Bern bellt Arme Schweizer und deutsche Esel
02.04.2012, 11:22 Uhr
Kein Thema beschäftigt das Schweizer Boulevard derzeit so sehr wie der Steuerstreit.
Seit Jahren echauffiert sich die deutsche Politik über das "Steuerhinterzieher-Paradies" Schweiz. Jetzt hat Bern auch noch Haftbefehl gegen drei Beamte aus Nordrhein-Westfalen erlassen, weil sie Schwarzgeldkonten aufdecken wollten. Ein Skandal – zumindest aus deutscher Sicht. Doch was denken eigentlich die Schweizer darüber?
Eigentlich sind die Schweizer ein ziemlich friedvolles Volk. Doch die jüngste Steuerdebatte zwischen Berlin und Bern löst heftige Reaktionen im Alpenland hervor. Die dominierenden Schweizer Medien und viele Bürger sehen sich nicht als Täter, sondern als Opfer deutscher Hetze. Schließlich stimmten auch die Bundesbürger markige Töne an. Deutsche Politiker fordern das , Gewerkschaften nennen die Haftbefehle "grotesk".
Die Webseite des "Blicks" eröffnet die Jagd auf Spitzenpolitiker aus der Bundesrepublik: "Wann kommt der erste Haftbefehl gegen einen Deutschen Minister?", fragt das Internetportal des Schweizer Boulevard-Blattes. Denn dass die Schweiz gegen , weil sie am Kauf einer CD mit Steuersünderdaten beteiligt waren, reicht dem Blatt nicht. "Ihr oberster Chef ist Finanzminister Norbert Walter-Borjans", heißt es auf der Seite: "Wenn sich die Beamten in seinem Auftrag schuldig gemacht hätten, müsste eigentlich auch er ins Visier des Bundesanwalts geraten."
Der "Blick" lässt auch seine Leser zu Wort kommen. Eine Umfrage zeigt, dass mehr als 70 Prozent von ihnen die Haftbefehle für gerechtfertigt halten: "Die Schweiz muss sich nicht alles gefallen lassen", sagen sie. Etliche Politiker teilen ihre Meinung: "Wir haben in der Schweiz Gewaltentrennung. Wenn der Staatsanwalt der Meinung ist, dass Schweizer Recht verletzt wurde, dann hat er absolut richtig gehandelt", so der Präsident der Christlichdemokratischen Volkspartei (CVP), Christophe Darbellay. Auch der Finanzexperte der Schweizerischen Volkspartei (SVP) Hans Kaufmann findet das Vorgehen seiner Landes "sehr korrekt".
Selbst die hoch seriöse Neue Zürcher Zeitung (NZZ) erwartet von den Deutschen mehr Mitgefühl für das Verhalten der Schweizer Bundesanwaltschaft. Zugleich wirft das Blatt der deutschen "Politikerkaste" in dem Streit mangelnde Rationalität vor. "Man trompetet im Namen einer sehr deutsch empfundenen 'Gerechtigkeit', die immer und ausschließlich als Verteilungsgerechtigkeit definiert wird, seine 'Entrüstung' hinaus, immer natürlich auf den Wähler schielend, der die Schweiz in den Medien des Mittelmaßes meist als moralisch minderwertiges Steuerparadies kennenlernt, das seinen Wohlstand nicht Fleiß, industrieller Exzellenz und demokratischer Ordnung, sondern der Hehlerei verdankt."
Feindbild Steinbrück
Besonders schmerzlich für das Schweizer Blatt ist es offenbar, dass der frühere Finanzminister Peer Steinbrück sich in die Debatte eingemischt hat. Der SPD-Politiker empörte die Schweizer schon einmal, als er das Verhältnis zwischen Bern und Berlin auf einen umstrittenen reduzierte. Nun warf Steinbrück der Schweiz vor, durch die Haftbefehle Ursache und Wirkung zu vertauschen. Was die Steuerfahnder taten, sei nur eine Wirkung davon, dass die Schweiz zum Steuerbetrug einlade, so Steinbrück. Die NZZ wertet das als "durchsichtiges Wahlkampfgetöse".
Der wohl heftigste verbale Angriff kommt derweil von der Baseler Zeitung. Das Blatt ersetzt den Kavallerie-Indianer-Vergleich durch eine Sack-Esel-Parabel.
Schon vor Tagen mokierte sich die Zeitung über Deutschlands "leidenschaftliche Abneigung" gegen das Schweizer Bankgeheimnis. "Linke Kreise" würden versuchen, das geplante Steuerabkommen mit der Schweiz zu verschleppen. , die dafür kämpfen, dass die Schweiz bei dem Abkommen die Annonymität von Steuersündern aufhebt. Angeblich geht es der deutschen Politik dabei aber nur um eines: um dreiste Wählertäuschung. Schuld daran, dass viele Deutsche ihr Schwarzgeld in der Schweiz bunkern, seien schließlich die deutschen Politiker. Sie haben die Steuerflucht laut dem Blatt mit "tollkühnen Ausgaben" und einer "weltfremden Steuerpolitik" angeheizt. Ihren Wählern hätten sie dagegen vorgegaukelt, allein die Schweiz sei Schuld. Das Blatt schreibt: "Man schlägt den Sack und meint den deutschen Esel."
Gemäßigte Töne
Ganz so schrill und einseitig, wie die Kritik aus der Schweiz zunächst erscheint, ist sie letztlich nicht. Wer sich nicht von den Schlagzeilen blenden lässt, entdeckt auch gemäßigte, gar selbstkritische Töne. Ein Leser der Baseler Zeitung schreibt: "Da bricht eine Bank strategisch Gesetze, bereichert sich schamlos am Vermögen, das andernorts fehlt, um Sozialwerke und Löhne zu bezahlen, und wenn alles auffliegt, werden sie nicht etwa bestraft, nein, sondern verteidigt." Der Leser ärgert sich darüber, dass diejenigen, die der Bank, der Credit Suisse, ihr "kriminelle Verhalten" nachweisen, mit einer politischen Anklage zermürbt werden. "Die Schweiz ist regiert von, für und durch die Banken!", so sein Fazit.
Eine Meinung, die selbst der stellvertretende Chefredakteur des "Blicks" teilt: "Tresor zu sein für möglichst alle, die ihren eigenen Staat betrügen, war lange Zeit ein Geschäftsmodell. Jetzt ist es keines mehr", schreibt er in einem Kommentar. Die Gesetzte, die es erlauben, nun deutsche Steuerfahnder anzuklagen, seien Zeugnisse aus dieser überholten Weltsicht.
Quelle: ntv.de, ieh