Streitfall PID: Abwägung nach Gewissen Bundestag sucht ethische Antwort
14.04.2011, 17:08 Uhr
Die Auslese in der Petrischale berührt elementare ethische Fragen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Auch Eltern mit erblichen Vorbelastungen wünschen sich gesunde Kinder. Doch sollen Gentests an Embryonen aus der Petrischale erlaubt sein? In einer tiefgreifenden Auseinandersetzung im Bundestag prallen die Auffassungen aufeinander. Entschieden wird im Sommer, ohne Fraktionszwang, nur dem eigenen Gewissen folgend.
Der Bundestag hat seine Beratungen über eine Regelung für Gentests an künstlich erzeugten Embryonen aufgenommen. Befürworter und Gegner von Gentests an Embryonen aus dem Reagenzglas warben eindringlich für ihre Positionen in dieser ethisch heiklen Frage.
Die Unterstützer eines Verbots warnten, die Präimplantationsdiagnostik (PID) könne zum gezielten Aussortieren von Embryonen mit Erbkrankheiten führen. Sie befürchten einen Dammbruch - hin zu Embryonen-Selektion und Diskriminierung von Behinderten. Die Fürsprecher einer begrenzten Zulassung wollen erblich vorbelasteten Paaren die Entscheidung für ein Kind erleichtern: Die PID bewahre Eltern mit Gendefekten vor Totgeburten oder der Geburt schwer behinderter Kinder.
Unterstützer und Gegner einer Zulassung verteilten sich auf alle Fraktionen. Im Juni soll die Frage ohne Fraktionszwang entschieden werden; die Abgeordneten sollen sich allein von ihrem Gewissen leiten lassen.
Zulassungsbefürworter: Es geht um Eltern in Not
Für die Präimplantationsdiagnostik (PID) warb FDP-Fraktionsvize Ulrike Flach: "Es ist ein rechtlich sicherer, verlässlicher Weg für Familien in Not." Einer Frau Wissen über den Embryo vorzuenthalten, führe zur Schwangerschaft auf Probe. Wirtschaftsstaatssekretär Peter Hintze (CDU) mahnte, der Gesetzgeber habe die Pflicht, Paaren eine frühe Auflösung innerer Konflikte zu ermöglichen "und nicht das Drama eines Schwangerschaftsabbruchs abzuwarten".
Flach versicherte: "Auch wir öffnen nicht alle Türen der PID." Geplant seien nur Ausnahmen bei grundsätzlichem Verbot. Diese sollten gelten, wenn Eltern wahrscheinlich wegen schwerer Erbkrankheit eine Tot- oder Fehlgeburt bekämen oder beim Kind später eine schwere Erbkrankheit ausbreche. "Es ist eine Entscheidung pro Kind genetisch belasteter Eltern."
SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier bekannte, mit sich selbst "gerungen" zu haben. Ein Verbot sei keine höherwertige ethische Haltung. "Das strikte Verbot löst keine der Fragen, die in der Realität ja für die Familien bestehen." Die SPD-Gesundheitsexpertin Carola Reimann sagte: "Viele Betroffene haben eine unvorstellbare Leidensgeschichte hinter sich." Zwei Drittel hätten schwer kranke Kinder, so die Linke-Forschungspolitikerin Petra Sitte. Sie wollten weitere Kinder ohne Leid. "Warum sollten wir das nicht respektieren?" Betroffene Eltern selbst, nicht der Gesetzgeber müssten über die Anwendung von PID entscheiden.
Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) warnte, dass ein Verbot rechtliche Widersprüche brächte. Ein PID-Verbot würde "hartherzig die Augen vor dem unsäglichen Leid der Eltern verschließen". Die CDU-Abgeordnete Ursula Heinen-Esser sagte: "Es geht nicht um Designer-Babys, es geht um Eltern in Not."
Verbotsbefürworter: Es geht um die Würde des Embryos
Für die Verbotsanhänger entgegnete Unionsfraktionsvize Günter Krings (CDU), der Wunsch nach gesunden Kindern könne nicht das Lebensrecht eines Embryos überspielen. "Lassen Sie uns gemeinsam verhindern, dass Menschen zu Richtern werden über lebenswertes und unlebenswertes Leben." Ein Dammbruch drohe, würde die Methode zugelassen. Die Begehrlichkeit der Forschung nach befruchteten Eizellen sei groß. Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Birgitt Bender warnte vor der Auswahl "passender" Embryonen: "Worum es uns geht, ist diese Option auf Selektion."
Die frühere SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt mahnte, betroffen sei die Würde des Embryos, egal ob er sich nach einer PID weiterentwickeln dürfe oder nicht. "Für mich ist das Prinzip eingeschränkt, dass jedes Leben sich um seiner selbst Willen entwickeln darf." Unionsfraktionsvize Johannes Singhammer (CSU) warnte vor Entscheidungen gegen einen Embryo wegen möglicher späterer Krankheit: "Wie ist es mit einer Lebensspanne, die vielleicht 30, 40 Jahre reicht?"
Der FDP-Abgeordnete Pascal Kober sagte: "Aus liberaler Überzeugung sage ich, dass der Staat kein Recht hat, sich selbst oder andere zu ermächtigen, wertende, seien es ab- oder aufwertende Entscheidungen, über andere Menschen zu treffen." Katrin Göring Eckardt (Grüne) unterstrich: "Die PID garantiert eben kein gesundes Kind. (...) PID wendet einfach das Kind selbst ab."
SPD-Fraktionsvize Elke Ferner sagte: "Ich möchte nicht, dass sich Eltern für ein Kind mit Behinderung rechtfertigen müssen." Der behindertenpolitische Sprecher der Linke-Fraktion, Ilja Seifert, gab zu bedenken: "Wer ein solches Leben hat, für den- oder diejenigen gibt es nichts Wichtigeres." Für Eltern gebe es einen Ausweg: "Adoptionen sind alles andere als zweite Wahl."
Für eine "vermittelnde Position", eine Zulassung in sehr engen Grenzen, warb der SPD-Forschungsexperte René Röspel. "Wir stellen nicht die Frage: Darf ein Leben gelebt werden? Sondern wir stellen die Frage: Kann ein Leben gelebt werden?" Nur Menschen mit klarer Veranlagung für eine Fehl- oder Totgeburt sollten die PID durchführen lassen dürfen. "Es ist nicht so, dass Abbrüche dadurch vermieden werden", mahnte die Grünen-Politikerin Priska Hinz, die für diesen Weg warb. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil appellierte an Röspel und Hinz, sich mit der Gruppe um die FDP-Politikerin Flach zusammenzutun, "bevor es zu einem absoluten Verbot in Deutschland kommt".
Drei fraktionsübergreifende Entwürfe
Bereits vor der Bundestagsdebatte plädierte Arbeitsministerin von der Leyen bei n-tv dafür, die PID begrenzt zuzulassen. "Es geht hier um ein ganz starkes Ja zum Leben, ein Ja zu Kindern", so die Ministerin. Viele Eltern behinderter Kinder wünschten sich eine PID, weil sie eine derartige Belastung nicht ein zweites Mal schafften.
Von der Leyen wehrte sich dabei gegen den Vorwurf, auf diese Weise "Designerbabys" in die Welt zu setzen. Schließlich gehe es bei der PID nur darum, schwere Erbkrankheiten zu diagnostizieren. Auch solle sie nur in speziellen Zentren mit einer Ethik-Kommission vorgenommen werden.
Den Abgeordneten liegen drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe vor, von denen einer ein komplettes Verbot der PID vorsieht, während die beiden anderen die Methode in begrenztem Umfang erlauben wollen. Die meisten Unterstützer fand im Vorfeld der Antrag, die PID dann zuzulassen, wenn Eltern die Veranlagung zu einer schwerwiegenden Erbkrankheit haben oder eine Tot- oder Fehlgeburt droht.
Folgt man den Unterschriftenlisten der drei Entwürfe, so haben sich 178 der insgesamt 620 Abgeordneten noch auf keine Position festgelegt. Die meisten Unterstützer - insgesamt 215 - zählt bisher die Initiative zur Zulassung der Abgeordneten Ulrike Flach (FDP), Carola Reimann (SPD) und Peter Hintze (CDU) - dicht gefolgt von der pro Verbot.
Derzeit darf PID nach einer vom Juni 2010 angewandt werden. Zuvor war es allgemeine Auffassung, solche Gentests seien nicht erlaubt - auch wenn sie nicht im strengen deutschen Embryonenschutzgesetz von 1991 erwähnt werden.
Quelle: ntv.de, dpa/AFP