Politik

Debatte um Grundsatzprogramm Bei drei Themen hat die CDU besonderen Redebedarf

Linnemann reagierte, als der Druck für eine Rückkehr zur Wehrpflicht wuchs - JU-Chef Winkel (l.) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther (r.) hatten sich dafür eingesetzt.

Linnemann reagierte, als der Druck für eine Rückkehr zur Wehrpflicht wuchs - JU-Chef Winkel (l.) und Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Günther (r.) hatten sich dafür eingesetzt.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die CDU-Führung will ein neues Grundsatzprogramm beschließen, doch die Partei hat Redebedarf. Mehr als 2000 Änderungsanträge werden eingebracht. Bei etlichen geht es um Kleinigkeiten, doch drei Themen sorgen bis zum Nachmittag für emotionale Debatten.

Wer sagt denn, die CDU sei eine Partei, die nicht diskutieren mag? An diesem Dienstag lieferten sich die 1001 Delegierten auf dem Parteitag in Berlin überraschend engagierte Debatten. Fast hätte man meinen können, man sei bei den Grünen gelandet. Allerdings nur, bis man bei Themen wie Asyl, Gleichstellung und Wehrpflicht genauer hinhörte, die bis zum Nachmittag die größte Aufregung verursachten.

Dabei ging es um das große Ganze, nämlich das neue Grundsatzprogramm, das auf dem Parteitag verabschiedet werden soll. Zwei Jahre lang hatte die Partei unter der Leitung von Generalsekretär Carsten Linnemann daran gearbeitet. Der Entwurf ist 74 Seiten stark und atmet ganz überwiegend den Geist der politischen Mitte. Mehr als 2000 Änderungsanträge waren vor dem Parteitag eingebracht worden. Etliche davon betrafen minimale Änderungen der Formulierungen im Programmentwurf. Doch ein paar Themen sorgten für Kontroversen.

Zum Beispiel die Asylpolitik, bei der die CDU einen Paradigmenwechsel einläuten will: Weg vom individuellen Asylrecht, hin zu einer Kontingentlösung. Einigen Delegierten ging das immer noch nicht weit genug. Sie versuchten über Anträge, diese Regelungen weiter zu verschärfen. Wer aus einem sicheren Drittstaat an der EU-Außengrenze ankomme und Asyl wolle, solle zurückgewiesen werden, forderte ein Antragsteller. Ein anderer wollte durchsetzen, das Wort "Abschiebungen" ins Grundsatzprogramm zu schreiben - tatsächlich fehlt dieser. Allerdings wird der Begriff mit "Rückführungen" und anderen Formulierungen umschrieben. Beide Anträge fielen durch.

Asyl und Wehrpflicht sorgen für Debatten

Auch Ex-Umweltminister Norbert Röttgen scheiterte mit einem Antrag, der das individuelle Asylrecht wieder stärken sollte. Im Namen der Antragskommission wies der Erste Parlamentarische Geschäftsführer im Bundestag Thorsten Frei dies zurück. Die EU könne 300.000 bis 500.000 Menschen pro Jahr aufnehmen, stellte er in Aussicht. Das sollten aber Menschen sein, "die wirklich Schutz benötigten". Die EU solle entscheiden, wer aufgenommen wird und nicht die Schlepperbanden.

Neben der Asylfrage entfachte auch die Rückkehr zur Wehrpflicht eine Diskussion. Die war eigentlich von der Parteitagsregie nicht vorgesehen. Im Programmentwurf wird lediglich eine allgemeine Dienstpflicht gefordert. Die könnte dann auch in der Bundeswehr abgeleistet werden, hieß es von der Antragskommission, was einigen Antragstellern nicht reichte. Sie setzten schließlich durch, die Wiedereinführung der Wehrpflicht ins Programm zu schreiben.

Der Vorsitzende der Jungen Union, Johannes Winkel, ergriff dabei die Initiative und forderte eine Kontingent-Wehrpflicht, auch bekannt als "schwedisches Modell". Dabei sollen alle jungen Männer gemustert werden. Dann sollen aber nur so viele tatsächlich zur Bundeswehr gehen müssen, wie gerade benötigt werden. Die Antragskommission wollte dies zunächst abmoderieren. Deren Vertreterin Ines Claus sagte, dabei gehe es um Tagespolitik und daher sei die Wehrpflicht kein Thema für das Grundsatzprogramm.

Daniel Günther greift ein

Damit löste die CDU-Fraktionsvorsitzende des hessischen Landtags aber einigen Unmut aus. Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, meldete sich zu Wort und übte Kritik. Die Frage nach der Wehrpflicht sei mitnichten Tagespolitik, er sehe "null Widerspruch" zu den Plänen, ein Gesellschaftsjahr einzuführen, das auch bei der Bundeswehr abgeleistet werden könnte. Doch dafür brauche man Zeit. "Die haben wir nicht", sagte er und meinte damit die Bedrohung durch Russland.

Das Problem dabei: Für eine allgemeine Dienstpflicht müsste das Grundgesetz geändert werden. Dafür wiederum ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag erforderlich. Bei der Wehrpflicht ist das anders. Die wurde 2011 lediglich ausgesetzt und könnte mit einfacher Mehrheit wieder eingesetzt werden, wie die Stuttgarter CDU-Politikerin Christine Arlt-Palmer im Gespräch mit ntv.de erläuterte. Auch ihr Kreisverband setzte sich für die Kontingent-Wehrpflicht ein.

In die gleiche Kerbe schlug dann Verteidigungspolitiker Joachim Wadephul. Der Generalinspekteur der Bundeswehr sage, dass Deutschland und das NATO-Bündnisgebiet schon in fünf Jahren von Russland angegriffen werden könnten. Schon jetzt fehlten Soldaten. Obwohl im Hafen von Eckernförde sechs einsatzbereite U-Boote lägen, gebe es maximal Personal für zwei. Die Antragskommission reagierte schließlich und nahm die Kontingent-Wehrpflicht in den Programmentwurf auf.

Junge Politikerinnen gegen Begriff der "Gleichstellung"

Das dritte Thema, das für eine größere Diskussion sorgte, war die Gleichstellung von Mann und Frau. Dabei ging es um den Begriff selbst. Delegierte wie Sarah Beckhoff von der Jungen Union lehnten diesen vehement ab. "Gleichberechtigung und Gleichstellung sind nicht dasselbe", sagte sie. Da müsse man differenzieren. "Das unterscheidet uns von linken Gleichheitsphantasien", so Beckhoff. Es gehe um Gleichheit bei den Ausgangschancen und nicht um Gleichheit im Ergebnis.

In einem von Freiheit und Eigeninitiative geprägten Grundsatzprogramm sei der Begriff "Gleichstellung" ein "massiver Schönheitsfehler." Es war die frühere Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner, die sich dieser Sichtweise entgegenstellte. "Soll unsere Botschaft wirklich sein: Gleichstellung ist ein Schönheitsfehler?", fragte sie rhetorisch ins Plenum - und hatte gleich die Stimmung auf ihrer Seite. Der Antrag, den Begriff zu streichen, fiel durch.

Die finale Arbeit am Grundsatzprogramm ist das größte Vorhaben des dreitägigen Treffens. Insgesamt hatte die CDU erst vier davon. Das bislang letzte erschien 2007. Allein schon deswegen war es für die Partei mal wieder Zeit, sich über die eigenen Grundsätze klar zu werden. Tatsächlicher Anlass war die Wahlniederlage von 2021 und das Gefühl, nach den Merkel-Jahren nicht mehr zu wissen, wofür die CDU noch steht.

Quelle: ntv.de

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