Politik

"Sind nicht wie die Hitlerjugend" Cristina Kirchner befiehlt, "La Cámpora" folgt

Es wird gemalt, gegraben, gegrillt - auch von der 25-jährigen Paula.

Es wird gemalt, gegraben, gegrillt - auch von der 25-jährigen Paula.

(Foto: Roland Peters)

"La Cámpora" hat der argentinischen Noch-Präsidentin Cristina Kirchner ihre Macht gesichert. Nun wird ihr Nachfolger gewählt. Die Aktivisten teeren Straßen, bauen Spielplätze und organisieren Nachhilfe. Ihre Parolen klingen in deutschen Ohren unangenehm.

Es geht ihm um das Projekt. "Politik wird auf der Straße gemacht, so wie hier", sagt Fernando. Er steht in einem Armenviertel, es ist Samstagvormittag. Die Straße ist belebt, von einem Kohlegrill weht Fleischgeruch in die Nase. "Jeden Mittwoch treffen wir uns und besprechen, wo wir hingehen und helfen. Freitags wird über Inhalte diskutiert." Fernando ist seit den späten 1990er Jahren politischer Aktivist. Heute ist das Viertel Villa Ilaza an der Reihe, rund zehn Busminuten von Buenos Aires' Stadtgrenze entfernt. Während der Fahrt fällt immer wieder ein Spruch ins Auge: "Kampagne Sauberkeit" steht auf Mauern, niedrigen Wohnhäusern, vielen Fassaden leerstehender Fabrikgebäude.

In Argentinien wird ein neuer Präsident gewählt, und hier in der Vorstadt Lanús hat Fernando für die Regierungspartei eine wichtige Funktion: Er engagiert sich bei "La Cámpora", der von Ex-Staatschef Nestór Kirchner gegründeten politischen Nachwuchsorganisation. Dass dessen Witwe und Nachfolgerin Cristina bei der Wahl nicht mehr antreten darf, ist Fernando gleich. Sie werde auch danach die Richtung vorgeben, sagt der 40-Jährige. Cristinas Kandidat ist Daniel Scioli, er hat beste Chancen, mit dem Parteienbündnis "Frente para la Victoria" (FpV) eine weitere Regierung zu stellen. Lanús mit seinen etwa 450.000 Einwohnern gehört zur Provinz Buenos Aires. Etwa 40 Prozent der Wähler leben hier. Scioli ist ihr Gouverneur.

Gewagter dritter Weg

Fernando (rechts, stehend) mit den Aktivisten am zukünftigen Spielplatz.

Fernando (rechts, stehend) mit den Aktivisten am zukünftigen Spielplatz.

(Foto: Roland Peters)

Wird jemand in Argentinien nach seiner politischen Orientierung gefragt, ist die häufigste Antwort Peronista, benannt nach dem Präsidenten Juan Perón, der in den 1950er Jahren das südamerikanische Land politisiert hat. Links oder rechts, diese Kategorien sind dabei am Rio de la Plata zweitrangig. Wer kein Peronist ist, wird nicht gewählt, so einfach war das bislang.

Das Kirchner-Ehepaar führte Argentinien Jahrzehnte später aus der großen Staatspleite, la crisis heraus. Seither gibt es den Kirchnerismo, linkspopulistischen Peronismus, der einen dritten Weg versucht: Handelsbeschränkungen, aber keine komplette Abschottung. Ungefähr die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts durch den Staat erzeugen, die Privatwirtschaft aber nicht verteufeln. Beziehungen zu Russland, Iran und China pflegen, statt sich dem Westen anzubiedern. Das funktionierte eine Zeitlang - aber derzeit nicht besonders gut.

Der linke Wirtschaftsminister Axel Kicillof blickt seit Wochen von riesigen Bannern auf das Treiben in der argentinischen Hauptstadt herunter: "Wähle keinen Abgeordneten, wähle ein Land", ist darauf zu lesen. Peronist zu sein bedeutet, national zu denken, aber fortschrittlich; und sich nicht mit den Arbeitern und Armen anzulegen. Jeder in der Villa Ilaza sagt es, ebenso wie argentinische Politikwissenschaftler und Oppositionelle: Es ist das proyecto nacional y popular, um das es bei "La Cámpora" und Kirchner geht. Die Transformation der Gesellschaft als "nationales Volksprojekt" also. Aber wohin? Oder gibt es kein Ziel? Dann wäre das proyecto die Neubelebung der linken Idee vom permanenten revolutionären Element - von dem die Opposition beklagt, dass es die Gewaltenteilung ignoriert und den Einfluss des Staates in alle gesellschaftlichen Bereiche forciert, um sich die Macht zu sichern. Die Cámpora wäre dann der zivilgesellschaftliche Arm: Sie organisiert in den Vierteln von Buenos Aires Nachhilfe, Musikunterricht und andere Bildungsangebote.

Die Jugend in Bewegung setzen

"Immer an Cristinas Seite", steht auf dieser Wand im Viertel.

"Immer an Cristinas Seite", steht auf dieser Wand im Viertel.

(Foto: Roland Peters)

Eine große Garage dient den Aktivisten an diesem Wochenende als Koordinationszentrale und Materiallager. Fast jeder hat Farbe an den Händen, Dutzende Häuser haben bereits einen neuen Anstrich bekommen. Die bevorzugten Farben: Hellblau und Weiß. Von der Wand grüßen Nestór und Cristina Kirchner. "Wenn sich die Jugend in Bewegung setzt, ist der Wandel unumkehrbar", steht über ihren Köpfen - und "Es war keine Magie" darunter. Zwar gilt noch immer jeder vierte Einwohner Argentiniens als arm. Die Grenze liegt bei einem gemeldeten Monatsverdienst von unter 220 US-Dollar. Zugleich arbeiten geschätzte 30 bis 40 Prozent der Bevölkerung auch oder ausschließlich schwarz.

Fernando wirft ständig Blicke um sich, schaut, wie die Arbeit an einem neuen Spielplatz vorangeht. Wo sich Müll neben der Straße angehäuft hatte, wechselt sich nun eine Gruppe Helfer ab, hat Erdlöcher für ein buntes Klettergerüst ausgehoben. Das Geld für das Material kommt vom Abgeordneten Julián Álvarez, der für die FpV antritt und in Lanús gewählt werden will. Sein Name steht in großen Lettern auf einer argentinischen Flagge, die hinter dem wartenden Spielgerät am Zaun hängt. "Es ist jetzt viel sauberer", sagt eine Anwohnerin anerkennend. Es sei nicht der erste Einsatz der Aktivisten. Sie hatten bei vorherigen Einsätzen bereits Regenabflusskanäle gelegt und die Straße geteert. Nun kommt Farbe an die Wohnhäuser.

Niemand hier glaubt, dass Daniel Sciolis Gegner eine Chance bei der Präsidentschaftswahl haben - der konservative Peronist Sergio Massa nicht, der liberale Mauricio Macri ebensowenig und der linksextreme Nicolas del Caño ohnehin nicht. Jeder erwartet, dass "Cristina" von Scioli beerbt wird. Der Kopf der Cámpora wird die Noch-Staatschefin bleiben. Die Aktivisten sind der Nachwuchs der Kirchners, nicht der FpV. Ihr offizieller Chef ist Máximo, Cristinas Sohn. Die argentinische Politikwissenschaftlerin Ana Natalucci sagt, es gebe einen Plan, 500 Elite-Funktionäre über die Organisation auszubilden. Wer mehr Leute auf die Straße bringe, mehr Menschen aktivieren könne, steige auf. Wer es in den oberen Bereich der Pyramide schafft, kann sich Hoffnung auf einen hohen Posten im Staat machen.

"Mit eiserner Faust"

Die Aktivisten engagieren sich vor allem in Stadt und Provinz Buenos Aires. Cristina lenke die Organisation mit "eiserner Faust", sagt ein Mitglied der ersten Stunde, der inzwischen nicht mehr dabei ist. Die Agenda werde von ihr gesetzt, es gebe eine direkte Befehlslinie an die Basis. Diese Funktionsweise vergleicht die oppositionelle Abgeordnete Patricia Bullrich mit der aus dem Roman "Die Welle" von Morton Rhue.

Fernando trägt wie viele der Helfer einen Cámpora-Pullover; junge Männer und Frauen, fast alle jünger als er. Auf ihren Rücken steht: "La patria es el otro": das Vaterland ist der Andere. Es ist der ideologische Gegenentwurf eines gesellschaftlich und wirtschaftlich geförderten Egozentrismus'. Den Einwand, dass solche Aussagen für Deutsche komisch klingen können, wischt der Familienvater beiseite: "Wir sind keine Nationalsozialisten, sondern soziale Nationalisten. Wir sind nicht wie die Hitlerjugend."

Natalucci ist überzeugt, das Ende der Ära Kirchner sei auch das Ende von "La Cámpora". Werde Scioli Präsident, nutze er seine Macht, um sich woanders Unterstützung zu sichern. Sie ist nicht die Einzige, die das so sieht. Nicht aber Fernando: "Wir sind viele. An uns kommt Scioli nicht vorbei." Das Projekt muss weitergehen, auch in Lanús.

Quelle: ntv.de

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