Becker wegen Beihilfe verurteilt Bubacks Mörder bleibt ungenannt
06.07.2012, 13:20 Uhr
Der Tatort des Buback-Mordes am 4. April 1977.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Nach mehr als anderthalb Jahren verurteilt das Oberlandesgericht Stuttgart die ehemalige Terroristin Verena Becker zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Der Vorwurf der Mittäterschaft erweist sich im Prozessverlauf als unhaltbar. Das Verbrechen selbst bleibt unaufgeklärt.

Göbel, Buback und Wurster auf der Gedenktafel an der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Siegfried Buback ist tot. Ermordet am 7. April 1977 von Terroristen der Rote Armee Fraktion. Ebenso wie sein Fahrer Wolfgang Göbel und der Justizbeamte Georg Wurster. Nach all den Jahren wollten die Angehörigen der Opfer endlich wissen, wer damals an der Kreuzung Linkenheimer Straße/Moltkestraße von der Suzuki 750 GS jene 15 tödlichen Schüsse abgab.
"Mir wäre es sehr wichtig, dass man weiß, wie das damals abgelaufen ist, und wer tatsächlich geschossen hat." Das würde ihr die Verarbeitung der Geschehnisse erleichtern, sagte Sabine Reichel, die Tochter von Wurster. Auch Elisabeth Göbel, die Witwe von Wolfgang Göbel, ist dieser Meinung.
Michael Buback, der Sohn von Siegfried Buback, trat auch in diesem Prozess als Nebenkläger auf. Für ihn ist die Suche nach dem Mörder seines Vaters längst zu seiner Privatfehde geworden. Er zeigte sich im Verlauf des Prozesses zutiefst davon überzeugt, dass Verena Becker die Todesschützin war und bei den Ermittlungen von einer "schützenden Hand" gedeckt wurde. Mit dieser Art von Verschwörungstheorie zog er, bei allem Verständnis für seine Biografie, auch die auf sich.
Wer schoss?
96 Tage lang hat das Gericht verhandelt, 165 Zeugen und acht Sachverständige angehört. Doch am Ende des Verfahrens ist nur wenig klarer geworden. Wer die Schüsse an jenem Gründonnerstag abgegeben hat, diese Frage bleibt weiter unbeantwortet.
Gegen Becker sprach die Tatsache, dass bei ihr die Tatwaffe aus dem Buback-Mord gefunden wurde, als sie im Mai 1977 bei einer Polizeikontrolle festgenommen wurde. Gegen sie sprachen auch ihre Speichelspuren, die 2009 an den Briefumschlägen der Bekenner-Schreiben zum Buback-Mord nachgewiesen werden konnten. Gegen sie könnte auch eine Tagebuchaufzeichnung sprechen, in der sich Becker mit der Frage auseinandersetzt, ob sie "für Herrn Buback beten" soll.
Beweise, dass Becker an dem tödlichen Attentat unmittelbar beteiligt war oder gar selbst vom Motorrad aus die tödlichen Schüsse abgegeben hatte, fanden sich aber nicht. sagte Becker lediglich: "Ich war nicht dabei".
Mörderische Ideologie
Der Anklage blieb deshalb statt der ursprünglichen Version der Mittäterin am Ende nur der Vorwurf der Beihilfe. Bei einem Treffen der RAF-Mitglieder in den Niederlanden zum Jahreswechsel 1976/1977 sei Becker mit großem Nachdruck für den Anschlag auf Buback eingetreten, sagte Oberstaatsanwältin Silke Ritzert. Becker habe "mit Zähigkeit und Vehemenz die Linie der Stammheimer vertreten" - die in Stuttgart-Stammheim inhaftierten RAF-Mitglieder um Andreas Baader, die eine rasche Ausführung des Attentats forderten. Dadurch habe sie das Attentat "mit verursacht".
Ritzert berief sich dabei zu großen Teilen auf Angaben des RAF-Aussteigers Peter-Jürgen Boock, der sich allerdings vor Gericht deutlich zurückhaltender über Becker äußerte, als noch in früheren Vernehmungen. Immerhin sagte er überhaupt etwas. Die meisten der ehemaligen RAF-Terroristen verweigerten bei ihren Zeugenauftritten die Aussage.
Wer sich also von diesem Prozess versprochen hatte, mehr über die Interna der RAF zu erfahren, wurde auch in diesem Punkt enttäuscht. Egal ob Stefan Wisniewski, Günter Sonneberg, Rolf Heißler, Brigitte Mohnhaupt, Knut Folkerts oder Christian Klar. , allen eindringlichen Appellen des Vorsitzenden Richters Hermann Wieland zum Trotz. Man kann nur mutmaßen, ob es der Stabilität ihres Feindbildes geschuldet ist oder ob sie sich möglicherweise tatsächlich selbst belastet hätten. Für die Angehörigen der Opfer war dieser Aufmarsch der Schweigenden nur schwer erträglich.
Verfassungsschutzakte mit vielen Seiten
Immerhin bestätigte sich, was schon lange als sehr wahrscheinlich galt. Becker hat in ihrer Haftzeit mit dem Verfassungsschutz zusammengearbeitet. Das belegen Akten, die der damalige CDU-Innenminister Thomas de Maizière im März 2010 den Prozessbeteiligten zur Verfügung stellte. Die Geheimhaltung der insgesamt fast 300 Aktenseiten wurde jedoch nicht allgemein aufgehoben.
Offenbar vertraute sich Becker aber erst Anfang der achtziger Jahre der Kölner Verfassungsschutzbehörde an. Angeblich soll sie damals das beim Buback-Anschlag benannt haben. Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen Wisniewski führten bislang aber nicht zu einer Anklage. Die Anklage berücksichtigte diese Zusammenarbeit jedenfalls nun als strafmildernd, weil sie darin Zeichen sah, dass sich Becker von der RAF abgewandt habe.
Dennoch hat Becker in ihrer persönlichen Erklärung kein Wort des Bedauerns geäußert. "Während ich damals - wie wir alle - solche Schritte billigte, hat mich mein Weg, wie in der Folgezeit ja offenkundig wurde, später davon weggeführt", sagte die 59-Jährige lediglich. Ihre Verteidiger hätten gemeinsam mit ihr lange darüber nachgedacht, sich dann aber dagegen entschieden, weil derartige Erklärungen in Strafprozessen häufig nur Lippenbekenntnisse seien. Auch diese ausgefeilte Formulierung lässt Raum für Spekulationen, ein Bedauern Beckers hätte ein Lippenbekenntnis sein oder als solches gewertet werden können. Wie auch immer, es wurde nicht ausgesprochen.
Faires Verfahren
Bleibt der juristische Ablauf des Verfahrens. 35 Jahre nach den Morden von Karlsruhe war das Verfahren gegen Verena Becker alles andere als ein politischer Prozess. Vor dem Urteilsspruch äußerte Beckers Verteidiger Walter Venedey in der "Welt" die Überzeugung, dass die "Gerichte heute differenzierter und damit rechtsstaatlicher" arbeiteten.
Die Konzentration liegt auf der Bewertung von Beweismitteln und Indizien. Berücksichtigt werden strafmildernde Gründe, wie die Tatsache, dass die Tat so lange zurückliege und Becker "wegen gesundheitlicher Beeinträchtigungen besonders strafempfindlich ist". Am Ende wird Becker wegen Beihilfe zu dem Mordanschlag schuldig gesprochen. Die Richter verurteilen sie zu vier Jahren Freiheitsstrafe. Davon gelten zweieinhalb Jahre bereits wegen ihrer früheren Verurteilung als abgegolten.
Damit kommt Becker in den Genuss einer Fairness, die die RAF ihren Opfern nie zugestand und die sie auch den Angehörigen der Ermordeten gegenüber bis heute vermissen lässt. Das ist für die RAF-Opfer hart und ungerecht, für die Gesellschaft ist es ein Sieg.
Quelle: ntv.de