Politik

Attentäter in Toulouse umzingelt Polizei schaltet Strom ab

Mohammed Merah auf einem Bild, das der Fernsehsender France 2 verbreitete.

Mohammed Merah auf einem Bild, das der Fernsehsender France 2 verbreitete.

(Foto: AP)

Auch nach fast 20 Stunden liefert sich der Attentäter von Toulouse noch immer einen zermürbenden Nervenkrieg mit der Polizei. Ungeachtet aller Beteuerungen, er wolle aufgeben, wehrt sich der Mann mit Waffengewalt gegen seine Festnahme. Zwischendurch spricht er mit der Polizei, gesteht die ihm zugeschriebenen Morde und betont, er habe weitere Taten geplant. Das Spezialkommando vor Ort spielt nun auf Zeit, denn seinen Märtyrertod plant der Mann offenbar nicht.

Der hat sich zu den drei Angriffen bekannt, bei denen in den vergangenen Tagen sieben Menschen starben. Mohammed Merah habe sich als Einzeltäter ausgegeben, sagte der Staatsanwalt von Paris, François Molins, in Toulouse.

Der algerischstämmige Franzose, der sich seit mehr als zwölf Stunden in seiner Wohnung verschanzt hält, wolle sich aber bald ergeben, sagte der französische Innenminister Claude Guénant dem Fernsehsender TV1. "Die Bedingungen für seine Aufgabe werden diskutiert." In dem Stadtviertel von Toulouse wurde gegen 21.00 Uhr die Straßenbeleuchtung gelöscht.

Der französische Verteidigungsminister Gérard Longuet sagte hingegen dem Fernsehsender BFMTV, die Belagerung des Hauses könne noch die Nacht hindurch dauern. "Noch Tage - nein. Es gibt eine körperliche, nervliche Ermüdung", sagte Longuet. Er unterstrich das Ziel der Sicherheitskräfte, Merah lebend zu ergreifen, um ihn vor Gericht stellen zu können und seine Motive zu ergründen. Merah habe gesagt, "dass er keine Märtyrer-Seele hat, er zieht es vor zu töten und selbst am Leben zu bleiben", hatte Molins zuvor dazu gesagt.

Merah hatte im Gespräch mit Polizisten auch zugegeben, dass er am Mittwoch einen Anschlag gegen einen weiteren Soldaten geplant habe. Zudem habe Merah zwei Polizisten erschießen wollen, sagte Molins. Er habe im Gespräch mit Polizisten bedauert, bisher nicht noch mehr Menschen getötet zu haben. Merah habe sich gerühmt, Frankreich auf die Knie gezwungen zu haben.

Stürmung bisher gescheitert

Die Eliteeinheit Raid

Die Spezialeinheit Raid (Recherche Assistance Intervention Dissuasion) ist eine Einheit der französischen Polizei. Ihre Aufgabe ist die Bekämpfung des Terrorismus. Sie kümmert sich um die Sicherheit von Kernkraftwerken und anderen wichtigen öffentlichen Einrichtungen. Auch ist sie zuständig für den Schutz offizieller ausländischer Besucher und kommt bei Flugzeugentführungen zum Einsatz.

Die Polizei-Eliteeinheit RAID habe im Laufe des Tages mehrfach versucht, in die Wohnung einzudringen, ergänzte Molins. Jedesmal seien die Polizisten mit Schüssen aus schweren Waffen zurückgedrängt worden. "Als sich die Polizisten seiner Tür näherten, hat er sofort durch die Tür geschossen." Ein Beamter habe einen Knieschuss erlitten, einen zweiten Polizisten habe die schusssichere Westen vor schweren Verletzungen bewahrt. Innenminister Guéant hatte bereits am Vormittag angekündigt, dass Merah lebend gefasst werden solle. Offensichtlich setzen die Elitepolizisten nun darauf, dass der Mann irgendwann erschöpft kapituliert oder mit wenig Risiko überwältigt werden kann.

Der frühere Kommandeur der deutschen GSG 9, Ulrich Wegener, zeigte sich bei n-tv überzeugt, dass Merah nicht mehr lange durchhalten könne. Wegener lobt die französische Eliteieinheit RAID, die für diesen Einsatz bestens ausgestattet und ausgebildet sei. Zu möglichen taktischen Überlegungen seiner Kollegen wollte sich Wegener allerdings nicht äußern. Wegener zeigte sich jedoch erstaunt, dass der Überraschungsangriff in der Nacht nicht gelungen sei. "Bei der Vorgeschichte des Mannes hätte man auf alles gefasst sein müssen."

Die Ermittler fanden inzwischen den Motorroller, mit dem der Mann nach seinen tödlichen Angriffen in den vergangenen Tagen geflohen war. Es werde aber noch nach einem Renault Clio gesucht, in dem möglicherweise Waffen deponiert worden seien. Gefunden wurde demnach auch die Kamera, die der Verdächtige bei seinen Taten bei sich hatte.

Gefahr im Verzug

Die Polizei hat das gesamte Viertel abgeriegelt.

Die Polizei hat das gesamte Viertel abgeriegelt.

(Foto: REUTERS)

Die Polizei hatte den Mann in der Nacht ausfindig gemacht und belagert seither das Haus, in dem sich der 23-Jährige verschanzt hält. Der algerischstämmige Franzose soll in den vergangenen Tagen im Großraum Toulouse sieben Menschen getötet haben. Nach Angaben der Behörden gab der Mann Auslandseinsätze der französischen Armee und Rache für den Tod palästinensischer Kinder als Motiv an.      

Bisher zeichnet sich kein Ende der Konfrontation ab. Verwirrung gab es zwischenzeitlich über eine vermeintliche Festnahme, über die zwei Fernsehsender berichteten. Innenminister Guéant ließ den Zugriff jedoch umgehend dementieren. Die Polizei-Eliteeinheit RAID hatte nachts um drei Uhr zugeschlagen und das Mehrfamilienhaus im Viertel la Croix-Daurade von Toulouse umzingelt, in dem Merah sich aufhielt.        

Das Haus in Toulouse wurde von Hunderten Polizisten belagert. Die Bewohner des Hauses wurden von der Polizei in Sicherheit gebracht. Sie erhalten psychologische Hilfe. Sicherheitskräfte stellten im ganzen Viertel das Gas ab, um eine mögliche Explosion zu verhindern. Guéant erklärte, der Mann habe eine Uzi-Maschinenpistole, ein Kalaschnikow-Sturmgewehr und weitere Waffen bei sich. Im Tausch gegen ein Mobiltelefon habe der Verdächtige aber einen großkalibrigen abgegeben. Eine Waffe dieser Art wurde bei allen drei Anschlägen verwendet.          

Versagte der Geheimdienst?

Inzwischen kommen immer mehr pikante Details ans Licht. Offenbar wurde der Franzose algerischer Herkunft schon seit Jahren vom französischen Inlandsgeheimdienst DCRI beobachtet. Merah war unter anderem wegen Reisen nach Afghanistan und Pakistan schon länger im Visier der Sicherheitsbehörden. Zuletzt sei er Ende 2011 in Afghanistan gewesen, aber wegen einer Hepatitis-Erkrankung nach Frankreich zurückgekehrt. Bei seinen Reisen sei aber nie ein Anzeichen dafür entdeckt worden, dass der Mann ein Verbrechen planen könnte, sagte Guéant. Bei einer Vernehmung im November 2011 hatte Merah demach erklärt, er sei als Tourist unterwegs gewesen.

Nach Angaben der afghanischen Behörden wurde Merah bereits 2007 in dem Land festgenommen, weil er Bomben gelegt haben soll. Er sei aber bei einer Massenflucht im darauffolgenden Jahr aus dem Gefängnis entkommen, sagte der Direktor des Gefängnisses von Kandahar, Ghulam Faruk. Der Verdächtige hat zudem offenbar Verbindungen zu Salafisten- und Dschihadisten-Gruppen.

Merah hatte er schon früher Verbrechen auf französischem Boden begangen, einige mit Gewalt. Wegen seiner zahlreichen Vorstrafen, unter anderem wegen Diebstahls, wurden auch zwei Bewerbungen bei der französischen Armee abgelehnt.

Ermittler setzen Puzzle zusammen

Die Polizei kam dem Mann durchs Internet auf die Spur. Das erste Opfer war mit seinem mutmaßlichen Mörder über eine Internet-Verkaufs-Plattform in Kontakt getreten. Das Opfer hatte sein Motorrad verkaufen wollen und die geringe Kilometerleistung mit längeren beruflichen Auslandseinsätzen als Soldat erklärt. Der Täter hatte mit ihm per Mail einen Treffpunkt vereinbart. Die von Polizeiermittlern identifizierte IP-Adresse gehörte zu einem Computer, der der Mutter des Tatverdächtigen gehört. Die Mutter habe bereits seit Längerem wegen ihrer Nähe zu radikalen Salafisten unter Beobachtung der Ermittler gestanden.

Zudem soll ein Yamaha-Händler berichtet haben, dass ein Kunde sich ein paar Tage zuvor informiert habe, wie man den Chip für die Satelliten-Verfolgung des Motorrollers deaktivieren könne. Der Täter war mit einem Motorroller dieser Marke unterwegs gewesen.

Angehörige festgesetzt

Die Polizei nahm auch mehrere Menschen fest, darunter die beiden Schwestern und Brüder des Mannes sowie die Mutter. Einer der Brüder sympathisiert wie der Verdächtige mit den extremistischen Salafisten. Im Auto eines Bruders wurde Sprengstoff gefunden. Die Mutter des Mannes war noch am frühen Morgen von der Polizei an den Einsatzort gebracht worden, allerdings wollte sie keinen Kontakt mit ihrem Sohn aufnehmen. Außerdem setzten Sicherheitskräfte an einem anderen Ort  einen weiteren Mann fest, der ebenfalls in Zusammenhang mit den Attentaten von Toulouse gebracht wird.

Der Terrorismus-Experte, Michael Ortmann, warnte bei n-tv vor voreiligen Schlüssen. Ob der verschanzte Mann tatsächlich zu Al-Kaida gehöre, sei noch nicht klar, auch wenn er sich selbst dazu bekenne. "Man muss immer, was die Beweggründe anbelangt, sehr sehr vorsichtig sein", so Ortmann. Allerdings könnten die jüngsten Anschläge in Frankreich durchaus in die neue Strategie der "kleinen Nadelstiche" von Al-Kaida passen. Schließlich seien größere Attentate wie die vom 11. September 2001 heute kaum mehr möglich, dazu sei der Druck der Behörden zu groß.

Kaltblütige Kopfschüsse

Am waren vor der jüdischen Schule in Toulouse drei Kinder und ein Lehrer erschossen worden. Am Donnerstag zuvor hatte in , 50 Kilometer von Toulouse entfernt, offenbar derselbe Täter zwei Fallschirmjäger erschossen. Bei seinem ersten Angriff am 11. März hatte er in Toulouse einen Fallschirmjäger in Zivil getötet. Der Täter trug immer einen Motorrad-Helm und blieb deshalb unerkannt.

In wurden inzwischen die vier Opfer des Mordanschlags auf die jüdische Schule beerdigt. Hunderte Trauergäste versammelten sich auf dem Friedhof, darunter auch der französische Außenminister Alain Juppé. Die Leichen waren in der Nacht per Flugzeug nach Israel gebracht worden. Im französischen Montauban fand eine statt, an der auch Staatspräsident Nicolas Sarkozy teilnahm.

Quelle: ntv.de, sba/AFP/rts/dpa

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