich und kompliziert.
Es sind zwei grundlegend unterschiedliche Herangehensweisen, kann das sein? Die USA sagen, wir müssen diese Technologien erst entwickeln und buttern deswegen fast ungedeckelt Hunderte Milliarden in die Erforschung. Sobald diese Technologien am Start sind, gucken wir, welche weiteren Reduktionen wir brauchen. Europa dagegen setzt sich Ziele, um Emissionen zu senken, weiß aber gar nicht so genau, wie man das eigentlich schaffen will.
Da ist was dran. Wir als christdemokratische Fraktion im EU-Parlament unterstützen das "Fit for 55"-Paket der EU-Kommission, kritisieren aber, dass viele Antworten fehlen. Zum Beispiel wollen wir die Stahlindustrie dekarbonisieren, wissen aber nicht, wo der Wasserstoff dafür herkommen soll. Und die finanziellen Mittel, die wir in Europa dafür bereitstellen, sind schwer zu durchschauen. Die Antragstellung ist kompliziert, das macht der IRA viel besser. Der IRA enthält aber auch viel "America first". Europäische Produzenten dürfen gar nicht auf den amerikanischen Markt, selbst wenn sie die besseren Produkte herstellen. Unsere Antwort darauf sollte aber nicht "Europe first" sein, sondern - so hat es ein Kollege formuliert - "Europe fast": Wir müssen Genehmigungsverfahren beschleunigen und entschlacken, Bürokratie abbauen und einfacher fördern. Mitte März will die EU-Kommission dazu einen Vorschlag präsentieren.
Der IRA sorgt also für zwei Probleme: Er lockt Unternehmen an, die von vornherein sagen, wir bauen unsere neue Fabrik lieber in den USA, weil wir da mehr Geld bekommen. Außerdem wird europäischen Unternehmen der Marktzugang erschwert. Richtig?
Richtig. Bestimmte Technologien werden im schlimmsten Fall nicht mehr in Europa, sondern nur noch in den USA produziert. Zudem gibt es vor allem für uns als Exportnation die Herausforderung, dass wir unsere Produkte weiter in die USA liefern dürfen. Die Amerikaner schließen europäische Firmen tatsächlich aus, selbst wenn sie die besseren Produkte entwickeln. Damit wird der Klimaschutz aber auch in den USA teurer.
Rückblickend war es ein großer Fehler, dass wir das Freihandelsabkommen TTIP nicht verabschiedet haben. Denn Kanada und Mexiko dürfen auch nach IRA-Regeln weiter in die USA liefern, die profitieren von dem Gesetz. Europa nicht. Wir müssen um jeden Schritt kämpfen. Das wäre mit einem Freihandelsabkommen nicht passiert. Und wenn man unsere heutigen Probleme in China und Russland mit den TTIP-Problemen vergleicht … damals haben wir über Chlorhühnchen diskutiert!
Fürchten Sie denn, dass durch den IRA tatsächlich Arbeitsplätze in Deutschland und Europa verloren gehen? Denn viele Unternehmen nehmen das Angebot natürlich gerne an und sagen: Liebe EU, liebe Bundesregierung, gebt uns ebenfalls Milliardenhilfen oder wir bauen die nächste Fabrik in den USA!
Wir müssen sehr vorsichtig sein und dürfen das auf keinen Fall ausschließen. Die deutsche Wirtschaft hat einen extrem hohen Exportanteil. Wenn wir in Zukunft nur noch von dem leben dürfen, was der deutsche Markt hergibt, ginge es uns ziemlich schlecht. Als Exportnation müssen wir darauf setzen, dass wir unsere Produkte auch in den USA und anderen Teilen der Welt verkaufen dürfen.
Wenn man mit den Unternehmen spricht, sagen die aber schon, dass die Energiepreise in den USA viel geringer sind und es insgesamt einfacher ist zu investieren. Auch der Fachkräftemangel ist dort noch nicht so prekär.
Es gibt sehr viele Menschen, die gerne in Deutschland arbeiten möchten und auch schon einen Arbeitgeber gefunden haben, aber dann zieht sich das Verfahren extrem hin. Es ist fast leichter, illegal als Asylbewerber nach Deutschland zu kommen, als legal als Fachkraft aus einem Drittland. Das ist pervers. Das müssen wir dringend ändern.
Auch die Energiepreise sind eine Riesenherausforderung. Ein großer Grund dafür, warum die USA nicht davon betroffen sind und das Gas sehr günstig ist: Sie produzieren ausreichend Gas zu Hause. Ich glaube aber nicht, dass wir deswegen ins Fracking einsteigen sollten. Stattdessen sollten wir weiter in erneuerbare Energien und Energieeffizienz investieren. In der Wirtschaft erlebe ich bei diesen Themen einen kompletten Stimmungswandel. Vor fünf Jahren haben uns die Industrie- und Handelskammern deswegen noch beschimpft, jetzt kann es ihnen gar nicht schnell genug gehen, weil sie sehen, dass das einseitige Setzen auf russisches Gas ein Irrweg war. Und langfristig gesehen ist eine Wirtschaft mit erneuerbaren Energien und Energieeffizienz sowieso kostengünstiger.
Sie klingen gerade wie Claudia Kemfert.
Das stimmt. Diese Ideen habe ich auch nicht alleine. Viele Politiker und Wissenschaftler haben früh gewarnt. Es ist nicht so, dass sich alle geirrt haben. Aber jetzt stehen wir vor dieser Herausforderung und müssen Gas geben. Wir sind aber zum Beispiel bei der Windkraft auf einem guten Weg, das europäische Recht so zu ändern, dass man Windräder innerhalb von einem Jahr komplett genehmigen kann und nicht jedes einzelne eine Umweltverträglichkeitsprüfung braucht. Da müssen wir besser und schneller werden, auch wegen der Kosten.
Liegt diese Entwicklung am IRA oder am Krieg?
Das war schon eher der Krieg. Mit dem russischen Angriff auf die Ukraine war klar, dass das Geschäftsmodell mit dem billigen Gas vorbei ist. Ein positiver Aspekt des IRA ist aber sicherlich, dass sich Unternehmen jetzt Gedanken machen, wie sie grüne Technologien möglichst schnell entwickeln und auf den Markt bringen können, weil sie wissen, jemand anderes könnte schneller sein.
Auch die Politik überlegt, wie man am besten reagiert: Wir haben in der EU eine ganze Menge bestehender Fonds. Es gibt den Innovationsfonds, der auf mehr als 50 Milliarden Euro aufgestockt wurde. Bei den aktuellen Preisen im Emissionshandel sind es sogar fast 60 Milliarden. Wir haben durchgesetzt, dass die Einnahmen der Mitgliedstaaten aus dem Emissionshandel - das sind 450 Milliarden Euro - zielgerichtet ausgegeben werden müssen. Dann haben wir noch etwa 250 Milliarden im Corona-Wiederaufbaufonds. Gerade haben wir Repower beschlossen, wo es ebenfalls um einen erheblichen Milliardenbetrag geht. Und aus dem Strukturfonds soll ebenfalls ein Drittel des Geldes für Klimaschutz ausgegeben werden. In Nordrhein-Westfalen wird allein die Dekarbonisierung von Stahl bei Thyssenkrupp mit 700 Millionen Euro gefördert. Das dürfen wir nie unter den Tisch fallen lassen. Aber diese Hilfen sind unübersichtlich. Das muss man vereinfachen, damit jede Firma sofort weiß: Dieses Angebot habe ich aus den USA. Was bietet mir Europa?
Das klingt nach einem gesunden Wettbewerb. Das wäre im Sinne des Klimas doch nicht verkehrt? Vor allem, wenn man es schafft, mit den USA gemeinsam einen Markt zu entwickeln.
Zumindest bei dieser US-Regierung ist ein guter Wille erkennbar. Der Dialog ist viel besser als zu Donald Trumps Zeiten. Das Problem sind vor allem diese protektionistischen Tendenzen und der Grundfehler, dass wir kein Freihandelsabkommen haben. Denn wir wissen nicht, wer der nächste US-Präsident wird, uns kann noch viel Schlimmeres blühen. Aber wenn es uns durch intensive Diplomatie gelingt, diese Probleme zu lösen, ergeben sich daraus auch langfristige Lösungen.
Mit Peter Liese sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
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Quelle: ntv.de