Der Hochmut der Ökopartei und ihr Fall Darum bauen die Grünen ab
11.09.2013, 15:14 Uhr
Die alte Garde der Grünen: Jürgen Trittin und Renate Künast.
(Foto: REUTERS)
Das Wählerpotenzial der Grünen ist groß. Doch die Partei kann es nicht abrufen. Schuld sind ausgerechnet Fehler, die vermeidbar waren. Übermut ließ viele Mitglieder erblinden.
Die Grünen durchstoßen den Grund: Nach einem beispiellosen Aufstieg liegen sie in Umfragen erstmals wieder unter ihrem Wahlergebnis von 2009. Damals waren es 10,7, im aktuellen "Stern-RTL-Wahltrend" erreicht die Partei nurmehr 9 Prozent. Die Parteispitze hat sich verkalkuliert und ihre Fehler zu spät erkannt.
Noch 2011 freuten sich Top-Grüne wie Jürgen Trittin, Katrin Göring- Eckardt, Renate Künast und Claudia Roth über die Stärke ihrer Truppe. Klassische grüne Themen hatten nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dem aufkeimenden Öko-Boom Konjunktur. Demoskopen handelten die Partei bei fast 30 Prozent und Spekulationen über einen grünen Kanzlerkandidaten keimten auf.
Ein Jahr später, bei ihrem Parteitag in Hannover, ermutigte dieses Hoch die Spitze zu einem Kurswechsel. Die Grünen lagen in Umfragen zwar nicht mehr jenseits der 20-Prozent-Marke, doch trotzdem fühlte sich manch einer, wie ein großes Tier in einer großen Partei. Ja vielleicht sogar wie ein großes Tier in einer Volkspartei.
"Mit uns wird auf Augenhöhe gesprochen"
Der Spruch "die Mitte ist grün" waberte durch die Gänge des Kongress-Zentrums der niedersächsischen Hauptstadt. Er war immer wieder von Delegierten und Journalisten zu hören. Künast sagte: "Es wird kein rot-grünes Projekt geben. Wir machen einen eigenständigen Wahlkampf." Göring-Eckardt fügte hinzu: "Mit uns wird auf Augenhöhe geredet." Und der Obergrüne Trittin verdeutlichte, dass es seiner Partei nicht mehr reicht, sich auf Öko- und Energiethemen zu beschränken.
In Hannover schien vergessen, dass ein gemeinsames Projekt von Gerhard Schröder und Joschka Fischer 1998 zur ersten rot-grünen Bundesregierung führte. Schröders Sozialdemokraten präsentierten sich als Anwalt der Familien. Fischers Grüne fügten ihre Umwelt- und Gleichstellungspolitik hinzu. Im vergangenen Jahr rückten die Grünen von dieser Aufgabenteilung ab und beanspruchten das Thema soziale Gerechtigkeit für sich, stellten es in den Mittelpunkt ihrer Politik. Damit besiegelten sie ihren Absturz.
"Die Grünen sind einfach nicht das Original"
Für das größte Aufsehen im Bundestagswahlkampf 2013 der Grünen sorgte bisher nicht ihr Paradethema, die Energiewende, sondern ihre Steuerpolitik. Das Konzept der Grünen an sich ist dabei nicht das Problem. Eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung belegt, dass die geplanten Erhöhungen des Spitzensteuersatzes, die Vermögensabgabe und eine mögliche Vermögenssteuer nur einen kleinen Teil der potenziellen Grünen-Wähler trifft.
Das Problem ist vielmehr, dass viele, die sich nach Fukushima für die Grünen begeisterten, ihr eine ernsthafte Finanz- und Wirtschaftspolitik noch nicht abnehmen. Davon sind zumindest Politikwissenschaftler überzeugt. Uwe Jun von der Universität Trier sagt n-tv.de: "Beim Thema soziale Gerechtigkeit haben die Grünen noch geringe Kompetenzzuschreibungen." Der Forsa-Politikchef Peter Matuschek sagt: "Die Grünen sind einfach nicht das Original." Viele potenzielle Grünen-Wähler wandten sich darum in den vergangenen Monaten wieder von der Partei ab. Geblieben ist ihr nur die Stammwählerschaft.
Grüne verspielen ihr Potenzial
Dazu trug den Politikwissenschaftlern zufolge auch bei, dass es derzeit keine Machtoption für die Grünen gibt. Auch dieser Umstand lässt sich zum Teil auf den Parteitag in Hannover zurückführen. Damals versuchten die Grünen mit aller Macht zu verdeutlichen, dass sie keine Koalition mit der CDU eingehen. In Umfragen kam Rot-Grün damals schließlich noch auf 40 Prozent. Schwarz-Gelb schaffte es nur auf 39, weil der FDP der Satz über die Fünf-Prozent-Hürde misslang.
Doch ihr Ausschluss von Schwarz-Grün ist ein Kurs, der der Partei nun schadet. Als die Umfragewerte der Grünen einbrachen, offenbarte sich, dass die einzige einigermaßen realistische Regierungsoption der Grünen eine Koalition mit der Union ist. Selbst wenn sich die Grünen auf einen Pakt mit SPD und Linken einließen, läge das Bündnis heute mit 44 Prozent hinter Schwarz-Gelb. Bei diesem Ausblick fällt es den Grünen selbstverständlich schwer, potenzielle Wähler in die Wahllokale zu locken. Davon ist Politikwissenschaftler Jun überzeugt: "Das wirkt für viele potenzielle Wähler nicht gerade mobilisierend."
Die Erkenntnis kommt vielleicht zu spät
Das Potenzial der Grünen liegt ihm zufolge derzeit bei bis zu 20 Prozent. Doch wegen ihres Kurses und dem Fehlen einer realistischen Chance, die Politik in Deutschland künftig zu bestimmen, können sie es einfach nicht ausschöpfen. Angesichts der bitteren Umfragewerte sagte die Wahlkampfmanagerin der Grünen, Steffi Lemke, n-tv.de: "Der Endspurt wird hart. Jetzt heißt es kämpfen und mobilisieren. Jetzt zählt jeder Tag und jede Stunde." Bis zuletzt hielten die Spitzen-Grünen wie Trittin und Göring-Eckardt aber an ihrer Strategje fest. Erst auf ihrem kleinen Parteitag in Bamberg am vergangenen Wochenende offenbarten sich Risse in ihrer Haltung.
Im Wahlprogramm der Partei heißt es unter Punkt eins noch an erster Stelle: "Wir wollen heute etwas ändern, um zu einer Wirtschaftsweise zu kommen, die allen nutzt und nicht nur wenigen…" Im 100-Tage-Programm der Grünen, dass sie in Bamberg vorstellten, heißt Punkt eins nun: "Energiewende retten und fair finanzieren". An zweiter Stelle steht: "Massentierhaltung beenden". Erst unter Punkt vier führt die Partei "faire und gerechte Löhne" auf.
Doch vielleicht kommt der Schwenk zu spät. Nicht nur für die Partei im Angesicht der Bundestagswahl. Vielleicht auch für manch einen Spitzenmann und manch eine Spitzenfrau der Grünen. Spätestens, wenn sie nach dem 22. September wieder in der Opposition landen, beginnt in der Partei die Suche nach den Schuldigen für das Debakel, die Suche nach den Grünen, die den Kurswechsel der Partei besonders vorangetrieben haben und mit Vehemenz Schwarz-Grün verteufelt haben.
Quelle: ntv.de