Militärjets und Artillerie gegen Rebellen Assad startet Großoffensive
28.07.2012, 23:38 Uhr
Ein Poster mit Assad in Aleppo.
(Foto: REUTERS)
Es soll die "Mutter aller Schlachten" werden. Und zumindest eines ist schon klar: Die Großoffensive von Assads Truppen gegen die Aufständischen in Aleppo wird in einem Blutbad enden. Aktivisten sprechen von den schwersten Kämpfen seit Beginn der Revolte 2011. Die Regierung nennt die Gefechte lieber eine "Operation zur Säuberung Aleppos".
Die seit Tagen erwartete der syrischen Regierungstruppen gegen die Aufständischen in der Millionenmetropole Aleppo hat begonnen. Unterstützt von Militärjets, Hubschraubern und schwerer Artillerie rückten Panzer und Soldaten gegen die Stellungen der aufständischen Freien Syrischen Armee (FSA) vor. Die Syrischen Menschenrechtsbeobachter in London berichteten von schweren Kämpfen im südwestlichen Außenbezirk Salaheddin, einer FSA-Hochburg.

Der Ausschnitt aus einem Video zeigt einen bewaffneten Mann hinter Sandsäcken in Aleppo.
(Foto: dpa)
"Sie setzen alle Arten von Waffen ein, aber unseren Rebellen gelang es, Vorstöße der Regimetruppen gegen Salaheddin und Al-Hamdanija abzuwehren", sagte der FSA-Kommandeur Abu Omar al-Halebi am Telefon. Die Aufständischen hätten zehn Panzer der Angreifer zerstört, fügte er hinzu. Am Nachmittag hätten dann Helikopter Luftlandetruppen in Salaheddin abgesetzt. Die Informationen lassen sich von unabhängiger Seite nicht überprüfen, weil die Medien in Syrien nur sehr eingeschränkt arbeiten können.
Aktivisten sprechen von den schwersten Kämpfen seit Beginn der Revolte in Syrien im März 2011. Die Regimetruppen griffen die FSA-Stellungen in mehreren Bezirken Aleppos an. Das staatliche syrische Fernsehen sprach von einer großangelegten "Operation zur Säuberung Aleppos von bewaffneten terroristischen Gruppen".
Noch heftigerer Beschuss droht
Am späten Samstagabend verloren die Kämpfe an Heftigkeit. Der Angriff der Regierungstruppen auf das von bewaffneten Rebellen gehaltene Salaheddin sei zunächst zum Stillstand gekommen, sagte Abdel Dschabbar al-Okaidi, Oberst der regierungsfeindlichen Freien Syrischen Armee (FSA) und Chef des Militärrats von Aleppo.
Nach Angaben der in London ansässigen Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bedeutet die Tatsache, dass die Soldaten in Salaheddin nicht vorrücken, "nicht notwendigerweise, dass sie den Rückzug angetreten haben". Die Strategie der regulären Truppen bestehe darin, das Viertel "heftig zu beschießen, um die Bewohner zur Flucht zu veranlassen, um dann umso heftiger erneut anzugreifen".
Strategische Bedeutung von Aleppo
FSA-Kommandos waren vor etwas mehr als einer Woche erstmals in Aleppo eingerückt. Die Millionenstadt und Geschäftsmetropole im Norden Syriens ist nur 50 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt. Die Aufständischen hatten mehrere Stadtbezirke unter ihre Kontrolle gebracht.
Wegen der strategischen Bedeutung der Großstadt liegt dem Regime in Damaskus viel daran, die Rebellen von dort zu vertreiben. In den vergangenen Tagen hatte es Tausende Soldaten aus anderen Landesteilen zusammengezogen und vor Aleppo in Stellung gebracht. Aber auch die FSA verstärkte sich mit zusätzlichen Kämpfern, vor allem aus der Nachbarprovinz Idlib.
Die Kämpfe in Aleppo strahlen auch auf den benachbarten, ohnehin instabilen Libanon aus. In der nördlichen Küstenstadt Tripoli stießen Anhänger und Gegner des syrischen Regimes zusammen. Bei den Schlägereien, die die ganze Nacht zum Samstag andauerten, wurden nach Polizeiberichten mindestens zwölf Menschen verletzt.
Dutzende Menschen getötet
Mindestens 91 Menschen starben allein an diesem Samstag bei Kämpfen in ganz Syrien, viele von ihnen in Aleppo, teilte die Syrische Menschenrechtsbeobachtungsstelle in London mit. Gefechte gab es auch in den Provinzen Homs, Hama, Daraa und Damaskus-Land.
Angesichts der Kämpfe in Aleppo forderte der französische Präsident François Hollande ein rasches Eingreifen des UN-Sicherheitsrats. Moskau und Peking müssten ihren bisherigen Widerstand aufgeben und der syrische Präsident Baschar al-Assad gestoppt werden, sonst drohten "Chaos und Bürgerkrieg", warnte Hollande während eines Besuchs der südwestfranzösischen Gemeinde Monlezun. Die einzige Lösung sei, dass Assad zurücktrete und eine Übergangsregierung gebildet werde.
Dass Russland seine bisherige Politik gegenüber seinem syrischen Verbündeten ändern könnte, ist jedoch wenig wahrscheinlich. Außenminister Sergej Lawrow äußerte Verständnis für die Entscheidung der Führung in Damaskus, dem Vordringen der Rebellen in Städten wie Damaskus oder Aleppo nicht tatenlos zuzusehen. Gleichzeitig warf er dem Westen und einigen Nachbarn Syriens vor, den Konflikt durch ihre Unterstützung der bewaffneten Rebellen anzuheizen.
Lawrow wies zudem Medienberichte zurück, wonach Moskau Assad Asyl gewähren will. "Wir haben schon mehr als einmal öffentlich gesagt, dass wir an so etwas noch nicht einmal denken", sagte der Außenminister. "Es gibt keine solche Vereinbarung und auch keinen Gedanken daran." Russland habe auch keine besondere Beziehung zu syrischen Regierung. "Wir sind nicht und wir waren auch nicht die engsten Freunde des syrischen Regimes. Dessen besten Freunde sitzen in Europa. Wenn also jemand das Problem über diesen Weg (des Asyls) lösen will, sollten sie (die Europäer) über ihre Möglichkeiten dazu nachdenken." Lawrow nannte anders lautende Medienberichte eine Provokation, die von jenen komme, die Russland und China für alles verantwortlich machen wollten, was in Syrien derzeit geschehe.
Lawrows Sprecher Alexander Lukaschewitsch bekräftigte, dass Russland die jüngsten Sanktionen der EU gegen Damaskus nicht mittragen werde. In keinem Fall werde es Moskau zulassen, dass Schiffe unter russischer Flagge kontrolliert würden, sagte er. Die EU-Außenminister hatten am Montag ihre Sanktionen gegen Syrien weiter verschärft. Neben weiteren Einreiseverboten und Vermögenssperren beschlossen sie, ein bereits bestehendes Waffenembargo gegen Syrien durch strengere Kontrollen von Flugzeugen und Schiffen zu verschärfen.
Vorentscheidende Schlacht?
Weltweit forderten Politiker ein sofortiges Ende der Offensive, weil sie große Verluste unter Zivilisten befürchten. Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan rief arabische Länder und den UN-Sicherheitsrat zur Zusammenarbeit auf. Er zeigte sich auch wegen des der syrischen Führung besorgt. Der britische Premierminister David Cameron sagte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Erdogan, beide Länder fürchteten "wirklich entsetzliche Handlungen" der Regierungstruppen in und um die Metropole. Die syrische Führung hatte vor wenigen Tagen erstmals zugegeben, über Chemiewaffen zu verfügen und damit gedroht, diese im Fall einer ausländischen Militärintervention einzusetzen.
Seit Beginn der Revolte in Syrien im März 2011 wurden laut Menschenrechtsaktivisten mehr als 20.000 Menschen getötet. Rund 14.000 Todesopfer seien Zivilisten, mehr als 5000 Mitglieder von Armee und Sicherheitsdiensten und knapp 1000 Deserteure, sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel Rahman. Unter Zivilisten versteht Rahmans Organisation auch bewaffnete Kämpfer gegen Assad, die vorher keine Soldaten waren.
Bei ihren Angaben beruft sich die Beobachtungsstelle auf ein Netz von Aktivisten, Anwälten und Ärzten aus ganz Syrien. Die von ihr genannten Zahlen lassen sich nur schwer überprüfen, da die UNO Ende 2011 aufgehört hat, die Opfer des blutigen Konflikts zu zählen. Doch gerade angesichts der derzeitigen Kämpfe in Aleppo ist klar: Die Zahl dürfte rasch weiter steigen.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts