Streitthema Zuwanderung Brüderle wirbt für Punktesystem
01.11.2010, 20:32 UhrSoeben hat die CSU auf ihrem Parteitag ein Punktesystem für Zuwanderer vehement abgelehnt - da fordert Wirtschaftsminister Brüderle genau das. Er weilt in Kanada, um sich das Prozedere mal exemplarisch vor Ort erklären zu lassen. Und er ist begeistert. Damit ist der nächste Koalitionszoff vorprogrammiert.
Bei der Zuwanderung strebt Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) trotz Widerständen in der Union die Einführung eines Punktesystems wie in Kanada an. Er sei zuversichtlich, dass Schwarz-Gelb noch in dieser Wahlperiode eine Reform des Zuwanderungsrechts umsetzen werde. "Die Kraft haben wir", sagte Brüderle zum Auftakt eines zweitägigen Kanada-Besuchs in Toronto.
Dort informiert er sich über die seit Jahrzehnten erfolgreiche Einwanderungspolitik des nordamerikanischen Landes. Die Deutschen sollten gelassener sein: "Wir führen eine emotionale Debatte, die nicht immer frei von Ideologie ist", sagte Brüderle. "Ich will Fakten in die Debatte einspeisen."
Kanzlerin Angela Merkel und Innenminister Thomas de Maizière (beide CDU) hatten sich zuletzt zurückhaltend zum Punktesystem geäußert. Die Koalition hat nun eine Arbeitsgruppe eingesetzt. Brüderle, de Maizière, Bildungsministerin Annette Schavan und Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (beide CDU) sollen zügig Vorschläge erarbeiten.
Brüderle erklärte, viele Firmen fänden nicht genug Fachkräfte. Die deutsche Wirtschaft werde deshalb neben heimischen Bewerbern viel stärker auf gut ausgebildete ausländische Experten angewiesen sein. Der Staat müsse seinen Beitrag leisten: "Wir brauchen eine neue Willkommenskultur." Brüderle lobte das kanadische Punktesystem. "Von dem, was ich bisher kenne, ist es für mich das Überzeugendste."
Kanada wählt seine Neubürger quasi gezielt aus. Bewertet werden Bildungsstand, Alter, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Job und Integrationsfähigkeit. Extrapunkte bekommt, wer einen Arbeitsvertrag oder eine Zusage von einem kanadischen Arbeitgeber in der Tasche hat. Für grünes Licht von den Einwanderungsbehörden braucht man 67 von 100 Punkten. Rund 18 Prozent der 34 Millionen Kanadier sind Einwanderer.
Merkel lädt ein
Kanzlerin Merkel empfängt noch in dieser Woche 115 Vertreter aus Politik, Wirtschaft, Sport und von Migrantenverbänden im Kanzleramt. Hauptthemen des Gipfels sollen Sprache, Bildung, Arbeitsmarkt und Integration vor Ort sein. Die Kanzlerin sieht die Einstellung von mehr Migranten in den öffentlichen Dienst als Auftrag für den Integrationsgipfel an.
Auf ihrer Internetseite gab Merkel zudem für die kommenden fünf Jahre drei Integrationsziele aus. In diesem Zeitraum sollten allen Zuwanderern Integrationskurse angeboten werden, die dafür infrage kämen. 2015 sollten zudem alle Kinder Deutsch sprechen können, wenn sie in die Schule kommen. Die Zahl der Schulabbrecher unter Migranten solle auf das Niveau deutscher Jugendlicher gesenkt werden.

CSU-Chef Seehofer wird Brüderles Plan zu torpedieren wissen - den Auftrag von seiner Partei hat er.
(Foto: dpa)
Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammertages, Hans Heinrich Driftmann, forderte ein verpflichtendes letztes Kindergartenjahr für alle Kinder. "Für Kinder mit Migrationshintergrund ist der Kindergarten die erste und entscheidende Instanz für gelingende Integration", sagte er. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt erklärte, wichtig seien auch Anstrengungen der Migranten selbst.
Ähnlich sieht das die CSU. Die Christsozialen haben sich auf ihrem zurückliegenden Parteitag in München deutlich gegen ein Punktesystem ausgesprochen. Zudem verabschiedeten sie einen "7-Punkte-Integrationsplan", der in erster Linie härtere Sanktionen gegen sogenannte Integrationsverweigerer vorsieht. Damit ist weiterer Koalitionszoff vorprogrammiert. Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kritisierte die Münchner Beschlüsse bereits scharf: "Die CSU verschließt die Augen vor der Realität des Einwanderungslandes Deutschland."
Quelle: ntv.de, dpa